# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Südkorea: Femizid im U-Bahnhof | |
> In Südkorea wurde erneut eine Frau von ihrem Stalker ermordet. Doch die | |
> Gewalt gegen Frauen wird dort weiterhin verharmlost. | |
Bild: Demonstration gegen sexuelle Gewalt am Internationalen Tag der Frau in Se… | |
PEKING taz | Vor der U-Bahn-Toilette ist ein provisorischer Gedenkaltar: | |
Dutzende Blumensträuße stapeln sich auf dem Boden, die gelben Fliesen | |
bedecken Hunderte bunte Notizzettel. Darauf haben Bewohner der | |
südkoreanischen Hauptstadt Seoul ihre Verzweiflung und Wut geschrieben: | |
„Femizide sind die Norm in Südkorea“, heißt es auf einem der unzähligen | |
Zettel. | |
Am Mittwochabend lauerte in den Gängen der U-Bahn-Station Sindang ein | |
31-jähriger Mann seinem Opfer auf. Er wartete 70 Minuten, bis die | |
Angestellte der Metro die Damentoilette aufsuchte. Dort stach er sie | |
nieder. Noch in der Nacht starb die Frau. | |
Ihr tragischer Tod ist kein Einzelfall. Die linke Tageszeitung Hankyoreh | |
wertete schon Ende 2021 500 Morde an Frauen aus und stellte fest, dass bei | |
über einem Drittel aller Femizide der Täter schon zuvor durch Gewalt | |
aufgefallen war. | |
Auch beim Mord an der Station Sindang war das der Fall. Täter und Opfer | |
waren einst Arbeitskollegen. Er stalkte die Frau mehrere Jahre und drohte | |
ihr zuletzt damit, illegale Filmaufnahmen von ihr ins Internet hochzuladen, | |
wenn sie sich weiter seinen Annäherungen verweigere. | |
## Die Bedrohte bekam keinen offiziellen Schutz | |
Die Bedrohte erstattete zweimal Anzeige, doch fand sie keinen Schutz: Denn | |
eine einstweilige Verfügung gegen den Mann wurde stets abgelehnt. | |
In Südkoreas sozialen Medien stößt der Fall auf große Resonanz. Viele junge | |
Frauen reagieren mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Wut. Denn seit | |
Jahren prangen nahezu im Wochentakt brutale Femizide auf den Titelseiten | |
der Zeitungen, ohne dass das männliche Establishment der patriarchal | |
geprägten Gesellschaft das Problem wirklich anerkennt. | |
Auch jetzt argumentieren viele Politiker erneut mit klassischer | |
Täter-Opfer-Umkehr: Ein Abgeordneter sagte etwa im Parlament, der Täter | |
habe so gehandelt, „da die Frau seine Annäherungen nicht erwidert“ habe. | |
Erst Ende August publizierte die Regierung unter der Ägide des Ministeriums | |
für Gleichstellung eine Studie, nach der jede dritte Koreanerin schon | |
Gewalt erfahren habe. In fast 50 Prozent der Fälle sei der Täter der | |
jeweilige Partner oder Ehemann gewesen. | |
## Ministerium geht verschämt mit Erkenntnissen um | |
Doch noch beschämender ist der Umgang mit diesen Erkenntnissen: Die | |
Erhebung wurde nur still und heimlich auf der Ministeriums-Webseite | |
publiziert. Die sonst übliche Presseerklärung samt einer Pressekonferenz | |
gab es nicht. | |
Das dürfte politische Gründe haben. Denn ebenjenes Ministerium für | |
Gleichstellung, das sich für die Belange von Frauen einsetzt, soll unter | |
dem seit Frühjahr amtierenden Präsidenten Yoon Suk Yeol abgeschafft werden. | |
Der konservative Politiker hatte [1][mit diesem Wahlversprechen gezielt | |
junge Männer angesprochen], von denen viele ihre Ablehnung des Feminismus | |
eint. Die Botschaft verfing: Während knapp 60 Prozent der männlichen Wähler | |
in ihren Zwanzigern für Yoon stimmten, waren es unter den Frauen dieser | |
Altersgruppe nur 33 Prozent. | |
„Dass Frauen diskriminiert werden, während Männer bevorzugt behandelt | |
werden, gehört der Vergangenheit an“, sagte Yoon zuletzt. Doch das lässt | |
sich leicht falsifizieren: Unter allen OECD-Staaten hat Südkorea das | |
stärkste Einkommensgefälle zwischen den Geschlechtern. | |
## Präsident steht für „schädliche Geschlechterstereotype“ | |
„Yoons misogyne Perspektiven spiegeln die schädlichen | |
Geschlechterstereotype wider, von denen Südkoreas Gesellschaft so | |
durchdrungen ist“, sagte damals Boram Jang von Amnesty International, „Sie | |
basieren auf der Überzeugung, Frauen seien keine vollwertigen Menschen mit | |
denselben Rechten.“ | |
Nicht wenige Frauen in Südkorea sehen darin den politischen Nährboden, in | |
dem die Gewalt toxischer Männer gedeihen kann. Der jüngste Femizid hat nun | |
zumindest eine gesellschaftliche Debatte angestoßen. | |
Zum Tatort in der U-Bahn-Station Sindang strömen nach wie vor Hunderte | |
Koreanerinnen, um ihre Trauer auszudrücken. | |
19 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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