# taz.de -- Pro und Contra AKW-Laufzeitverlängerung: Hat Greta recht? | |
> In der aktuellen Energiekrise sei es ein Fehler, Atomkraftwerke | |
> abzuschalten, sagt die Klimaaktivistin. Nicht alle stimmen ihr zu. Ein | |
> Pro und Contra. | |
Bild: Greta Thunberg am Freitag in Stockholm | |
Greta Thunberg hat die Erderhitzung im Blick, für sie ist klar: Lieber | |
Atom- als Kohlekraftwerke weiterlaufen lassen, wenn es eng wird. Doch nützt | |
das überhaupt? | |
## Ja, sagt Silke Mertins | |
Greta Thunberg hat mit ihrer Kritik ins Schwarze getroffen. Klimapolitisch | |
ist es falsch, existierende Atomkraftwerke abzuschalten, während | |
gleichzeitig Kohle und Gas verstromt werden – zumal mitten in einer | |
Energiekrise. | |
Jetzt zählt beim Einsparen jede Kilowattstunde, wird Wirtschafts- und | |
Klimaminister Robert Habeck nicht müde zu betonen. In welcher Welt soll es | |
dann logisch sein, dass es auf die [1][1.336.000 Kilowattstunden, die | |
allein das AKW Emsland produziert], nicht ankommt? Die Wirtschaftsweise | |
Veronika [2][Grimm geht davon aus, dass die Strompreise um bis zu 13 | |
Prozent sinken], wenn die deutschen AKWs weiterlaufen. Und der Strombedarf | |
wird allein durch [3][Elektromobilität und mehr Wärmepumpen um 100 | |
Terrawattstunden pro Jahr ansteigen]. Wir haben deshalb nicht nur ein Gas-, | |
sondern auch ein Stromproblem. | |
Natürlich ist die Anti-AKW-Bewegung eng mit der Entstehungsgeschichte der | |
grünen Partei verbunden. Aber der Kern heutiger grüner Politik ist der | |
Kampf gegen den Klimawandel und der CO2-neutrale Umbau des Industrielands | |
Deutschland. Eine längere Laufzeit der bestehenden AKWs kann helfen, Zeit | |
für die Energiewende zu gewinnen. | |
Niemand bestreitet, dass von der Atomkraft Gefahren ausgehen. Doch der | |
Klimawandel zwingt uns, neu abzuwägen. Allein in diesem Sommer hat es | |
Tausende Hitzetote in Deutschland gegeben. Der Weltklimarat geht davon aus, | |
dass bereits die [4][Hälfte der Menschheit „hochgradig gefährdet“] ist. | |
Schon bei den Fluchtbewegungen, die daraus entstehen, sterben mehr Menschen | |
als bei der Atomkatastrophe von Fukushima. Wir haben es bei der | |
Klimakrise mit ganz anderen Dimensionen zu tun. | |
Jede Tonne CO2, die eingespart werden kann, ist wichtig. Selbst wenn man | |
bei der Atomkraft die [5][allerkonservativste Berechnung von 117 Gramm | |
CO2-Emissionen pro Kilowattstunde zugrunde legt, die den gesamten | |
Lebenszyklus umfasst, liegen diese immer noch deutlich niedriger als bei | |
Steinkohle (846 Gramm) oder Erdgas (442).] Bei einer Laufzeitverlängerung | |
fallen wenig zusätzliche Emissionen an, denn der Bau und Rückbau sind | |
ohnehin eingepreist. Auch Atommüll existiert bereits. Die geringen Mengen, | |
die durch eine Laufzeitverlängerung dazukommen, fallen nicht ins Gewicht. | |
Aber was ist mit der dringend anstehenden Sicherheitsüberprüfung der AKWs | |
und der Brennstäbe? Nun: Für die [6][Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) muss ein | |
AKW, anders oft behauptet, nicht abgeschaltet] werden. Es handelt sich | |
dabei überwiegend um eine Datenauswertung. Die vorhandenen Brennstäbe | |
werden noch für einige Monate reichen. Das bisher keine neuen bestellt | |
wurden, ist ein Fehler, der aber bis zum nächsten Winter noch behoben | |
werden kann. | |
Herkunft und Traditionen sind wichtig für eine Partei, aber sie dürfen | |
nicht dazu führen, politisch zu stagnieren. Die Grünen sollten sich deshalb | |
von ihrer Tradition lösen und auf Greta Thunberg hören. | |
## | |
## Nein, sagt Kai Schöneberg | |
Greta Thunberg liegt falsch. Deshalb haben sich unter anderem | |
[7][Scientists for Future auch bereits von ihr distanziert]. Thunbergs | |
