# taz.de -- Ungleich verteilte Energiekosten: In der Teuerstromzone | |
> In den nördlichen Flächenländern sind die Strom-Netzentgelte teurer als | |
> in den südlichen. Ginge eine Teilung in zwei Strompreiszonen zu weit? | |
Bild: Geht zu Lasten der Verbraucher im Norden: Wind- und Solarpark in Büttel … | |
OSNABRÜCK taz | Wir leben in Tagen tiefer Spaltungen. Auch bei den | |
Strompreisen ist das so. Das liegt vor allem an den Netzentgelten. Als Teil | |
des Elektrizitätspreises decken sie die Kosten für das Stromnetz. Jeder | |
Haushalt zahlt sie, jedes Gewerbe, jeder Industriebetrieb. | |
Das Problem: Von Region zu Region unterscheiden sie sich stark. In den | |
nördlichen Bundesländern sind sie oft weit teurer als in den südlichen. Das | |
hat viele Gründe: In dünn besiedelten Gebieten werden die Netzkosten auf | |
wenige Nutzer verteilt. Ältere Netze kosten weniger als neue. Auch die | |
Auslastung spielt eine Rolle, und die Einspeisung. | |
Die Folge: Im Norden, wo viel Strom produziert wird, vor allem durch | |
Windkraft, fallen mehr Kosten an als im Süden, wo viel verbraucht wird und | |
es beim Ausbau der Erneuerbaren oft hakt, zumal in Bayern. | |
Das sei „eine unfaire Mehrbelastung für viele Haushalte im Norden“, hat | |
Schleswig-Holsteins grüner Energiewendeminister, Tobias Goldschmidt Mitte | |
September gesagt, beim Treffen der Landes-Energieminister in Hannover. | |
[1][Das gefährde „die Akzeptanz in Bundesländern, die aufgrund ihrer guten | |
Standortbedingungen einen überproportional großen Beitrag zum Gelingen der | |
Energiewende leisten]“. | |
## Nord-Länder wollen Spaltung | |
Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) formuliert | |
das fast deckungsgleich. „Hohe Netzentgelte in erneuerbaren | |
Energien-Erzeugungsregionen“, sagte er Anfang September in einer Debatte | |
zur Netzentgeltsystematik im Schweriner Landtag, „gefährden die Akzeptanz | |
der Energiewende“. | |
Norddeutschlands Flächenländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und | |
Mecklenburg-Vorpommern [2][propagieren jetzt eine Teilung Deutschlands in | |
zwei Strompreiszonen:] Nord und Süd. Bayern wehrt ab. „Was wir nicht | |
brauchen“, teilt Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie | |
Wähler) Ende September mit, „ist eine Debatte im klein-klein über | |
Netzentgelte und Strompreiszonen.“ Überhöhte Netzentgelte müsse der Bund | |
übernehmen. | |
Ein Blick auf 2021 zeigt: Verbraucher in Schleswig-Holstein zahlen die | |
höchsten Entgelte. Bei einem Jahresverbrauch von 4000 kWh schlugen pro | |
Haushalt durchschnittlich 410 Euro zu Buche, in Hamburg 370, in | |
Mecklenburg-Vorpommern 355 Euro. In Bayern waren es 274. | |
Ein Blick in den „Monitoringbericht 2021“ der Bonner Bundesnetzagentur, auf | |
die Farbverteilung ihrer Deutschlandkarten, von hitzigem Orange (teuer) und | |
beruhigendem Blaugrau (preisgünstiger) zeigt: Blaugrau ist es eher im | |
Süden. Und derzeit? Michael Reifenberg, Sprecher der Agentur, teilt auf | |
taz-Anfrage mit: „Informationen zu Netzentgelten für das Jahr 2022 liegen | |
noch nicht vor.“ | |
## Süden „stark subventioniert“ | |
Pao-Yu Oei, Professor für Ökonomie der Transformation von Energiesystemen | |
an der Europa-Universität Flensburg, findet den Vorstoß der Nord-Länder | |
