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# taz.de -- Chiles Polizei zu Besuch in Hamburg: Gärtnern lernen beim Bock
> Ausgerechnet die Hamburger Polizei soll mit Carabineros „deeskalative
> Einsatzstrategien“ üben. Beide Polizeien stehen bislang eher für
> Konfrontation.
Bild: Eine Polizei-Pressesprecherin und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD)…
Hamburg taz | Pünktlich zum 20. Jahrestag der eskalierten, gewaltsamen
[1][Räumung des Bauwagenplatzes Bambule] sind am Freitag vergangener Woche
[2][sieben chilenische Carabineros in Hamburg angekommen]. Sie wollen sich
mit Vertreter*innen der damals dafür verantwortlichen Hamburger Polizei
im Rahmen eines Kooperationsprojektes über „deeskalative Einsatzstrategien“
austauschen.
Die Räumung der Bambule unter Innensenator Ronald Schill (Partei
Rechtsstaatliche Offensive) am 4. November 2002 war [3][ein tiefer
Einschnitt in der Hamburger Protestgeschichte], gerade weil die Polizei auf
Härte statt auf Deeskalation setzte. Wochenlang kam es nach der Räumung zu
großen Demonstrationen, die Schill mit aller Macht polizeilich zu
verhindern versuchte. Immer wieder kam es dabei auch zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen.
Die Ereignisse um die Bambule gelten als Beginn der berüchtigten
„[4][Hamburger Linie“]: Wo Protest gefährlich erscheint, wird eine resolute
Drohkulisse aufgebaut. Immer wieder sind deshalb in Hamburg
Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Protestierenden eskaliert,
zuletzt beim G20-Gipfel 2017.
Elf Tage lang werden die Carabineros in der Stadt sein. Unter anderem
begleiten die Chilenen die Hamburger*innen bei Einsätzen. Am Samstag
waren sie laut Polizei bei drei Demonstrationen dabei: am Sonntag und
Dienstag beim HSV- und FC-St.-Pauli-Spiel.
Dass die Hamburger Polizei mit den Carabineros kooperiert, war im August
bekannt geworden, als Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) während
[5][einer einwöchigen Reise nach Chile] in Santiago Carabineros und sechs
ihrer Kolleg*innen aus Hamburg besuchte, die gerade vor Ort waren. Ziel
des deutsch-chilenischen Erfahrungsaustausches sei, „die Etablierung einer
gesellschaftlich hoch akzeptierten, modernen, transparenten und
Menschenrechte beachtenden Bürgerpolizei in Chile zu fördern“, schrieb
[6][der Senat] dem CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Thering im
September.
## Chiles Präsident fordert Aufklärung
Inhalte des Austausches seien „Versammlungsrecht, Gefahrenabwehrrecht,
deeskalatives Vorgehen in angespannten Einsatzlagen, Kommunikationskonzepte
inkl. einer einsatzbegleitenden Kommunikation und einer Kommunikation über
Social Media oder auch der Einsatz von Kommunikationsteams“, teilte die
Polizei der taz mit. Die Bundesrepublik und die Länderpolizeien sähen eine
„realistische Chance“, einen „wertvollen Beitrag zur Gewährleistung
menschenrechtsfreundlicher Polizeiarbeit auch in angespannten
Einsatzsituationen zu leisten“.
Die chilenischen Carabineros gelten als besonders brutales und korruptes
Organ des chilenischen Sicherheitsapparates, berüchtigt für die gewaltsame
Niederschlagung sozialer Proteste. Am 20. Oktober jährte sich zum dritten
Mal der Beginn der [7][Protestbewegung gegen die soziale Ungleichheit] und
Ausbeutung in Chile.
Die Demonstrierenden trugen in der chilenischen Hauptstadt Santiago ihren
Zorn auf die Straße, dass sich in den vergangenen drei Jahren wenig
verändert hat. Die Carabineros gingen mit Wasserwerfern und Tränengas
[8][gegen rund 25.000 Demonstrierende vor], die brennende Barrikaden
errichtet hatten und Hauptstraßen blockierten.
