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# taz.de -- Versteinerte Welten: „Wie ein Foto aus der Urzeit“
> Paläobotaniker interessieren sich für die urzeitliche Pflanzenwelt. Die
> Fossilien von Blättern und Stämmen liefern Einblicke in untergegangene
> Welten.
Bild: Rekonstruktion des Lebensraumes im versteinerten Wald von Chemnitz
Die Paläobotanik, also die Erforschung urzeitlicher Pflanzen, mag ein
Orchideenfach sein, trotzdem hatte sie schon ihren Hollywoodmoment. Gleich
zu Beginn des Dino-Epos „Jurassic Park“ hilft Paläobotanikerin Ellie
Sattler einem Triceratopsweibchen mit Magenverstimmung. Auf der Suche nach
Ursachen für die Bauchschmerzen greift sie ohne zu zögern tief in einen
Dino-Kackhaufen. Darin findet sie die Spuren giftiger Pflanzen, die vor 66
Millionen noch nicht auf dem Speiseplan der Dreihorn-Gesichter standen. Mit
dem echten Forschungsalltag hat diese Szene natürlich wenig zu tun – zum
Glück oder leider, je nach Standpunkt.
Carole Gee, Paläobotanikerin an der Uni Bonn, kehrte gerade von
Ausgrabungen in den USA zurück. Eins ihrer Ziele war ein sogenannte
„Petrified Forest“ in Utah. „Wir finden hier Baumreste, die vor etwa 150
Millionen Jahren bei Überschwemmungen von einem reißenden Fluss mitgerissen
und in einem kieselsäurehaltigen Sediment eingebettet wurden“, erklärt die
Forscherin. Überdeckt vom Schlamm wurden die Stämme zu Fossilien und
überdauerten die Jahrmillionen. Welche Baumarten einst am Ufer wuchsen,
lässt sich kaum noch feststellen. Die Pflanzenzellen seien dafür zu
schlecht erhalten, berichtet Gee. Sie selbst hält einen dichten
Nadelhölzerwald für plausibel. Diese Bäume würden zu Ort und Zeit passen.
Obwohl der Petrified Forest in Utah längst eine Touristenattraktion ist,
wurde er bisher kaum untersucht. Gee möchte das in den nächsten Jahren
ändern. Eine Fleißarbeit: Funde katalogisieren, Baumstämme messen,
Überblicksgrabungen machen. Dieser „Forschungsrückstand“ zeigt auch: In d…
öffentlichen Wahrnehmung genauso wie im akademischen Alltag steht die
Paläobotanik oft im Schatten der Wirbeltierpaläontologie.
Dabei werden auch Pflanzen, im richtigen Moment mit Sediment bedeckt, zu
eindrucksvollen Fossilien. Es gibt große versteinerte Baumstämme, Abdrücke
von Blättern und Sprossen, in Bernsteineinschlüssen wurde winzige Blüten,
Samen und Pollen gefunden. Sie sind aber nicht nur schön anzusehen, sondern
auch wissenschaftlich ein Gewinn.
## Die ersten Pflanzen
„Ohne Pflanzen gäbe es keine Tiere an Land. Vor etwa 432 Millionen Jahren
entstanden an Land die ersten aufrechten Pflanzen und veränderten unsere
Erde nachhaltig“, erklärt Gee. Vor etwa 385 Millionen wuchsen schon frühe
Bäume. Spätestens im Karbon, also vor etwa 385 bis 300 Millionen Jahren,
gab es bereits gewaltige Tropenwälder, mit bis zu 40 Meter hohen Bäumen.
Wer diese urzeitliche Ökosysteme verstehen möchte, muss Fossilien von
Tieren und Pflanzen gleichermaßen betrachten. Leider werden nur selten
beide am selben Ort gefunden. Damit aus totem Material Fossilien entstehen
können, müssen zwar sowohl gestorbene Tiere als auch Pflanzen von Sediment
begraben werden. Allerdings ist der dafür optimale pH-Wert des einbettenden
Sediments unterschiedlich.
Um Nahrungsnetze nachvollziehen zu können, ist detektivischer Spürsinn
gefragt. In Utah zum Beispiel liegen umfangreiche [1][Dino-Fundstellen] aus
derselben Zeit nur einige Autostunde entfernt. Kombiniert man beide Funde,
erfährt man spannendes über den Speiseplan der Dinos. Große Bäume wie
Ginkgo, Palmfarne oder Koniferen waren die Leibspeise von Langhalssauriern.
Ihr eigener Nachwuchs, aber auch kleinere Arten ernährten sich lieber von
bodenbewohnenden Farnen und niedrig wachsenden Schachtelhalmen.
Doch es geht auch eine Nummer kleiner. Im Video-Interview zeigt Gee die
Bilder eines versteinerten Blattes mit eindeutigen Insektenfraßspuren. Die
Wundränder auf dem Blatt sind dunkel verschlossen, Spuren eines aktiven
Kampf gegen die Insekten und der Wundheilung vom Blatt.
## Schutz vor Pflanzenfressern
„Dank solcher Fossilien wissen wir, welche Pflanzenmechanismen es schon vor
vielen Millionen Jahren gab und lernen mehr über ihre Evolution“, sagt sie.
Ein weiteres Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Tieren und Pflanzen
ist die Entstehung von Dornen und Giften. Diese Abwehrmechanismen waren
eine Reaktion auf das Aufkommen von Pflanzenfressern vor etwa 420 Millionen
Jahren.
