# taz.de -- Sport im Iran: Mullahs spielen nicht | |
> Unterdrückung von Athleten und Athletinnen ist nichts Neues in Iran. Doch | |
> auch im Sport stellt sich nun die Machtfrage. | |
Bild: Per Sitzstreik erkämpften Iranerinnen 2018, das Teheraner Azadistadion b… | |
Es ist das jüngste Symbolbild für die Unterdrückung von Sportlerinnen und | |
Sportlern sowie weibliche Sportbegeisterung in Iran. Das Foto der | |
iranischen Sportkletterin [1][Elnaz Rekabi], die ohne Schleier und mit frei | |
wippendem Pferdeschwanz Mitte Oktober bei den Asienmeisterschaften in Seoul | |
angetreten war, ging um die Welt. Mittlerweile steht die 33-Jährige wohl | |
unter Hausarrest. | |
Vor Rekabis Foto hatte es schon andere Bilder gegeben, die von Repression | |
berichteten, oft von tödlicher. Eines zeigte den im August 2020 | |
hingerichteten Ringer [2][Navid Afkari], dem die iranischen Behörden | |
vorwarfen, bei einer Demonstration 2018 einen Sicherheitsbeamten erstochen | |
zu haben. Wenige Monate später, im Januar 2022, wurde der Ringer Mehdi Ali | |
Hosseini aufgrund seiner Teilnahme an einer regierungskritischen | |
Demonstration gehängt. Auch der Boxer Ali Mutairi wurde im Januar dieses | |
Jahres vom Regime hingerichtet. | |
Seit ihrer Machtübernahme vor über 40 Jahren unterdrückt Irans Führung auch | |
Sportler und Sportlerinnen. Als im Februar 1979 die Islamische Revolution | |
gesiegt hatte, übernahm die neue Regierung sofort die Kontrolle über das | |
gesamte Sportgeschehen des Landes. Der Frauen- und Mädchensport wurde | |
zunächst komplett verboten, später teilweise erlaubt. [3][Frauenfußball], | |
in den Siebzigern populär, wurde erst in den Nullerjahren zögerlich wieder | |
zugelassen. | |
Die verbliebenen Männervereine wurden dem Militär, den Sicherheitskräften | |
oder Ministerien zugeordnet. Die Profifußballliga wurde abgeschafft und | |
durch Provinzmeisterschaften ersetzt, deren Gewinnerteams dann um den | |
Landesmeistertitel spielten. Äußeres Zeichen dieser Übernahme waren | |
zwangsweise Namensänderungen: Aus dem bekanntesten Fußballverein des | |
Landes, Persepolis Teheran, wurde Pirusi („Sieg“), allerdings nur bis 2012, | |
aus Taj Teheran wurde Esteghlal („Unabhängigkeit“). Wesentlich mehr | |
Sportpolitik gab es in der Islamischen Republik nicht. | |
Nicht geflüchtete ehemalige Sportfunktionäre lebten zudem gefährlich: Ali | |
Hojjat Kashani, während des Schahregimes für die Asienspiele 1974 in | |
Teheran mitverantwortlich, wurde im April 1979 nach eintägigem | |
Massenprozess hingerichtet. Verteidiger, entlastende Zeugenaussagen oder | |
Revisionen gab es nicht, die Exekutionen fanden sofort nach den Urteilen | |
statt. Der Richter warf ihm unter anderem vor, mit der Sportförderung „die | |
Jugend in die Irre geführt“ zu haben. | |
Der mehrmalige iranische Ringermeister Hooshang Montazeralzohoor wurde 1981 | |
verhaftet und von einem Exekutionskommando erschossen, weil er Mitglied der | |
Volksmudschaheddin gewesen sei. | |
## Die ermordete Nationalspielerin | |
Auch Foruzan Abdi war 1981 mit dieser Begründung verhaftet worden. Die | |
Kapitänin des Volleyballnationalteams wurde zu fünf Jahren Gefängnis | |
verurteilt, jedoch nach Haftende nicht freigelassen. Mitgefangene | |
berichteten später, dass Adbi sich für die Rechte der Gefangenen einsetzte | |
und sogar Volleyballturniere für sie organisieren konnte. 1988 wurden auf | |
