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# taz.de -- Wirtschaftssenator über Energiewende: „Die Krise dauert ein, zwe…
> Wenn die Firmen ihre Abhängigkeit von fossilen Energien beendet haben,
> geht es wieder aufwärts, sagt Berlins Wirtschaftssenator Schwarz
> (parteilos).
Bild: „Ich bin ja mit einer Mission angetreten“: Wirtschaftssenator Stephan…
taz: Herr Schwarz, wie beurteilt der – ehemalige – Unternehmer Stephan
Schwarz die wirtschaftliche Lage?
Stephan Schwarz: Wir erleben eine herausfordernde Zeit. Es gab noch nie
eine so enge Taktung von Krisen, man kann ja sagen: von gestapelten Krisen.
Bisher habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass man am Ende stärker aus
der Krise hervorgeht, als man hineingegangen ist.
Diese Sätze hätte jetzt genauso der Politiker Stephan Schwarz sagen können.
Ja, das stimmt.
Die Position von Unternehmer und Politiker ist also identisch?
Als Politiker wie als Unternehmer muss man auch die Chancen erkennen, die
in jeder Krise stecken. Viele Unternehmen haben das getan – das haben
[1][wir bei Corona gesehen in einem Maße, das wir nicht für möglich
gehalten haben]. Den Riesenschwung an wirklich notwendigen
Transformationen, das haben wir erst jetzt durch die Krise erlebt. Die
Unternehmen sind viel wettbewerbsfähiger, flexibler, agiler geworden,
[2][etwa bei der Digitalisierung]. Es war absolut richtig, sie in dieser
Situation und auch [3][beim Neustart zu unterstützen].
Das klingt, als bräuchten Unternehmen Krisen, um sich wettbewerbsfähig zu
halten.
Ja, manchmal bewirken Krisen, dass der Schalter wirklich umgelegt wird. Sie
führen dazu, dass Veränderungsprozesse schneller laufen. Das kann
angesichts der aktuellen Situation vielleicht zynisch klingen, weil viele
darunter leiden. Aber wir hinterfragen jetzt endlich unsere hohe
Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen in einer Geschwindigkeit und Wucht,
die vorher schon notwendig gewesen wäre. Wir hinterfragen auch unsere
Abhängigkeit von Lieferketten und merken, dass wir für bestimmte Produkte
keinen fairen Preis gezahlt haben. Klar ist aber auch: Diese Krise wird
nicht ewig dauern, sondern vielleicht ein, zwei Jahre.
Wie kommen Sie darauf?
Ich will damit nicht sagen, dass ich weiß, wie lange der Krieg in der
Ukraine dauert. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir nach einer gewissen
Zeit aus der Energiekrise rauskommen, weil ebendiese Transformation in
großen Schritten vorangetrieben wird. Und das wird wieder zu einer
Entlastung für Wirtschaft und Verbraucher führen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bei den Erneuerbaren löst sich gerade ein Knoten. Viele Unternehmen in
Berlin planen ernsthaft, in alternative Quellen zu investieren, in
Geothermie, Photovoltaik oder den Bau von Windanlagen auf ihrem Gelände.
[4][Zwei Wumms und alles wird gut] – wie stehen Sie zum Weg, mit dem
Kanzler Olaf Scholz das Land durch die Krise bringen will, sprich die
Energiepreisbremse?
Erst mal ist es gut, dass die Ampel ein gemeinsames Verständnis dafür
entwickelt hat, dass wir vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Das
signalisiert der Scholz’sche Doppelwumms und die 200 Milliarden Euro.
Und wie bewerten Sie die Umsetzung des Energiedeckels, sprich die
[5][Vorschläge, die die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission
Anfang vergangener Woche gemacht hat]? Verbraucher und Unternehmen sollen
den Dezember-Abschlag der Gasrechnung ersetzt bekommen, ab Frühjahr sollen
dann 80 Prozent des Gasverbrauchs preislich fixiert werden.
