| # taz.de -- Historiker entdecken das Klima: Mit der Asche kam das Ende | |
| > Historiker nutzen Klimadaten für ihre Forschung. Die zeigt: Wenn | |
| > Supermächte untergingen, hing das oft auch von Änderungen des lokalen | |
| > Klimas ab. | |
| Bild: Schneebedeckter Vulkan in Ulanqab in China: Ausbrüche führten zum Sturz… | |
| Basel taz | Mit der Asche kam das Ende: Wissenschaftlerinnen und | |
| Wissenschaftler haben den Zusammenbruch der 68 chinesischen Königs- und | |
| Kaiserdynastien untersucht. In 62 davon gingen dem Kollaps einer oder | |
| mehrere Vulkanausbrüche voraus. Diese schleuderten Asche und Schwefel in | |
| die hohen Schichten der Atmosphäre und dimmten so das Sonnenlicht für die | |
| folgenden ein, zwei Jahre. | |
| In China wurde es daher kälter und die Niederschläge nahmen ab – oft mit | |
| dramatischen Folgen: „Da eine hochentwickelte Landwirtschaft für die | |
| Erhaltung der bevölkerungsreichen chinesischen Dynastien von entscheidender | |
| Bedeutung war, hatten abrupte klimatische Veränderungen und Wetterextreme | |
| das Potenzial, ihr politisches, wirtschaftliches und demografisches | |
| Funktionieren zu stören und den Zusammenbruch zu fördern“, [1][schreiben | |
| die Forscher um Chaochao Gao von der Zhejiang-Universität in dem | |
| Wissenschaftsmagazin Nature]. | |
| Die Herrscher hatten es aber nicht nur mit einer Naturkatastrophe zu tun, | |
| die die wirtschaftliche Grundlage ihrer Herrschaft destabilisierte. Sie | |
| verloren auch einen Teil ihrer Legitimation, des „Mandats des Himmels“. | |
| Wegen der Partikel in der Atmosphäre verfärbte sich der Himmel und | |
| Sonnenuntergänge wurden spektakulärer. Rivalen konnten diese Omen nutzen | |
| und argumentieren, der Herrscher habe das Wohlwollen der Götter verloren. | |
| Nur auf den Einfluss von Vulkanen dürfe man die vielen Zusammenbrüche | |
| chinesischer Dynastien zwar nicht zurückführen, die Autoren der Studie | |
| warnen vor „monokausalen oder umweltdeterministischen Erklärungen“. Reiner | |
| Zufall ist es aber wohl auch nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass in so | |
| vielen Fällen dem Kollaps zufällig eine Eruption vorausging, liegt bei | |
| weniger als 1: 2.000 und die Forscher kommen zu dem Schluss: „Vulkanisch | |
| bedingte Klimaschocks sollten nun einen prominenten Platz unter den | |
| Faktoren einnehmen, denen häufig eine Rolle bei solchen Ereignissen | |
| beigemessen wird.“ | |
| ## Neue interdisziplinare Fachrichtung | |
| Genau dafür will eine neue, interdisziplinäre Fachrichtung sorgen: die | |
| historische Klimatologie. „Das Neue an der historischen Klimatologie ist, | |
| dass sie mit historischen Quellen und Klimadaten das Klima für antike oder | |
| mittelalterliche Gesellschaften rekonstruiert und gleichzeitig etwas über | |
| die Effekte der Klimaveränderungen auf menschliche Gesellschaften sagen | |
| möchte“, sagt die Althistorikerin Sabine Huebner, die an der Universität | |
| Basel das [2][„Basel Climate Science and Ancient History Lab“] leitet. | |
| Neu ist auch die enge Zusammenarbeit von Historikern und | |
| Naturwissenschaftlern. Diese beruht nicht zuletzt auf den enormen | |
| Fortschritten bei der Erforschung des Klimas der Vergangenheit. „Als | |
| Historiker arbeiten wir mit Jahren und jetzt haben die Paläoklimatologen | |
| das gleiche Präzisionsniveau erreicht, was die Zusammenarbeit ermöglicht.“ | |
| Auch beim Vorgehen sieht Huebner Parallelen: „Die Art und Weise, wie | |
| Paläoklimatologen arbeiten, ist der eines Historikers ähnlich. Ihre Daten | |
| haben auch die gleichen Probleme wie unsere. Sie leiden genauso unter | |
| Ungenauigkeiten hinsichtlich Datierung, Herkunft und Interpretation.“ | |
| ## Folge waren Hungersnöte und Umstürze | |
| Angesichts des Potenzials der historischen Klimatologie herrscht bei vielen | |
| Wissenschaftlern Goldgräberstimmung. Joseph Manning von der US-Universität | |
| Yale schreibt: „Vor uns liegt die Möglichkeit, fast die gesamte menschliche | |
| Geschichte neu zu schreiben. Die Geschichte wird nie wieder allein auf | |
| geschriebenen Texten beruhen.“ Ein Beispiel dafür ist eine Studie Mannings, | |
| in der er zeigt, dass nach dem Ausbruch des Okmok in Alaska im Jahr 43 vor | |
| Christus die Temperatur in Italien um 3 bis 7 Grad niedriger war als sonst. | |
| Die Folge waren Hungersnöte, die zum Untergang von zwei Supermächten | |
| beitrugen: Die Römische Republik wich dem römischen Kaiserreich und das | |
| Königreich der Ptolemäer endete mit Kleopatra. Ob derlei Erkenntnissen | |
| kommt der Historiker John McNeill von der US-Universität Georgetown | |
| regelrecht ins Schwärmen: Das Potenzial des historisch-klimatologischen | |
| Ansatzes sei „potenziell revolutionär, und wie viele Revolutionen voller | |
| Gefahren, aber auch voller Versprechen“. | |
| ## Entwicklung von Anpassungsstrategien | |
| Eines dieser Versprechen ist die Möglichkeit, aus der Geschichte für den | |
| Umgang mit dem heutigen Klimawandel zu lernen. „Man sieht, wie widerstands- | |
| und anpassungsfähig antike Gesellschaften waren und manche waren halt | |
| besser aufgestellt als andere. Das lässt sich auf heute übertragen“, sagt | |
| Professorin Huebner. Daher sei es „wichtig, früh mit der Entwicklung von | |
| Anpassungsstrategien zu beginnen“. | |
| Für den Paläoklimatologe Dominik Fleitmann von der Universität Basel müssen | |
| wir dabei insbesondere auf die Komplexität unserer Gesellschaften achten: | |
| „Je komplexer das System ist, umso langsamer reagiert es und umso | |
| anfälliger ist es. Komplexität ist wunderbar, solange es keine Störung | |
| gibt, aber komplexe Systeme haben die Tendenz zu kollabieren.“ | |
| Im Gegensatz zu früheren Gesellschaften, für die das Klima mitsamt | |
| dramatischer Folgen gottgegeben war, hat die Menschheit heute allerdings | |
| noch eine einmalige Option: Sie kann ihre eigenen Treibhausgasemissionen | |
| senken – und das Aufheizen der Erde stoppen. | |
| 16 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.nature.com/articles/s43247-021-00284-7.pdf | |
| [2] https://ancientclimate.philhist.unibas.ch/de/lab/ | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Müller | |
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