# taz.de -- Normalisierung rechter Parteien: Man gratuliert keinem Faschismus | |
> Der Erfolg der Neuen Rechten offenbart eine Linie, die rot und straff | |
> sein sollte, aber blass und ausgeleiert auf dem Boden liegt wie ein | |
> Absperrband. | |
Bild: Italiens Premierministerin Meloni vor ihrer ersten Kabinettssitzung am 23… | |
Der „Marsch auf Rom“ ist ziemlich genau einhundert Jahre her. Einhundert | |
Jahre, seit Benito Mussolini im Oktober 1922 in Italien die Macht übernahm. | |
Nun bin ich weder Historikerin noch kenne ich mich besonders gut mit dem | |
politischen Italien aus. | |
Was ich aber weiß, ist, dass Mussolini eine totalitäre Diktatur errichtete. | |
Dass Zeitungen verboten und Oppositionelle verfolgt wurden. Und dass | |
Mussolinis Diktatur als Vorbild für viele weitere Faschisten galt, auch für | |
deutsche Nazis und Adolf Hitler. | |
Was ich auch weiß, ist, dass einhundert Jahre später | |
Spitzenpolitiker*innen, die sich sozialdemokratisch, liberal und | |
feministisch nennen und sich den dazugehörigen Werten verbunden und | |
verpflichtet fühlen wollen, Italiens neuer, [1][ultrarechter | |
Ministerpräsidentin] und ihren Kabinettsmitgliedern zum Amtsantritt | |
gratulieren. | |
Nun bin ich weder Politikwissenschaftlerin noch kenne ich mich besonders | |
gut mit diplomatischen Konventionen aus. Was ich aber sehe, als eine, die | |
die Welt beobachtet und sie beschreibt, ist eine Linie, die rot und straff | |
sein sollte, aber blass und ausgeleiert auf dem Boden liegt wie ein | |
vergessenes Absperrband. | |
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen twittert: „Herzlichen Glückwunsch | |
an [2][Giorgia Meloni] zu ihrer Ernennung zur italienischen | |
Premierministerin, der ersten Frau in diesem Amt“, als sei eine | |
rechtsradikale Präsidentin eine feministische Errungenschaft. Bundeskanzler | |
Scholz „freut sich“ auf eine „weiterhin enge Zusammenarbeit mit Italien�… | |
Außenministerin Baerbock auf die Zusammenarbeit mit ihrem neuen | |
Amtskollegen, der übrigens findet, Mussolini hätte „positive Dinge getan“. | |
Die Normalisierung von Faschismus als diplomatische Konvention. | |
## Es sollte eigentlich schockieren | |
Für viele ist das keine Überraschung. Wie sollte es auch anders sein in | |
einem Land, in dem man immer wieder das Gespräch mit Nazis sucht, wo man | |
sich schon mal mithilfe von AfD-Stimmen zu Ministerpräsidenten wählen | |
lässt, wo Linke mit Putin verhandeln wollen. Stimmt ja, es überrascht | |
nicht. Deshalb schockiert es auch nicht mehr. | |
Sollte es aber, genau wie es noch immer schockieren sollte, dass [3][die | |
AfD] im deutschen Bundestag sitzt. Es ist eine demokratische Aufgabe, | |
wachsam zu bleiben, wenn die Grenzen des Sag- und Machbaren sich | |
verschieben – besonders dann, wenn sich Gewöhnung und Resignation | |
breitmachen. | |
Wie sollte es auch anders sein? Ich bin keine Politikerin, und das ist | |
sicher kein leichter Job. Man sollte aber im Zweifelsfall eher | |
Choreografien der Freundlichkeit über Bord werfen statt Haltung. Dass man | |
öffentlich widersteht und keine Angst hat, als radikal zu gelten, wenn man | |
etwas tut, das besonders in Deutschland völlig normal sein sollte – nämlich | |
konsequent antifaschistisch zu sein. | |
Die blasse Linie sollte so rot sein, wie sie leichtfertig beschrieben wird. | |
Und es sollte heißen: Wir gratulieren zu demokratischen Wahlen. Aber wir | |
gratulieren niemals einem erstarkenden Faschismus. | |
26 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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