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# taz.de -- Bettina Wegner wird 75: Sind so große Herzen
> In Ost und West eine Ikone: Die Liedermacherin und Sängerin Bettina
> Wegner hat allen politischen Systemen getrotzt. Und wird genau deswegen
> geliebt.
Bild: Bettina Wegner: Für sie soll’s rote Nelken regnen!
Müsste eine verständige Instanz in Jahrhunderten, vielleicht schon
Jahrzehnten aus dem vorhandenen Bild- und Tonmaterial der Jahre vor und
nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sichten, um buchstäblich unverfälscht
und ungeschminkt aus allen Poren der Herzensbildung im Gesamtdeutschland
der achtziger bis neunziger Jahre einige, wenige Figuren purster
Glaubwürdigkeit, ja, bewahrter und doch nie nur posierter Echtheit
herauspräparieren, so wäre sie die haushohe Favoritin für die allererste
Wahl. Denn all der Wortschmuck ist ihr gewidmet, und sie hat ihn verdient:
Bettina Wegner.
Am Freitag feiert sie – ja hoffentlich feiert sie diesen Ehrentag! – ihren
75. Geburtstag. Und weil das gemessen an den heutigen Lebenserwartungsdaten
noch recht jung ist, möchten wir unbedingt darum bitten, ordentlich zu
genießen, welches bewegte und interessante Leben sie hatte. Und zwar weil
sie es wollte.
Bettina Wegner ist für die sogenannten Boomer eine kleine linke
Berühmtheit. „Sind so kleine Hände“ heißt ihr Hit, den einen Schlager zu
nennen ausfällt, obwohl dieses Lied, von ihr so zart und dringlich in einem
vorgetragen, tatsächlich einschlug, nämlich in die Gemüter nicht nur in der
alten Bundesrepublik wachsender Empfindsamkeit Kindern, Menschen gegenüber,
die es mit den Kraftmeieren überall, auch in der linkene Szene, nicht mehr
so haben wollten.
1947 in Berlin geboren, in Lichterfelde, gerade eben noch Teil von
Westberlin, [1][rein-, nicht rübergemacht in die DDR,] weil ihre Eltern dem
Kommunismus und dem Glauben an eine bessere Gesellschaft anhingen.
Aufgewachsen also in der Hauptstadt der Arbeiter- und Bauernrepublik zog es
Bettina Wegner beruflich ins Künstlerische, allerdings nicht ohne
systemtypische Hürden. [2][Mitsängerin im berühmten „Oktoberclub“],
freigeistig, das allzu sehr. Die DDR strafte sie nach ihrem Protest gegen
den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Militärs in die aufgewühlte
Tschechoslowakei des Prager Frühlings sogar mit Knast – da biss die Maus
keinen Faden ab, sie musste hinter Gitter. Die Siebziger waren ihre
produktivsten Jahre, singend, komponierend, schreibend – und in jeder
Hinsicht nicht konform lebend, ohne daraus den Schluss zu ziehen, dass die
DDR aus Prinzip abgeschafft gehört.
## Singen, schreiben, rauchen
1983, da hatte der Staat sich endgültig von ihr entfernt, weil sie gegen
Wolf [3][Biermanns Ausbürgerung 1976 p]rotestierte, verließ sie die DDR
selbst. Der Rest ist schnell berichtet insofern, als sie eben in der BRD,
aller Gefühle, ihre Heimat verloren zu haben, zum Trotz, einfach
weitermachte: Lieder singen, schreiben, zu eher linken Kreisen Kontakt
haltend, auch zu den [4][alten Freunden und Freundinnen in der DDR],
einfach so leben, drei Kinder zur Welt bringend und aufziehend.
Neulich hat sie noch in der Provinz vor Berlin konzertiert, wie immer
flogen ihr die Herzen des Publikums zu: Das schätzt eine ehrliche Haut,
eine Unverstellte, sich in gewisser Weise nicht nur spielend, sondern
seiend. Sie möge an ihrem Geburtstag beim Rauchen mal kein schlechtes
Gewissen haben: Lieber im Kreis der Engsten und Liebsten das Nikotin
genießen – Reue, das wird sie selbst wissen, ziemt sich erst am Tag danach.
Für sie soll’s rote Nelken regnen! Herzlichen Glückwunsch!
4 Nov 2022
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## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Sängerin
Gitarre
Ost-West
DDR
Geburtstag
Chanson
Animation
Filmrezension
Nachruf
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