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# taz.de -- Forschender Aktivist über Klimaproteste: „Eines der effektivsten…
> Als Teil der Scientist Rebellion besetzte Matthias Schmelzer mit anderen
> das Finanzministerium. Er erklärt die Motive der Klimagruppe.
Bild: Ein Aktivist der Gruppe „Scientist Rebellion“ wird von Polizisten am …
taz: Herr Schmelzer, Sie waren vergangene Woche mit der Gruppe Scientist
Rebellion in Berlin in Aktion. Wer steckt hinter der Gruppe?
Matthias Schmelzer: Die [1][Scientist Rebellion] ist eine
Klimaaktionsgruppe von Wissenschaftler:innen aus etwa 32 Ländern. Wir
kommen aus unterschiedlichen Disziplinen, einige von uns sind auch
Autor:innen des Weltklimarates IPCC. Wir sind überzeugt davon, dass
gewaltfreie direkte Aktionen das effektivste Mittel sind, mit dem wir als
Wissenschaftler:innen die Dramatik und die Dringlichkeit der
Klimakatastrophe kommunizieren können.
Eine zentrale Forderung der Scientists ist, dass die Bundesregierung
anerkennt, dass sie mit ihrer Politik das klimapolitische [2][1,5-Grad
Ziel] überschreitet. Wofür braucht es dieses Eingeständnis?
Zwar hält die Bundesregierung weiterhin am Klimaziel fest, es ist
allerdings nicht wissenschaftlich darstellbar, wie die aktuellen Politiken
tatsächlich zu einem global gerechten Klimabudget für 1,5 Grad passen. Die
Fiktion, immer noch auf dem Zielpfad zu sein, steht der Umsetzung
drastischer und dringend notwendiger Maßnahmen im Weg. Laut IPCC gibt es
eine mittlere Wahrscheinlichkeit, dass wir unter der Klimagrenze bleiben,
wenn wir einen sehr radikalen Systemwandel in den reichen Ländern
hinbekommen. Stattdessen baut Deutschland gerade fossile Gasinfrastruktur
auf Jahrzehnte hin aus.
Zusammen mit den Gruppierungen DebtforClimate und Letzte Generation
forderte Scientist Rebellion dazu auf, den Transportsektor zu
dekarbonisieren und die Schulden für Länder des Globalen Südens zu
erlassen. Wie hängen diese beiden Forderungen miteinander zusammen?
Alle drei sind leicht umsetzbare Maßnahmen, die angesichts der
Dringlichkeit der Klimakrise mehr als notwendig sind. Zusammen sollen sie
deutlich machen, dass es darum geht, die Krise anzuerkennen und auf
nationaler Ebene konkret anzusetzen. Gleichzeitig braucht es international
globale Klimagerechtigkeit. Wir verlangen, dass Deutschland als
viertgrößtes Stimmmitglied im Internationalen Währungsfonds Verantwortung
dafür übernimmt, dass die Schulden des Globalen Südens gestrichen werden.
Diese sind zum einen politisch illegitim, zum anderen erzwingen sie aber
auch Armut und Abhängigkeit von fossilen Ressourcen. Denn um Schulden
zurückzuzahlen, müssen Länder internationale Devisen erlangen, und das tun
sie meistens durch den Handel mit fossiler Energie und anderen
Bodenschätzen.
Bund und Länder einigten sich jüngst vorläufig auf die [3][Einführung eines
49-Euro-Tickets]. Die Scientist Rebellion haben als Reaktion darauf
vergangenen Dienstag kurzzeitig das Bundesverkehrsministerium blockiert.
Zudem besetzten sie mit anderen Klimagruppen das Finanzministerium und
forderten eine „Aufhebung der Schulden für den Globalen Süden“. Nach der
Aktion twitterte Finanzminister Christian Lindner, er habe die Aktion als
Erinnerung nicht gebraucht. Wie bewerten Sie den Erfolg der Aktionen?