Die spannendsten und genausten Einblicke in prähistorische Ökosysteme
liefern aber [2][Vulkanausbrüche.] Die heiße Asche nimmt Tieren und
Pflanzen das Leben, erhält sie gleichzeitig für alle Ewigkeit. „Es ist als
hätten wir ein detailliertes Foto aus der Urzeit, ein perfektes Momentum
eines intakten Ökosystems aufgenommen durch einen Vulkan“, sagt Ludwig
Luthardt von Berlinern Museum für Naturkunde.
Der Paläobotaniker erforscht den v[3][ersteinerten Wald in Chemnitz.] Vor
291 Millionen Jahren wurden hier unzählige Tiere und Pflanzen von einer
gewaltigen Aschewolke bedeckt und in großer Detailtreue dreidimensional
konserviert. Frühe Hundertfüßer hinterließen ihre Fraßgänge und Exkremente
in den Baumstämmen. In der Laubstreu des Waldbodens wurden Fossilien von
Spinnentieren und ein Geißelskorpion gefunden. Sogar Pilze und
Überreste von zersetztem Totholz im Waldboden finden sich in Chemnitz.
„Wir können so die Nahrungsnetze eines stabilen Ökosystems nachzeichnen“,
erklärt er. Auch die Rolle einzelner Pflanzen in dem Urwald untersuchen der
Paläobotaniker und seine Kollegen – zum Beispiel von der bisher unbekannten
[4][Medullosa stellata.]
Optisch erinnert die Samenpflanze mit dem zehn Meter langen und eher dünnen
Stamm sowie den wedelförmigen Blättern an eine Palme. Vermutlich wuchs die
Pflanzen im Schatten noch größerer Bäume. Dank ihrer großen Blätter bekam
sie trotzdem genug Sonnenlicht. Saisonale Niederschläge und ein hoher
Grundwasserspiegel deckten den Wasserbedarf. Auch das regelmäßige Abwerfen
der Blätter konnten die Forschenden nachweisen.
„Die Pflanzen waren perfekt an das Leben in lichtarmer, feuchter Umgebung
angepasst und besetzten eine ähnliche ökologische Nische wie heutige
Blütenpflanzen in den Tropen und Subtropen“, sagt Luthardt. Als das Klima
einige Millionen Jahre später deutlich trockener wurde, starben sie aus.
## Nachweis von Klimaveränderungen
Ohnehin sind versteinerte Pflanzen eine ausgezeichnete Quelle zum Nachweis
von [5][Klimaveränderungen]. Ein einfaches Beispiel: Palmen zum Beispiel
sind und waren tropische oder subtropische Pflanzen. Wo ihre Spuren
gefunden werden, war es einst warm. Moderne Pflanzen haben außerdem in
wärmeren Regionen oft größere Blätter mit glatteren Rändern, während
Pflanzen in kühleren Gebieten kleinere Blätter mit gezackten Rändern haben.
Anhand von fossilen Blättern lässt sich also die ungefähre Temperatur der
Zeit abschätzen.
Ein paläbotanischer Lottogewinn sind aber fossile Pflanzenfunde aus der
gleichen Region, aber unterschiedlichen Zeitabschnitten. Mit ihrer Hilfe
lassen sich zum Beispiel klimabedingte Umwälzungen in Ökosystemen
ausmachen. Und davon gab es in der Erdgeschichte einige.
Im Perm, dem Zeitalter, aus dem auch der Chemnitzer Wald stammt, gab es in
Mitteleuropa anfangs ein tropisches Klima mit monsunartigen Regenfällen.
Gegen Ende der Epoche wandelte sich das Klima, es gab eine längere
Trockenphase, Urwälder verschwanden, neue Wüsten entstanden.
Interessant sind auch „jüngere“ Klimaumwälzungen wie das sogenannte
Paläozän-Eozän-Thermalmaximum. Vor knapp 56 Millionen Jahren setzten
geologische Prozesse gewaltige Massen von Kohlendioxid frei. Innerhalb von
10.000 Jahren stieg die Durchschnittstemperatur der Erde um vier bis acht
Grad Celsius. Die Ökosysteme der Erde veränderten sich deutlich,
Trockenperioden nahmen zu, die Meere wurden wärmer und saurer.
Pflanzenfossilien aus dieser Zeit deuten außerdem darauf hin, dass die
Vielfalt der Flora deutlich abnahm. Auch die Säugetiere und Meeresbewohner
wurden wieder deutlich kleiner. Die Auswirkungen dieses besonderen
Klimaereignisses sind durchaus mit dem menschgemachten Klimawandel
vergleichbar – vor allem dann, wenn es uns nicht gelingt, die Emissionen
deutlich zu senken und absolute Worst-Case-Szenarien wie das Abschmelzen
des gesamten, polaren Eisschildes eintreten.
Die Perspektive der Paläobotanik dient in diesem Fall nicht nur dem
Erkenntnisgewinn, sondern auch als Warnung vor den Folgen unseres Handelns.
19 Nov 2022
## LINKS
[1] /Palaeontologe-ueber-Suche-nach-Dinos/!5847422
[2] /Vulkanausbruch-veraendert-die-Welt/!5013154
[3] https://www.grabungsteam-chemnitz.de/
[4] https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/presse/pressemitteilungen/entdec…
[5] /Historiker-entdecken-das-Klima/!5852413
## AUTOREN
Birk Grüling
## TAGS
Paläontologie
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Asche
Klimaforschung
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