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# taz.de -- Vulkanausbruch verändert die Welt: Apokalypse damals
> Vor gut 200 Jahren explodierte der indonesische Vulkan Tambora. Die Asche
> verfinsterte den Globus. Es gab keinen Sommer, nur Hunger.
Bild: Der feuerspeiende Vulkan Krakatoa auf der indonesischen Insel Sumatra
Am 10. April gegen 19 Uhr brach am Tambora die Hölle los. Unter Brüllen und
Donnern begann der Berg Feuersäulen auszustoßen, es regnete eine Mischung
aus heißem Schlamm, Asche und Bimsstein. Immer wieder rasten Glutwolken die
Hänge hinab, Lawinen aus heißem Gas und Gesteinsstaub, die alles in ihrer
Bahn vernichteten. Innerhalb von Stunden war sämtliches Leben in der
Umgebung ausgelöscht und von Asche bedeckt.
Noch 16 Jahre nach dem Ausbruch notierte ein Beamter der holländischen
Handelsmarine: „In ihrer Raserei hat die Eruption von den Bewohnern nicht
eine einzige Person, von der Fauna nicht einen Wurm, von der Flora nicht
einen Grashalm verschont.“
Der Vulkanausbruch auf der indonesischen Insel Sumbawa, vor genau 200
Jahren, war der stärkste der Geschichte. Zehntausende Menschen fielen ihm
direkt oder durch Hunger und Krankheiten zum Opfer. Dass aber die Eruption
auch entfernte Teile der Welt ins Chaos stürzen könnte, ahnte niemand.
Doch die gewaltige Menge an Aerosolen, die der Vulkan ausgestoßen hatte,
breitete sich aus, stieg in die Stratosphäre in zwanzig bis dreißig
Kilometer Höhe, schirmte dort einen Großteil der Sonnenstrahlung ab und
verursachte einen drei Jahre dauernden globalen vulkanischen Winter. Die
mittleren Breiten waren besonders betroffen, vor allem Mitteleuropa, der
Osten Amerikas und große Teile Südostasiens.
Es war das „Jahr ohne Sommer“, wie es in Amerika hieß, auch
„Achtzehnhundertunderfroren“ genannt. Und es waren die größten
gesellschaftlichen Turbulenzen, die jemals ein Naturereignis hervorgerufen
hat.
In Europa traf die Wolke auf einen Kontinent, der nach zwanzig Jahren
napoleonischer Kriege ohnehin am Rand der Erschöpfung war. Die Völker waren
ausgeblutet; Hunderttausende waren auf den Schlachtfeldern gestorben,
Zehntausende entlassener Veteranen irrten umher und suchten Arbeit. Dazu
kam, dass sich schon in den Vorjahren das Klima drastisch verschlechtert
hatte.
## Das Wetter spielt verrückt
Bereits die Jahre ab 1810 waren ungewöhnlich kalt gewesen und hatten in
aufeinanderfolgenden Jahren schlechte Ernten verursacht – sodass etwa in
Württemberg die Getreidevorräte der Gemeinden längst aufgezehrt waren.
Inzwischen weiß man, dass es bereits Ende 1808 oder Anfang 1809 einen
großen Vulkanausbruch gab, der bis heute nicht lokalisiert ist, dessen
Niederschlag sich aber in den Eisbohrkernen nachweisen lässt.
Ab 1816 geriet das Wetter dann völlig aus den Fugen. Schnee und Eis blieben
monatelang liegen; es wurde nicht Frühling, es wurde nicht Sommer, das
kümmerliche Getreide verfaulte an den Halmen. In manchen Gegenden gab es
wochenlange Regenfälle und heftige Überschwemmungen; fast überall wurde der
kälteste Sommer seit Menschengedenken registriert. In London fiel die
Durchschnittstemperatur, die in den Jahren 1807 bis 1815 bei 10 Grad
Celsius gelegen hatte, auf unter 4 Grad.
Überall hungerten Menschen. Ein Heer von Bettlern, Flüchtlingen und
Entwurzelten irrlichterte durch Europas Städte und Landstriche. 1817 war in
der Schweiz das Getreide dreimal so teuer wie im Vorjahr; Brot wurde zum
Luxus. Grauenhafte Szenen spielten sich ab. Bauern strömten in die
Marktflecken, um irgendwie an etwas Essbares zu gelangen; Menschen
versuchten ihre Kinder zu verkaufen, weil sie sie nicht ernähren konnten.
## Halb verfaulte Kartoffeln
Der preußische Stabschef Carl von Clausewitz, der im Frühling 1817 durch
das Rheinland ritt, sah „stark geschwächtes Volk, kaum mehr menschlich, das
auf der Suche nach halb verfaulten Kartoffeln über die Äcker lief“.