Ich hätte mir weniger Gießkanne gewünscht. Nicht jeder ist gleich stark
betroffen von der Krise, mir sollte der Steuerzahler die Dezemberrechnung
nicht zahlen. Jetzt geht’s um Schnelligkeit, und der Grundgedanke der
Vorschläge ist richtig, weil man damit direkt an eine Ursache der Krise
rangeht, nämlich die hohen Energiepreise. Gleichzeitig hoffe ich, dass
trotz der Deckelung immer noch genügend Sparanreize da sind. Mit dem
ungedeckelten Anteil ist sichergestellt, dass Marktmechanismen noch wirken.
Preissignale sind wichtig, um auf die sich abzeichnende Verknappung zu
reagieren und einer möglichen Gasmangellage vorbeugen zu können.
Kann das Land Berlin sich nun die eigene Energiekostenhilfe sparen, die
sicherheitshalber vorgesehen war?
Es war gut, dass sich die rot-grün-rote Koalition in Berlin sehr schnell
auf [6][ein eigenes Entlastungspaket verständigt hat]. Was die Wirtschaft
angeht, haben wir ein Darlehensprogramm entwickelt, das in Kürze verfügbar
sein wird. Unternehmen, die aufgrund der Energiepreise in richtige
Schwierigkeiten kommen, sollen damit schnell unterstützt werden. Beim
Energiekostenzuschuss müssen wir schauen, welche Maßnahmen das
Bundesprogramm konkret enthält und ob es die besonderen Berliner Bedarfe
abdeckt. Wir haben hier ja zum Beispiel mehr als hunderttausend
Solo-Selbstständige, die hat der Bund nicht immer auf dem Schirm.
Wird es in diesem Winter [7][zu einer Gasmangellage kommen]?
Wir können sie nicht ausschließen. Die letzten Monate sind auch von der
Bundesregierung gut dafür genutzt worden, genau das abzuwenden. Wir haben
uns alternative Lieferwege gesichert, etwa durch die Flüssiggasterminals,
von denen zumindest eines zum Jahreswechsel schon verfügbar sein wird. Wir
haben Gas gespart, wenn auch nicht genug, aber die Gasspeicher sind zu fast
95 Prozent voll. Wir haben also eine realistische Chance, eine
Gasmangellage abzuwenden. Aber gebannt ist die Gefahr noch nicht.
Was würde das genau heißen?
Die [8][Bundesnetzagentur würde dann die dritte Stufe im Notfallplan
ausrufen], die Gasversorgung würde nicht mehr über den Markt geregelt,
sondern durch Eingriffe der Bundesnetzagentur. Es gibt dann bestimmte
rechtlich geschützte Sektoren, etwa Privathaushalte und praktisch alle
Bereiche der sozialen Infrastruktur. Und es gibt einen Bereich, der nicht
geschützt ist: die industriellen Großabnehmer. Sie würde es als Erste
treffen. Es wäre aber nicht so, dass in ganz Deutschland das Gas abgedreht
würde, sondern es geht immer um regionale Stabilität der Netze.
Dass die Industrie in diesem Fall ungeschützt ist, wird teils harsch
kritisiert. Auch Ihnen als Wirtschaftssenator dürfte das wenig gefallen.
Richtig. Wir werden aber den Mechanismus nicht ändern können, weil er auf
europäischer Ebene verankert ist. Das Land oder der Bund können das nicht
allein entscheiden. Deshalb bleibt nur der Weg, dass wir auch den privaten
Verbrauchern deutlich machen, dass jede Einsparung nicht nur dem eigenen
Geldbeutel hilft, sondern auch die Industrie und Arbeitsplätze sichert.
Erstmals haben die Verbraucher die Industrie richtig in der Hand getreu dem
leicht abgewandelten Motto: „Alle Räder stehen still, wenn du nur
ordentlich heizt“?
Man muss einfach deutlich machen: Die große Industrie ist in dem Fall
wirklich der Letzte in der Versorgungskette. Und das ist gefährlich. Wenn
wir in eine Gasmangellage kommen, in der große Bereiche der Industrie
längerfristig abgeschaltet werden müssten, hinterlässt das bleibende
Schäden am Industriestandort Deutschland. Ganz real: In der
Lebensmittelindustrie etwa wäre es so, dass Produktionsanlagen nachhaltig
geschädigt würden. Das müssen wir unbedingt verhindern.