Weisung von Ajatollah Khomeini binnen fünf Monaten 30.000 politische | |
Gefangene hingerichtet. Foruzan Abdi, damals 31 Jahre alt, gehörte zu den | |
Opfern. | |
Unter den Exekutierten war auch der Fußballer Mahshid Razaghi, Mitglied der | |
Olympiaauswahl, die sich 1980 für die Spiele in Moskau qualifiziert hatte, | |
aber boykottbedingt nicht antrat. Razaghi war wegen des Verkaufs | |
regierungsfeindlicher Zeitungen verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis | |
verurteilt worden, kam wie Abdi jedoch anschließend nicht frei. | |
Der Fußballnationalspieler Habib Khabiri wurde 1983 verhaftet. Angeblich | |
war auch er Mitglied der Volksmudschaheddin. 1984 ließ ihn das Regime | |
hinrichten. | |
## Plötzlich wird ein bisschen Sport erlaubt | |
Die Haltung der Mullahs gegenüber dem Sport änderte sich erst Ende der | |
achtziger Jahre. Sie erkannten, „dass die nach der Revolution verfolgte | |
Politik, alle Formen der Unterhaltung zu verbieten, zum Scheitern | |
verurteilt war“, wie es in einem Papier von Sportwissenschaftlern der | |
Universität von Mazandaran heißt. | |
1993 wurde ein dritter Fernsehkanal eingerichtet, der vor allem Sport | |
überträgt, dazu gibt es fast ein Dutzend Sportzeitungen. Gleichfalls 1993 | |
fanden erstmals in Teheran die „Islamspiele der Frauen“ statt. Zur letzten | |
Auflage dieser Spiele 2005 kamen 1.316 Sportlerinnen aus 44 Ländern, auch | |
aus Deutschland, Großbritannien und den USA. | |
Die langsame sportliche Öffnung lässt sich auch am Beispiel der | |
Fußballnationalmannschaft der Männer zeigen: 1982 sagte die politische | |
Führung des Iran die Qualifikationsspiele zur WM in Spanien ab. An der | |
Quali zur WM 1986 in Mexiko nahm das Land nicht teil, weil es sich | |
geweigert hatte, zu Spielen anzutreten, die die Fifa wegen des | |
Iran-Irak-Kriegs auf neutralen Boden verlegt hatte. Für die WM 1990 in | |
Italien und 1994 in den USA konnte sich das iranische Team nicht | |
qualifizieren. Dass Spiele der 94er-WM im TV übertragen wurden, sorgte | |
innerhalb des Regimes für Auseinandersetzungen. Das staatliche Fernsehen | |
mache Propaganda für das verhasste Amerika, hieß es. | |
1998 in Frankreich war Iran endlich bei einer Fußball-WM vertreten. | |
Vielleicht war der international viel beachtete 2:1-Sieg des Teams über die | |
USA bei dieser WM die Initialzündung, jedenfalls setzte das Regime etwa ab | |
der Jahrtausendwende verstärkt auf internationale Repräsentanz, vor allem | |
im Fußball und bei olympischen Sportarten. Ministerien und Behörden wurden | |
geschaffen, Zuständigkeiten neu definiert und hin- und hergeschoben. Die | |
Regierung suchte nach einem Weg, im Sport Erfolge zu feiern und zugleich | |
ihr Regime und seine aggressive Außenpolitik zu stützen. | |
Als 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen dem Judoweltmeister Arash | |
Miresmaeili als Gegner der Israeli Ehud Vaks zugelost wurde, trat der | |
haushohe Favorit aus Iran nicht an. Miresmaeili sei „ein Quell des Stolzes | |
für das Land“, lobte ihn Staatspräsident Mohammad Khatami. Ähnlich wurde | |
der Sport 2008 in Peking instrumentalisiert: Der iranische Schwimmer | |
Mohammad Alirezaei weigerte sich, mit einem israelischen Schwimmer das | |
Becken zu teilen. Das IOC reagierte auf diese antisemitischen Boykotte | |
nicht, weder die iranischen Sportler noch die Funktionäre wurden bestraft. | |
## Verbände üben Nachsicht | |
Mit Nachsicht reagieren die internationalen Sportverbände seit Jahrzehnten | |