Verdienste für den Klimaschutz sind riesengroß. Sie ist noch ein Teenager, | |
aber hat bereits die Erderhitzung auf die Agenda der Mächtigen der Welt | |
gesetzt, vor den Vereinten Nationen geredet, Millionen in vielen Ländern | |
sind ihr gefolgt. Mit Recht. Doch selbst wenn Thunberg die Klimapäpstin | |
persönlich wäre: Bei den deutschen Atomkraftwerken irrt sie. Ihre Äußerung | |
ändert weiter nichts am Fakt, dass AKWs uns nicht helfen können, warm und | |
energiesicher diesen und den Winter 2023/24 zu bestehen. | |
Der Grund: Deutschland hat ein Gas-, kein Stromproblem. Mit Atomstrom | |
laufen weder Gasthermen noch Bäckeröfen noch Industrieanlagen. In diesem | |
Winter sind (höchstwahrscheinlich) keine Engpässe bei Elektrizität zu | |
erwarten. Wenn überhaupt, dann beim Gas. Und hier sieht es mit zu 95 | |
Prozent gefüllten Gasspeichern zwar gut aus. Aber auch volle Speicher | |
helfen Deutschland ja nur durch gut zwei knackekalte Wintermonate. Nur gut | |
10 Prozent des Gases wird hierzulande zur Gewinnung von Strom genutzt. | |
Die letzten drei AKWs in Deutschland können also kaum dazu beitragen, die | |
Energiekrise zu lösen. Höchstens im Süden: Die zwei dort noch aktiven | |
Meiler sollen nun eventuelle Stromengpässe im Winter als Reserve | |
ausgleichen helfen – eine Stromknappheit dort könnte aber ausgerechnet | |
wegen der vielen maroden Atommeiler in Frankreich entstehen. | |
Das eigentliche Problem ist die Dauerschwachstelle der Ampel: die | |
energiearme FDP. Für sie läuft es nicht gut, [8][nicht nur die | |
Niedersachsenwahl wurde vergurkt]. Da kommt das Klimaidol aus Schweden | |
gerade recht. Einige JournalistInnen halten die neue Achse Thunberg–Lindner | |
für ein attraktives Duo. Allerdings sind sie das höchstens publizistisch: | |
Während Thunberg im Kern sagt, man solle lieber Atommeiler länger laufen | |
lassen, anstatt Kohlekraftwerke anzuwerfen (was eben keinen Sinn macht), | |
versucht die FDP, aus der neuen Liason Liberale–Fridays for Future Kapital | |
zu schlagen. | |
Wollte Deutschland nicht aus der Atomkraft aussteigen, weil sie zu | |
gefährlich und zu teuer ist? Die Energieform birgt so viele ungelöste | |
Risiken, dass die Industrie weltweit nur dort baut, wo der Staat mit | |
Milliarden einspringt. Und: Sollte Deutschland wirklich in einer Zeit auf | |
Atomkraft setzen, in der die Sicherheit von Riesenanlagen [9][wie dem AKW | |
Saporischschja] jeden Tag auf dem Spiel steht – und auch Westeuropa | |
bedroht? Expertinnen fürchten, dass im Fall der Fälle Putin hiesige | |
Reaktoren nicht mit Bomben verschonen würde. | |
Die Beschaffung neuer Brennelemente braucht einen Vorlauf von eineinhalb | |
Jahren. Hilft aktuell also überhaupt nicht. Noch ein Treppenwitz der | |
Geschichte: Wo sollte Deutschland denn das Uran für die Brennstäbe | |
einkaufen – etwa beim EU-Hauptexporteur Russland? | |
14 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] http://(https://www.rwe.com/der-konzern/laender-und-standorte/kernkraftwerk… | |
[2] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/energiekrise-studie-laenge… | |
[3] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/E/prognos-bruttostromverbrauch-2… | |
[4] http://(https://www.ardalpha.de/wissen/umwelt/klima/klimawandel/weltklimabe… | |
[5] https://www.dw.com/de/faktencheck-ist-atomenergie-klimafreundlich-was-koste… | |
[6] https://www.schleswig-holstein.de/DE/fachinhalte/R/reaktorsicherheit/Downlo… | |
[7] /AKW-Aeusserung-von-Klimaaktivistin/!5883949 | |
[8] /Die-Ampel-nach-der-Niedersachsen-Wahl/!5883754 | |
[9] /Kooperation-mit-US-Konzern/!5856566 | |
## AUTOREN | |
Silke Mertins | |
Kai Schöneberg | |
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