Danach sieht es aber nicht aus: Die [9][Bundesnetzagentur sieht den
Energieverbrauch] derzeit allen Mahnungen zum Trotz bei Privathaushalten 10
Prozent über dem Niveau der Vorjahre liegen.
Es ist gut, dass die Bundesnetzagentur das immer wieder anmahnt. Der
Berliner Senat macht das auch und geht mit gutem Beispiel voran.
Verhaltensänderungen sind leider immer ein zäher Prozess. Aber Fakt ist,
dass die Sparanstrengungen in allen Bereichen weiter verstärkt werden
müssen. Das müssen wir immer wieder deutlich machen: Wir haben es ein
stückweit auch selbst in der Hand, wie gut wir durch diese Krise kommen.
Vielleicht unterschätzt die Politik ja die Haltung in der Bevölkerung:
Strom und Gas kamen halt bisher immer einfach aus der Leitung.
Viele Menschen haben schon lange Energie eingespart, schlicht auch deshalb,
weil sie das Geld gar nicht haben. Man zog sich schon in den letzten
Wintern lieber einen dickeren Pullover an, als stark zu heizen. Nirgendwo
in Deutschland haben Haushalte einen niedrigeren Energieverbrauch als in
Berlin.
Der Bund hat den angeschlagenen [10][Gasversorger Uniper verstaatlicht].
Zeigt diese Krise, wie wichtig es ist, dass der Staat relevanten Einfluss
auf die Infrastruktur hat?
Die Zeiten, in denen gesagt wurde, dass man in der Energieversorgung alles
dem freien Spiel der Märkte überlassen sollte, sind vorbei. Jeder hat in
der aktuellen Lage mittlerweile verstanden, dass das so nicht funktionieren
kann. Die Einflussnahme kann auch über eine staatliche Regulierung
erfolgen, es muss nicht zwingend eine Verstaatlichung sein.
Etwa eine stärkere Rolle der Bundesnetzagentur?
Sie hat schon eine starke Rolle. Und wir haben gut funktionierende Märkte,
weil sie immer reguliert werden. Wichtig ist, dass wir keine Monopole
bekommen.
Die SPD und die Linke fordern in Berlin die Rekommunalisierung der Gasag.
Es macht durchaus Sinn, das zu prüfen; das tun wir ja auch. Aber es darf
keine ideologische Frage werden: Wir müssen uns genau anschauen, welchen
Nutzen das Land Berlin an einer Beteiligung hat. Wobei da die Frage ist:
Wer verkauft überhaupt?
Im Fall des [11][Fernwärmenetzes] gibt es deutliche Verkaufssignale.
Das stimmt: Wir sind im Gespräch mit Vattenfall. Als Land wollen wir
Einfluss auf die Wärmeversorgung Berlins nehmen und prüfen, ob wir deren
Anteile erwerben können. Vattenfall hat übrigens viele Jahre mit dem
Fernwärmenetz gutes Geld verdient. Daher sind sie in der Pflicht, mit dem
Land Berlin eine gemeinsame Lösung zu finden. Das sind sie den Menschen in
der Stadt schuldig.
Kommen wir von der Krise mal zu Ihnen: Sie sind der einzige Parteilose im
Senat. Warum immer noch?
Weil das eine Geschäftsgrundlage war, als ich von Franziska Giffey und Raed
Saleh angesprochen wurde, ob ich mir die Aufgabe als Wirtschaftssenator
vorstellen könnte. Ich bin ein politischer Mensch. Aber bin ich nie in eine
Partei eingetreten, und das will ich jetzt auch nicht.
Nun ist absehbar, dass es in Berlin wegen des Wahlchaos 2021 zu [12][einer
Wahlwiederholung im Februar] kommt. Werden Sie sich aus dem ganzen
parteipolitischen Gezerre im Wahlkampf heraushalten können?
