| # taz.de -- Letzte Generation bewirft Monet-Bild: Was kommt nach der Aufmerksam… | |
| > Die Letzte Generation hat in Potsdam ein Gemälde mit Kartoffelbrei | |
| > beworfen. Das ist legitim, die Klimabewegung muss aber noch stärker Druck | |
| > erzeugen. | |
| Bild: Keine schöne Natur zu sehen – fast wie in der Klimakrise | |
| Berlin taz | Auf einmal macht es Platsch, und das hinter einer Glasscheibe | |
| geschützte Bild „Getreideschober“ von Claude Monet ist voller | |
| Kartoffelbrei. Zwei Aktivist:innen der Letzten Generation, mit ihren | |
| markant orangen Warnwesten bekleidet, friemeln ihre Sekundenkleberpackungen | |
| auf. Nur wenige Sekunden später haben sie ihre Hände an Wand und Boden des | |
| Potsdamer Museums Barberini festgeklebt. „Menschen hungern, Menschen | |
| frieren, Menschen sterben!“, ruft die Aktivistin Mirjam Herrmann aus. | |
| „Braucht es Kartkoffelbei an einem Gemälde, bis ihr zuhört?“, fragt sie in | |
| einem [1][auf Twitter geteilten Video] der Letzten Generation. | |
| Routiniert überschlägt sich in den nächsten Stunden die | |
| Empörungsmaschinerie. Da meint der Potsdamer Oberbürgermeister Mike | |
| Schubert (SPD), entscheiden zu können, dass die Aktion „Kulturbarbarei“ und | |
| „keine politische Meinungsäußerung“ sei. | |
| Obwohl das Museum noch am Abend mitteilt, dass das Bild „keinerlei Schäden“ | |
| davongetragen habe, sieht die Brandenburger Kulturministerin [2][Manja | |
| Schüle (SPD)] die Aktivist:innen „willentlich unsere Kulturschätze | |
| zerstören“. Der Förderverein des Potsdam Museums redet sogar von | |
| „Kulturterrorismus“. Klar, es muss sich um die grüne RAF handeln, wenn | |
| Aktivist:innen einen symbolischen Kunst-Stunt vorführen. | |
| ## Kunst von Superreichen | |
| Deutlich wird dabei nur eines: Ein Grund, den Aktivist:innen nicht | |
| zuzuhören, werden ihre Gegner:innen immer finden. Überschütten sie wie | |
| am Samstag den Eingang des Verkehrsministeriums mit | |
| [3][Tempo-100-Schildern], ist das Verschwendung. Blockieren sie Autobahnen, | |
| wie sie es am Montag erneut taten, treffen sie die Falschen. Werfen sie | |
| Kartoffelbrei auf ein Bild, das die Schönheit der Natur zelebriert, um auf | |
| ihre Zerstörung aufmerksam zu machen, sind sie Kulturbanausen. | |
| Eigentlich sollten mit dem Kartoffelbreiwurf jene zufrieden sein, die der | |
| Letzten Generation seit Monaten vorwerfen, dass ihre Aktionen die Falschen | |
| treffen. Denn der „Getreideschober“ ist keineswegs „unser Kulturschatz“, | |
| sondern gehört dem Multimilliardär und Vermögensteuer-Gegner Hasso | |
| Plattner. 111 Millionen Euro soll er dafür 2019 gezahlt haben. Doch dass | |
| Superreiche die Kulturschätze dieser Welt als Vermögensanlage benutzen, das | |
| finden nur sehr wenige skandalös. Lieber drischt man auf einige | |
| Klimaaktivist:innen ein, die vor einer existenzbedrohenden | |
| Katastrophe warnen. | |
| Und dennoch muss die Frage erlaubt sein: Was kommt eigentlich nach der | |
| Aufmerksamkeit? Schon im Ursprung der Initiative, während des Hungerstreiks | |
| im vergangenen Jahr, forderten die Aktivist:innen primär ein Gespräch | |
| mit den damaligen Kanzlerkandidat:innen. Inzwischen wollen sie ein | |
| Tempolimit von 100 Stundenkilometern und die Fortführung des | |
| 9-Euro-Tickets. Im Kern bleibt das Modell der Initiative aber, an die | |
| Politik zu appellieren. Der Theorie des zivilen Ungehorsam treu bleibend | |
| soll der Politik zugleich die Hand gereicht und ihr Druck gemacht werden – | |
| das Ziel ist in erster Linie die Zusammenarbeit. | |
| ## Die Normalität stören reicht nicht | |
| Aber was, wenn das nicht ausreicht? Was, wenn die Kapitalhörigkeit der | |
| Politik doch zu groß und das Zeitfenster der Klimakrise zu knapp ist, um so | |
| Veränderungen zu bewirken? Was, wenn Aufmerksamkeit allein eben doch nicht | |
| reicht, weil es die Macht der Massen braucht? Hier jedenfalls haben die | |
| Kritiker:innen der Letzten Generation recht: Ihre Aktionen mögen die | |
| Scheinnormalität des fossilen Alltags stören. Macht, die Verhältnisse zu | |
| ändern, erzeugen sie nicht. | |
| Es kann aber auch nicht alleinige Aufgabe der Letzten Generation sein, | |
| diese Macht aufzubauen. Die gesamte Klimabewegung, die gesamte politische | |
| Linke, muss unterstützen. Die Jacobin-Herausgeberin und führende Person | |
| hinter dem Protestbündnis Genug ist Genug, Ines Schwerdtner, hat der Gruppe | |
| [4][„Narzissmus“ und „Selbstinszenierung“] vorgeworfen. Doch das ist der | |
| falsche Ansatz. Produktiver wäre es, die Debatte über Möglichkeiten, Druck | |
| auf die Politik aufzubauen, voranzutreiben. | |
| Geredet wird darüber bereits – die Zerstörung von klimaschädlicher | |
| Infrastruktur ist nur das kontroverseste Beispiel. Auch Kunstwerke wirklich | |
| zu zerstören wäre übrigens nichts Neues: 1914 zerhackte die Suffragettin | |
| Mary Richardson das Gemälde „Toilette der Venus“ von Velázquez [5][mit | |
| einem Fleischerbeil]. | |
| 24 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/AufstandLastGen/status/1584198680479137792 | |
| [2] https://twitter.com/ManjaSchuele/status/1584191035399639040 | |
| [3] https://twitter.com/AufstandLastGen/status/1583736724685225986 | |
| [4] https://jacobin.de/artikel/narzisstische-weltrettung-just-stop-oil-van-gogh… | |
| [5] https://artuk.org/discover/stories/fighting-for-representation-suffragettes… | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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