| # taz.de -- Unglück bei Halloween-Party in Südkorea: Erdrückt in engen Gassen | |
| > Was die Party des Jahres werden sollte, wurde zur Tragödie: 150 Menschen | |
| > starben bei einer Massenpanik im Ausgehviertel Itaewon von Seoul. | |
| Bild: Trauer in Südkoreas Hauptstadt. Hier wurden 150 Menschen erdrückt | |
| Peking taz | Am Tag nach der Tragödie zeigt sich das Seouler Ausgehviertel | |
| Itaewon gespenstisch leer: Polizisten haben die kleine Seitengasse | |
| abgeriegelt, Trauernde an den Absperrungen Blumensträuße niedergelegt. Nur | |
| Stunden zuvor haben hier viele Menschen auf grausame Weise ihr junges Leben | |
| verloren: Auf Smartphone-Aufnahmen von Zeugen ist zu sehen, wie die Opfer | |
| zu Dutzenden unter blauen Plastikplanen am Straßenrand aufgereiht wurden. | |
| Andernorts stülpten Rettungskräfte behelfsmäßig die Hemden über die | |
| reglosen Gesichter der Verstorbenen – um zu signalisieren, dass sie nicht | |
| mehr am Leben sind. | |
| Es hätte die größte Party des Jahres werden sollen. Doch stattdessen endete | |
| die diesjährige Halloween-Feier in Itaewon in einer nationalen Tragödie: | |
| Über 150 Personen sind nach einer offensichtlichen Massenpanik ums Leben | |
| gekommen, mehr als 80 weitere wurden zum Teil sehr schwer verletzt. Unter | |
| den Opfern befanden sich vor allem junge Südkoreaner in ihren 20ern, zwei | |
| Drittel von ihnen weiblich. Auch 20 Ausländer sind bei der Tragödie ums | |
| Leben gekommen. | |
| Die ganz genauen Umstände sind nach wie vor nicht geklärt. Zunächst meldete | |
| die Nachrichtenagentur Yonhap dutzende Herzstillstände unter Partygängern | |
| in Itaewon, worauf sich umgehend Gerüchte verbreiteten, dass ein dortiger | |
| Nachtclub mit Drogen versetzte Halloween-Süßigkeiten verteilt haben könnte. | |
| Doch nach jetzigem Wissensstand scheint eine andere Theorie wesentlich | |
| wahrscheinlicher: Über 100.000 Feierwütige sind am Wochenende ins Viertel | |
| gezogen. Gegen frühen Abend waren die engen Gassen entlang der Kneipen und | |
| Clubs bereits derart dicht bevölkert, dass kaum ein Fortkommen möglich war. | |
| Als die Menschen plötzlich in eine kleine Seitengasse strömten, kam es dort | |
| offenbar zu einer Massenpanik: Auf Videos ist zu sehen, wie einige junge | |
| Männer verzweifelt versuchen, an den Wänden hochzuklettern, um dem | |
| erdrückenden Mob zu entgehen „Glücklicherweise waren wir nicht unter den | |
| Menschenmassen“, schreibt eine junge Frau auf ihrem Instagram-Account: „In | |
| Itaewon ist es zwar jedes Jahr extrem voll, aber dieses Jahr war es einfach | |
| nur verrückt“. | |
| ## Symbol für Freiheit und Hedonismus | |
| Der lokale Fernsehsender SBS interviewte noch in der Nacht auf Sonntag | |
| mehrere Augenzeugen, die davon berichteten, dass sie an den Verletzten auf | |
| der Straße verzweifelte Wiederbelebungsmaßnahmen durchführten, da sich die | |
| Rettungskräfte nicht rechtzeitig ihren Weg durch die Menschenmassen hätten | |
| bahnen können. Über 140 Einsatzfahrzeuge waren in jenen Stunden im Einsatz. | |
| Das alljährliche Halloween-Festival in Itaewon war die erste große Feier, | |
| nachdem die strengen Covid-Auflagen in Südkorea gelockert wurden. Ohne | |
| Maskenpflicht und Sperrstunde hatte sich unter vielen Koreanern ein | |
| immenser Drang zum ausgelassenen Feiern angestaut, der an diesem Wochenende | |
| ein Ventil finden sollte: Über 100.000 Menschen in bunten Kostümen zogen in | |
| die Ausgehmeile. | |
| Das Itaewon-Viertel ist in Südkorea ein Symbol für Freiheit, Hedonismus und | |
| Multikulti. Älteren Konservativen gilt es als Sündenpfuhl. Ohne Frage | |
| jedoch ist es ein weltweit einmaliger Kiez: Zwischen einer US-Militärbasis | |
| und der größten Moschee des Landes befinden sich hunderte Bars, Clubs und | |
| Restaurants. Entlang eines Hügels schmiegen sich Schwulen-Kneipen, | |
| Rotlicht-Salons und Halal-Lokale dicht nebeneinander. Und in keiner Nacht | |
| des Jahres zieht das Viertel mehr junge Menschen an als zum | |
| Halloween-Wochenende. | |
| Bis tief in die Nacht boten sich dort den Reportern am Unglücksort surreale | |
| Szenen: Während die Leichen in Rettungsfahrzeugen abtransportiert wurden | |
| und schockierte Passanten in Tränen ausbrachen, tanzten nur einen Steinwurf | |
| entfernt Partygäste in der Fußgängerzone ausgelassen weiter – offenbar zu | |
| betrunken, um zu realisieren, dass sich nur kurz zuvor eine der größten | |
| Tragödien der jüngeren Geschichte Südkoreas ereignet hat. | |
| ## Erinnerungen an das Fährunglück von 2014 | |
| Präsident [1][Yoon Suk-yeol], dessen Amtssitz nur wenige Gehminuten vom | |
| Unglücksort entfernt ist, hat in der Nacht auf Sonntag zwei Krisensitzungen | |
| einberufen und die umliegenden Spitäler angewiesen, Notfallbetten | |
| vorzubereiten. Seouls Bürgermeister Oh Se-hoon, der sich derzeit auf | |
| Europa-Besuch befindet, hat umgehend sämtliche Termine abgesagt und den | |
| nächsten Flieger in die Heimat genommen. | |
| Doch sobald die akute Trauer der Koreaner abgeklungen ist, werden sich die | |
| Verantwortlichen wohl einige unangenehme Fragen stellen lassen müssen – | |
| etwa, warum laut Berichten nur 200 Polizisten für das Viertel abkommandiert | |
| wurden. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Stadtregierung in | |
| Seoul bei regelmäßigen politischen Protesten auf dem zentralen | |
| Gwanghwamun-Platz oftmals mehr Polizisten als erwartete Demonstranten | |
| entsendet. | |
| Die Ereignisse vom Samstag werden in Südkorea zweifelsohne als die | |
| schwerste nationale Tragödie seit genau acht Jahren in die Geschichtsbücher | |
| eingehen. Zuletzt sind 2014 bei einem – durch menschliches Versagen und | |
| Korruption verursachten – [2][Schiffsunglück] knapp 300 Südkoreaner | |
| ertrunken, der absolute Großteil von ihnen Teenager während eines | |
| Schulausflugs. | |
| Wie viele Kommentatoren anmerkten, handelt es sich bei den Toten der | |
| Sewol-Fähre just um dieselbe Generation, die heute Anfang 20 ist – und | |
| damit zu jenen Partygästen zählt, die in Itaewon überproportional ihr Leben | |
| ließen. Es fühlt sich in der kollektiven Psyche der Koreaner an, als hätte | |
| die Gesellschaft es zweimal verpasst, ihre Jugend zu schützen. | |
| 30 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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