Doch so furchtbar diese Jahre für Millionen von Menschen waren – einige von
denen, die nicht direkt am Verhungern waren, verarbeiteten das Geschehen
kreativ. Das berühmteste Beispiel ist die Dichterclique um Lord Byron und
Mary Shelley, die den ausgefallenen Sommer 1816 in Coligny am Genfer See
verbrachte.
Byron schrieb, inspiriert durch das apokalyptische Wetter, sein Gedicht
„Darkness“ – eine sprachgewaltige, von absoluter Hoffnungslosigkeit
durchdrungene Weltuntergangsfantasie: „Das Licht verzweifelte, die Menschen
sahn / unirdisch aus, als schlügen Blitze ein; / die einen fielen nieder
und verhüllten / die Augen um zu weinen; andre stützten / das Kinn in ihre
Hände, heiter fast; / noch andre eilten eifrig hin und her, / nährten die
Scheiterhaufen, schauten wie / vom Wahn gehetzt empor zum trüben Himmel, /
dem Leichentuch einer vergangenen Welt.“
Vor allem aber brachten diese sturmumtosten Monate am Genfer See zwei der
berühmtesten Monster der Literaturgeschichte hervor: Mary Shelleys Roman
„Frankenstein“ und die Kurzgeschichte „Der Vampyr“ von Byrons Freund Jo…
Polidori.
## Monster der Literatur
Durch den endlosen Regen ans Haus gebunden, hatten die Freunde eines Abends
vereinbart, dass jeder von ihnen eine Schauergeschichte erfinden solle. Da
hatte Mary Shelley die Eingebung zu der Geschichte des Dr. Frankenstein und
seines Monsters – die mit Sicherheit auch durch die Begegnungen mit den
hungerleidenden, „halbdeformierten oder verblödeten“ Bauernkindern
inspiriert war, auf die die Schriftsteller allerorten trafen.
Erstaunliche Folgen hatte der Ausbruch für die Malerei. Der Vulkanstaub
bewirkte ungewöhnliche Himmelserscheinungen, vor allem spektakuläre
Sonnenuntergänge. Landschaftsmaler begannen Himmel und Wolken in
leuchtenden Gelb- und Orangetönen zu malen, wie man sie zuvor kaum gesehen
hatte. Der griechische Atmosphärenchemiker Christos Zeferos wies 2007 in
einer Studie nach, dass zahlreiche Bilder von William Turner, Caspar David
Friedrich und Claude Lorrain, die zwischen 1812 und 1835 gemalt wurden,
durch den Vulkanstaub beeinflusst waren: Das Farbenverhältnis dieser
Gemälde korrelierte statistisch signifikant mit der „optischen Tiefe“ der
Aerosole sowie dem „Dust Veil Index“, einer Messgröße für den Vulkanstaub
in der Luft.
Auch die Erfindung des Fahrrads verdankt sich letztlich diesen trüben
Jahren. Weil kaum ein Bauer sich noch ein Pferd leisten konnte,
experimentierte der badische Erfinder Karl Drais mit muskelbetriebenen
Fahrzeugen. Bereits seit 1813 hatte er an dem Prototyp eines zweispurigen
Fahrzeugs gebaut; anschließend entwickelte er sein bekanntes Laufrad. Im
Juni 1817 unternahm er in Mannheim seine erste öffentliche Fahrt mit dem
bald „Veloziped“ genannten Gefährt: Schnellfuß.
## Späte Erkenntnisse
Der Ausbruch des Tambora war ein globales Trauma. Es betraf die ganze Welt;
aber weil die Welt noch nicht vernetzt war, merkte sie es nicht. Erst 1921
erkannte der amerikanische Physiker William Humphreys, dass es der Vulkan
in Indonesien gewesen war, der so viel Unheil angerichtet hatte.
Wie würde eine ähnliche Krise heute wirken? Die Welt wäre in Echtzeit über
jedes Detail informiert. Aber würde es auch eine globale Reaktion geben?
Byron hatte noch die bittere Vorahnung, angesichts der Katastrophe würde
der dünne Schleier der Zivilisation jederzeit zerreißen: „Der Krieg, für
einen Nu nur nicht mehr da / er fraß sich wieder satt: mit Blut erkauft /
ein Mahl, ein jeder saß verstockt für sich …“
Die Klimakatastrophe von 1816 war zwar fürchterlich, aber doch zeitlich
begrenzt. Sie könnte dennoch ein Vorgeschmack darauf sein, was uns droht,
falls das Weltklima in den kommenden Jahrzehnten endgültig kippen sollte.
Denn dann ist die Sache nicht nach drei Jahren ausgestanden.
11 Apr 2015
## AUTOREN
Martin Rasper
## TAGS
Indonesien
Schwerpunkt Klimawandel
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