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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Hexenring der Pilzprozesse
> Im Feld, im Wald, auf der Flur und überall: Pilzberater schießen wie
> Fruchtkörper aus dem Boden.
Bild: Auch für sinistre Lamellenträger muss vor dem Pilzgericht die Unschuldv…
Endlich Gerechtigkeit, endlich Waffengleichheit zwischen Mensch und Pilz:
Der Europäische Pilzgerichtshof verfügte jüngst, dass jedem Pilz auf einer
Pilzberatungsstelle ein eigener Pilzberater zur Seite gestellt werden muss!
Diese mykologischen Anwälte sollen die Position der Pilze stärken, die
vorher allein gelassen dem Urteil der Pilzberatungsstellen ausgeliefert
waren. So ein Pilzberater wird darauf dringen, dass auch vor einem
Pilzgericht die Unschuldsvermutung des Angeklagten zu gelten hat.
Zur Verteidigung ihrer Mandanten soll den Pilzberatern jedes juristische
Mittel recht sein. Der erste Rat an den Mandanten wird sein, zu schweigen
und alles dem Berater zu überlassen. Das wird vermutlich von der
verängstigten Pilzklientel weitgehend befolgt werden.
Als Nächstes wird der engagierte Pilzberater zu beweisen versuchen, dass
die Vorgerichtbringung des Pilzes völlig rechtswidrig war und rückgängig
gemacht werden muss, da die achtlosen Pilzsammler ihr Sammelgut nicht über
seine Rechte informiert hatten. Entspricht das der Wahrheit, müssen die
Pilzsammler zähneknirschend in den Wald zurück und die abgesäbelten Pilze
wieder eingraben. Dann wird ein saftiges Schmerzensgeld in einem
Zivilgerichtsverfahren eingeklagt.
## Gekaufte Zeugen
Wenn der Pilzsammler aber beweisen kann, dass er das Sammelgut im
Pilzkörbchen über seine Rechte aufgeklärt hat, lehnt der routinierte
Pilzberater den Gutachter des Pilzgerichts als befangen ab. Dieser habe
nämlich schon immer etwas gegen Giftpilze gehabt. Zeugen für diese
Behauptung sind leicht gegen den Preis von ein bis zwei Pilzkörbchen
aufzutreiben.
Sollte auch dieses Manöver nicht verfangen, folgt die Phase der
Verunsicherung der Gegen-seite: Der Herr Pilzrichter möge doch erstmal
beweisen, dass der harmlose Pilz im Anklagekörbchen vor ihm giftig ist, er
könne ja gern eine kleine Kostprobe nehmen. Verweigert das dieser, folgen
Befangenheitsantrag II und die nächste Finte.
Schließlich ist ein der Giftigkeit bloß beschuldigter Pilz noch immer
völlig unbescholten. Für ein unbefangenes Pilzgericht hat jeder Pilz
zunächst als essbar zu gelten! Und niemand darf wegen seines Namens
vorverurteilt werden, heißt er auch Satanspilz, Speiteufel oder
Giftreizker, es kommt schließlich immer auf den Einzelfall an. Die
Anschuldigungung, dass die Pilzberatungsstelle Racial Profiling betreibt,
sollte die nächste Eskalationsstufe des engagierten Myzel-Anwalts sein. Nur
weil ein Grünblättriger Schwefelkopf oder Knollenblätterpilz giftgrün ist,
soll er aus dem Verzehr genommen werden? Unschuldsvermutung, euer Ehren!
## Marodierender Mob
Fruchtet auch diese Argumentation nicht, sollte die konfrontative Phase
folgen. Giftig ist schließlich nicht gleich giftig. Der Faltentintling zum
Beispiel ist nur normal giftig und wird erst stark giftig, wenn bei seinem
Verzehr gleichzeitig Alkohol genossen wird. In so einem Fall müssen wir das
vorzeitige Ableben des Konsumenten als Eigenverschulden bezeichnen.
Außerdem heißt auch sehr giftig nicht immer gleich tödlich giftig, da
müssen wir doch die Kirche mal im Dorf lassen.
Tödlich giftig sind beispielsweise der Fleischbräunliche Schirmling und der
Frühlingsknollenblätterpilz. Die Frühjahrslorchel gilt auch als tödlich,
doch ihr Gift tötet keineswegs zuverlässig. Woran das liegt, ist in Jäger-
und Sammlerkreisen jedoch umstritten. Sollte der Pilzpflücker hieran eine
Mitschuld tragen? Schlampige Zubereitung, Transportschäden und
unfachgemäßes Absäbeln des Fungus könnten ursächlich sein, wer weiß das
schon. Ist den Pilzsammlern überhaupt zu trauen, diesem marodierenden Mob
des Waldes, der für so manche Brandstiftung im Sommer verantwortlich sein
wird, euer Ehren?
Ist der Pilz inzwischen langsam rot angelaufen, dringt der routinierte
Pilzberater auf Ver-handlungsunfähigkeit seines Mandanten, zumindest aber
auf Prozessunterbrechung oder Verschiebung der Urteilsverkündung.
## Schmarotzer mit faulender Kappe
Und dann gibt es noch die Pilzkollegen, die unter flagranter
Namensdiskriminierung leiden. Die sollte man ohne großes Bohei zum
ungeprüften Verzehr zulassen. Mit wahren Schimpfnamen belegten Pilzen wie
dem Schöngelben Klumpfuß kann man doch seine tödlich giftige Wirkung schon
aus Mitgefühl nicht verargen.
Vergessen wir nicht, Pilze sind von Haus aus Schmarotzer und
Fäulnisbewohner. Ihr Fleisch ist blaß und schwammig, beliebter macht sie
dieser äußere Eindruck nicht gerade. Die Nebelkappe ist ein gutes Beispiel
dafür, dass Pilzen gerade in Pilzberatungsstellen oft Unrecht geschieht.
Besagte Nebelkappe kann auf manchen Magen giftig wirken, andere Pilzfreunde
essen sie aber ohne Folgen. Also muss für jede dieser armen Pilzkappen die
Pilzunschuldungsvermutung gelten!
Wir sehen, Pilzberater ist ein verantwortungsvoller Beruf, der sich durch
die Schuld der unseligen Pilzfreunde noch verkompliziert. So wirkt der
champignonartige Grünling erst bei Mehrfachverzehr tödlich. Hätte sich der
gierige Sammler auf ein einziges Grünlingsmahl beschränkt, wäre er also
weiter gesund und munter geblieben.
Gut, wenn so ein unschuldiger Grünling von seinem Pilzberater herausgehauen
wird. Da kann sich der erfolgreiche Berater am Abend eine wohlverdiente
selbstbelegte Pizza funghi gönnen!
26 Oct 2022
## AUTOREN
Kriki
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