auf die iranische Unterdrückung von Frauen. Seit 1979 ist es ihnen | |
verboten, bei Männerfußballspielen zuzuschauen, 2012 wurde das Verbot auf | |
Volleyballmatches ausgedehnt. Als 2014 die britische und iranische | |
Staatsbürgerin Ghoncheh Ghavami ein Männervolleyballspiel sehen wollte, | |
wurde sie zu einem Jahr Haft verurteilt. | |
Gerade im Fußball sind die – oft erfolgreichen – Versuche von Frauen, sich | |
Zugang zu Männerspielen zu verschaffen, von enormer politischer Bedeutung. | |
Als sich die Männerelf 1998 für die WM qualifizierte, nutzten 5.000 Frauen | |
die chaotische Situation, um das Stadion, in dem die Elf geehrt wurde, zu | |
stürmen. Während 2018 Fifa-Präsident Gianni Infantino gemeinsam mit | |
Staatspräsident Hassan Rohani das Teheraner Derby besuchte, wurden vor dem | |
Stadion 35 Frauen verhaftet. Bei der Fußball-WM 2018 hatten etwa 500 | |
Iranerinnen durch einen Sitzstreik erreicht, dass sie bei einem Public | |
Viewing im Teheraner Azadistadion das WM-Spiel Iran–Spanien sehen durften. | |
Andere iranische Frauen waren gleich zum Austragungsort, in das etwa 2.000 | |
Kilometer entfernte russische Kasan gereist. | |
Diese Erfolge mutiger Frauen führten allerdings nicht zu dauerhaftem | |
Sportzugang. 2020 wurde die frühere Vizestaatspräsidentin, Shahindokht | |
Molaverdi, zu 30 Monaten Haft verurteilt. Unter anderem hatte sie sich für | |
das Recht von Frauen eingesetzt, bei Sportveranstaltungen zuzuschauen. | |
Ein Jahr zuvor hatte sich die 29-jährige [4][Sahar Khodayari] aus Protest | |
selbst verbrannt, nachdem sie als Mann verkleidet ein Spiel ihres | |
Lieblingsklubs Esteghlal Teheran besuchte und festgenommen wurde. Ihr | |
drohte eine Haftstrafe wegen „Beleidigung der öffentlichen Ordnung“. Bilder | |
der wegen ihrer blauen Vereinskleidung „dochtare abi“, „das blaue Mädche… | |
genannten Frau gingen um die Welt. Vor dem nächsten Ligaspiel betrat das | |
Team von Esteghlal mit T-Shirts, auf denen der Schriftzug „dochtare abi“ | |
und ein blaues Herz zu sehen waren, das Stadion. Solche Formen der | |
Solidarität männlicher Spitzenfußballer gibt es auch bei den aktuellen | |
Protesten der iranischen Frauenbewegung. | |
## Zugeständnisse, doch Proteste gehen weiter | |
Nun versucht das Regime, den aktuellen Frauenprotesten mit [5][sportlichen | |
Zugeständnissen] die Kraft zu nehmen. Ende August wurden erstmals 30 | |
Prozent der Plätze für die Partie Esteghlal Teheran gegen Mes Kerman Frauen | |
vorbehalten. 28.000 Zuschauerinnen durften das Match sehen. Das iranische | |
Sportministerium verkündete, falls das Ergebnis positiv sein sollte, werde | |
man demnächst auch in anderen Städten Frauen Zutritt in die Stadien | |
gewähren. | |
Dass solche halbherzigen und nur auf enormen Druck erfolgenden Schritte ein | |
Ende der Repression ankündigen, lässt sich nicht behaupten. Nicht nur der | |
Hausarrest für die Sportkletterin Elnaz Rekabi zeugt davon. | |
Die iranische Frauenrechtsgruppe Open Stadiums fordert von der Fifa den | |
Ausschluss des iranischen Teams von der WM in Katar. Wenn die WM mit dem | |
Teilnehmer Iran angepfiffen wird, sind sich die Frauen sicher, wird nämlich | |
wieder Schluss sein mit den kleinen Lockerungen für weibliche Fans in Iran. | |
28 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Elke Wittich | |
Martin Krauss | |
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