Nicht ganz, weil eine Wahlwiederholung natürlich den politischen Alltag
bestimmen wird. Ich habe für mich und auch meinem Team nach der ersten
Einschätzung des Verfassungsgerichts aber gesagt: „Wir sind in einer
schweren Krise in Deutschland. Und ich will, dass wir hier eine gute Arbeit
machen und keinen Wahlkampf.“
Die Entscheidung des Gerichts könnte – wenn sich die Mehrheitsverhältnisse
ändern – das Ende ihrer dann kurzen politischen Karriere bedeuten. Haben
Sie mal gedacht: „So ein Scheiß! Jetzt ist im Februar alles wieder vorbei
hier“?
Na ja, so nicht. Was ich gespürt habe, und zwar wirklich am selben Tag,
ist, dass das politische Geschäft schwieriger wird. Alles, was ich machen
will, wird ganz anders bewertet.
Woran machen Sie das fest?
Ein Beispiel: Am Tag der Gerichtsanhörung tagte auch der
Wirtschaftsausschuss. Dort war plötzlich eine andere Stimmung, ein
kritisches Beäugen. Und da habe ich gespürt, dass die Gefahr besteht, dass
Sachentscheidungen nicht mehr im Vordergrund stehen. Dagegen will ich
arbeiten. Ich bin ja mit einer Mission angetreten. Ob sie in paar Monaten
oder in vier Jahren vorbei ist: Ich will bis dahin einfach bestmöglich
meinen Job für Berlin machen.
Wie waren die Reaktionen aus ihrem Kollegenkreis, als Sie Ende 2021
Wirtschaftssenator wurden?
Ich habe sehr viel Wohlwollen bekommen, sehr viel Anerkennung, aber auch
die Frage: „Weißt du schon, was du dir da antust?“ Doch das wusste ich ja.
Mir war klar, dass man so einen Job nicht macht, um die eigene
Lebensqualität zu verbessern. Und ich hatte die politische Karriere gar
nicht auf dem Schirm: Als mich Franziska Giffey anrief, habe ich mit allem
gerechnet, aber nicht mit diesem Angebot. Aber dann dachte ich: „Wie cool
ist die denn drauf, dass die dich fragt?“ Ich kannte sie ja nicht
persönlich, hatte mich zuvor nie mit ihr alleine getroffen.
Auch Ihre Karriere in der Wirtschaft kam wohl eher unverhofft. Sie haben
keine kaufmännische Lehre gemacht, sie haben nicht BWL studiert, sondern
Geschichte, waren zwei Jahre an der Sorbonne.
Ich habe zwei jüngere Brüder, mein Vater wollte immer, dass wir alle ins
Familienunternehmen gehen. Und er hat alles versucht: Kurz vorm Abitur
bekam ich Post von der Hausbank der Firma, in der ich herzlich als neuer
Azubi begrüßt wurde – ich hatte mich aber gar nicht beworben.
Ihre Eltern hatten das eingefädelt?
Ja. Aber ich wollte das nicht. Ich war in einem Alter, in dem man das, was
die Eltern machen, sowieso nicht so gut findet. Ich habe mich in der
kirchlichen Friedensbewegung engagiert und eine Philosophie AG mit einem
Pfarrer in einer Gemeinde gemacht und wollte alles, nur nicht in die
Wirtschaft gehen oder ein Unternehmen führen. Daher habe ich mich an der
Freien Universität für Philosophie und Geschichte eingeschrieben.
Inhaltlich weit weg von BWL.
Das ist dann auch akzeptiert worden von meinen Eltern und sie haben mich
unterstützt. Mein Vater hat mich immer wieder versucht zu locken, aber
eigentlich wollte ich ins Verlagsgeschäft. Als er 1996 dann bei einem
Flugzeugabsturz starb, gab es nur zwei Möglichkeiten, da meine Brüder noch
zu jung waren: Entweder ich mache das – oder das Unternehmen wird verkauft.
Das wollten wir alle nicht, weil wir auch eine emotionale Bindung haben zu
dem 75 Jahre alten Unternehmen. So bin ich da reingerutscht. Ich habe es
aber nie bereut.
17 Oct 2022
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Bert Schulz
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