hilfreich. „Grundsätzlich wäre eine Einteilung in Zonen sinnvoll“, sagt er | |
der taz. „Vielleicht sogar in mehr als zwei.“ Der Süden werde in der Tat | |
„stark subventioniert“, zeige ein „Not-in-My-Backyard-Denken“, nicht | |
zuletzt bei Windkraftanlagen. „Aber es ist schwer, Trennlinien zu ziehen. | |
Das geht ja nicht einfach so an Bundesländergrenzen entlang.“ | |
Oei geht nicht davon aus, dass sich das Zonenmodell politisch realisieren | |
lässt. „Das wird Verhandlungsmasse sein, und am Ende kommt es zu anderen | |
Ausgleichsmethoden, vielleicht zu einer stärkeren Finanzierung des | |
Netzausbaus durch den Süden.“ Außerdem sei durch eine Zonierung „ja nicht | |
plötzlich alles in Ordnung“. [3][Es gelte, den Strommarkt „an sehr vielen | |
Stellen reformieren“,] ganz grundsätzlich. Die Diskussion um die Zonen löse | |
„Druck aus, über Reformen nachzudenken“. | |
Das hofft auch Klaus Kuhnke, emeritierter Professor für Erneuerbare | |
Energien der Hochschule Osnabrück. Die Benachteiligung der nördlichen | |
Bundesländer sei „völlig klar ersichtlich“ und „ungerecht, wie man es a… | |
verpackt“, sagt er der taz. Ausgleich sei nötig. | |
Aber eine Aufteilung in Strompreiszonen ist auch ihm zu klein gedacht. „Es | |
muss um allgemeingültige Gerechtigkeit gehen, um eine deutschlandweite | |
Lösung.“ Kuhnke stellt sich dafür ein „Stromgerechtigkeitsgesetz“ vor, … | |
„Elektrolastenverteilungsgesetz“. | |
Zudem hält Kuhnke es mit Hans-Josef Fell, grüner Ex-Bundestagsabgeordneter | |
und Co-Autor der ersten Version des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Fell | |
propagiert eine Teilung der Strombörse, an der sich derzeit fossiler und | |
regenerativer Strom mischen, im Merit-Order-Modell, wodurch das Kraftwerk | |
mit den höchsten Kosten den Marktpreis bestimmt. | |
„Und das ist derzeit Erdgas“, sagt Kuhnke. „Das führt dazu, dass der | |
Strompreis unnötig hoch ist, sogar steigt, obwohl Strom aus erneuerbaren | |
Energien konkurrenzlos günstig ist.“ | |
## Die Vorteile der Erneuerbaren | |
Man müsse das trennen. „[4][Eine Börse für sauberen Strom aus Erneuerbaren | |
Energien, aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse. Eine andere Börse für | |
dreckigen Strom] aus Öl, Gas, Kohle und Atom. Hätte man zwei getrennte | |
Märkte, träten die Vorteile der Erneuerbaren Energien klar hervor, und die | |
Motivation vieler würde steigen, sich ihnen zuzuwenden.“ | |
Es gelte, „größer zu denken“. Der derzeitige Markt sei dysfunktional, | |
zementiere die Macht der Fossil-Energiekonzerne, suggeriere dem Endkunden, | |
Ökostrom sei eine Belastung. | |
Leider sei guter Lobbyismus oft stärker als gute Sacharbeit. Kuhnke wünscht | |
sich, dass der Bundesverband Erneuerbare Energien sich in der Politik | |
stärker Gehör verschafft, ebenso die Bundesverbände Solarwirtschaft und | |
Windenergie. | |
Noch ist das Schicksal des Zonenplans offen. Bundeskanzler Olaf Scholz | |
(SPD) hat sich allerdings schon festgelegt: Er lehnt ihn ab. | |
7 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /SPD-Spitzenkandidat-ueber-Klimaschutzpolitik/!5849631 | |
[2] /Verlaengerung-der-Laufzeiten/!5884728 | |
[3] /Plaene-zur-Reform-des-EU-Strommarkts/!5874982 | |
[4] https://www.eex.com/de/marktdaten/strom | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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