Das 49-Euro Ticket ist zu teuer, um tatsächlich allen Zugang zu
nachhaltiger Mobilität zu ermöglichen. Zudem setzt es keinen starken
Anreiz, wirklich vom Auto auf die Öffentlichen umzusteigen. Und Lindners
‚Schuldenerleichterungen‘ sind im Endeffekt nur ein Mittel, die dauerhafte
Zahlungsfähigkeit der Schuldnerländer zu sichern. Sie bedeuten kein Ende
der durch Schulden erzwungenen Ausbeutung. Unsere Aktionen haben unsere
Kritiken und Forderungen medienwirksam kommuniziert.
Als die Scientist Rebellion am Sonntag beim Weltgesundheitsgipfel in Berlin
den Feueralarm auslöste, reagierte Scholz diskreditierend: „Sie machen
Proteste zu Klima und solchen Sachen (…) Ich denke, der beste Weg, die
Diskussionen zu verbessern, ist, nicht hinzuhören und weiterzumachen.“ Wie
muss Scholz’ Umgang mit der Aktion verstanden werden?
Man muss sich das vor Augen führen: Dem ‚Klimakanzler‘ fällt zu dem total
legitimen Protest von Wissenschaftler:innen nur ein, sie zu
ignorieren. Ich finde das zutiefst erschütternd. Es ist symptomatisch für
die Reaktion der meisten Regierungen weltweit auf die sich immer weiter
zuspitzende Klimakrise und die immer radikaler werdenden Proteste: nicht
hinhören und weitermachen.
Als Sozial- und Wirtschaftshistoriker forschen und lehren Sie an der
Universität Jena. Welche Erkenntnisse Ihrer Forschung haben Sie dazu
bewegt, Teil der Scientist Rebellion zu sein?
Ich arbeite seit Jahren interdisziplinär mit
Klimawissenschaftler:innen zu der Frage, wie die aktuelle
Klimapolitik an den selbst erklärten Zielen scheitert und inwiefern das mit
ökonomischen Wachstumszwängen zu tun hat. Dabei setzte ich mich mit
Degrowth und Postwachstumsansätzen auseinander. Das ist übrigens eine
zentrale Forderung der Scientist Rebellion.
Was ist Degrowth und wie geht das Konzept auf die Klimakrise ein?
Degrowth steht für eine geplante Reduzierung des Energie- und
Ressourcenverbrauchs. Das Ziel ist es, die Wirtschaft schnell genug zu
dekarbonisieren – und dabei durch strukturelle Veränderungen das
Wohlergehen von allen zu verbessern. Mit grünem Wachstum, auf das die
Regierung setzt, lösen wir keines der beiden Probleme. Natürlich müssen wir
wirtschaftliche Aktivität von Emissionen, so gut es geht, entkoppeln. Bei
gleichzeitigem Wirtschaftswachstum ist der Versuch dieser Entkopplung aber
so sinnvoll, wie auf einer ständig nach oben fahrenden Rolltreppe
hinabzusteigen. Degrowth bricht mit diesem Wachstumszwang.
Bis zum 4. November sollen weitere Aktionen stattfinden. Ermutigen Sie
andere Wissenschaftler:innen, an den Protesten teilzunehmen?
Definitiv. Ich ermutige andere Wissenschaftler:innen dazu, sich mit
diesen Protesten auseinanderzusetzen, sich zu beteiligen oder neue Formen
der Intervention in der politischen Debatte zu erproben. Ich bin überzeugt
davon, dass ziviler Ungehorsam tatsächlich eines der effektivsten und
passendsten Mittel ist, um die Dringlichkeit der Klimakrise sichtbar zu
machen – Wissenschaftler:innen können dabei eine wichtige Rolle
spielen.
24 Oct 2022
## LINKS
[1] /Scientist-Rebellion-in-Berlin/!5862501
[2] /Studie-zum-15-Grad-Ziel/!5858118
[3] /OePNV-in-Deutschland/!5884101
## AUTOREN
Tatjana Söding
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