Anlässlich des Jahrestages forderte Chiles [9][neuer linker Präsident
Gabriel Boric], seit März im Amt, eine Aufklärung der vor drei Jahren durch
die Polizei verübten Gewalttaten: „In einer Demokratie ist es unabdingbar,
dass Polizeigewalt untersucht und bestraft wird“, sagte Boric. Mehr als 30
Menschen waren bei den Protesten im Oktober und November 2019 bei
Auseinandersetzungen mit der Polizei ums Leben gekommen. Auch
Vergewaltigungen werden [10][den Carabineros vorgeworfen].
Wie 2020 bekannt wurde, bat Chiles damaliger Präsident Sebastián Piñera
noch im November 2019 [11][mehrere europäische Regierungen um
Unterstützung] für die „Kontrollmechanismen der öffentlichen Ordnung“.
Frankreich sagte angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen ab,
Deutschland sagte zu.
Im Juni 2020 [12][teilte die Bundesregierung mit], dass die chilenische
Regierung entschieden habe, „einen umfassenden Reformprozess bei den
Carabineros einzuleiten“, und Interesse an „deutscher Expertise bei der
Unterstützung dieses Reformprozesses“ bekundet habe.
## Hamburg ist verantwortlich fürs Model Deeskalation
Wie nun bekannt wurde, beteiligt sich die Hamburger Polizei seit dem
Frühjahr 2021 gemeinsam mit den Landespolizeien Nordrhein-Westfalens,
Baden-Württembergs und Berlins an einem auf mehrere Jahre angelegten
trilateralen Kooperationsprojekt mit Chile und Kolumbien unter Führung des
Bundesinnenministeriums (BMI) und des Auswärtigen Amtes (AA). Das geht aus
der [13][Antwort des Hamburger Senats] auf eine Anfrage des
Bürgerschaftsabgeordneten Deniz Celik (Die Linke) vom 1. November hervor.
In zwölf Modulen werde das Projekt umgesetzt, koordiniert durch den
[14][Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder] beim
Bundesinnenministerium (BMI), teilte der Senat mit. Das Land Hamburg
verantworte dabei ausschließlich das Modul „Deeskalative
Einsatzstrategien“.
Celik kritisiert, dass solch ein Projekt, wenn es glaubwürdig sein wolle,
Menschenrechtsorganisationen einbeziehen müsse. Dass der Senat in seiner
Antwort lediglich die Eckdaten des Projekts des Bundesinnenministeriums
genannt habe, sei unbefriedigend.
„Es bleiben Fragen offen“, sagt Celik. Der Abgeordnete fragt sich, warum
gerade die für ein konfrontatives Auftreten bekannte Hamburger Polizei die
chilenischen Carabineros berät, die wiederum dafür bekannt seien, auf
Abschreckung zu setzen. „Man macht den Bock zum Gärtner“, findet Celik.
Die Polizei versicherte der taz, sie sei „eine moderne und bürgernahe
Großstadtpolizei, die das geltende Recht konsequent durchsetzt und dabei
auf Kommunikation und Deeskalation setzt“. Bereits in der Ausbildung werde
ein starker Fokus auf Kommunikation und Deeskalation gelegt.
Der nächste Austausch soll laut Polizei vermutlich im März kommenden Jahres
wieder in Chile stattfinden.
9 Nov 2022
## LINKS
[1] /!586356
[2] https://twitter.com/PolizeiHamburg/status/1588544332419969024
[3] https://g20.protestinstitut.eu/lokalgeschichte/
[4] https://www.blaetter.de/ausgabe/2017/august/das-scheitern-der-hamburger-lin…
[5] https://www.welt.de/regionales/hamburg/article240718185/Suedamerikareise-vo…
[6] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/80927/delegationsreise_von…
[7] /Proteste-in-Chile/!5642451
[8] /!5889529
[9] /Amtsantritt-von-Gabriel-Boric/!5838576
[10] https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-11/chile-proteste-menschenrechtsv…
[11] https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/chile-menschenrechtsverletzung…
[12] https://dserver.bundestag.de/btd/19/193/1919388.pdf
[13] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/81498/hamburgs_polizei_ko…
[14] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/nationale-und-internationale-…
## AUTOREN
Robert Matthies
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