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# taz.de -- Teilmobilisierung in Russland: Reservisten berichten von Chaos
> Die Mobilmachung in Russland verläuft planlos. Videos zeigen schlecht
> ausgestattete Reservisten. An den Grenzen stauen sich fliehende russische
> Männer.
Bild: Russische Reservisten in einem Einberufungszentrum in Wolschski im Süden…
Moskau taz | Smartphones sind eigentlich verboten in der russischen Armee.
Und doch schaffen es auch die nun eingezogenen Reservisten immer wieder,
ihre Geräte in die Kasernen zu schmuggeln. Die Bilder und Videos, die
dadurch in den sozialen Medien zirkulieren, zeigen, wie chaotisch Putins
ausgerufene Teilmobilmachung im Land offenbar abläuft.
„Ich weiß nicht, was mit euch passiert. Ich weiß nicht, was mit mir
passiert. Ich bin selbst erst vor drei Tagen hier angekommen“, sagt eine
Stimme in einem Video. Auf den Bildern sind die Rücken von Menschen in
Tarnfarben zu sehen, Männer in grauen Mützen mit Ohrenklappen. Die Aufnahme
soll aus Bataisk in der Region Rostow stammen, nahe der Ukraine. Die
Stimme spricht weiter: „Man hat mich zum Kommandeur des Regiments gemacht.
Ich habe es mit der Bandscheibe, muss zudem Betablocker nehmen.“
In der Stadt Asbest in der Region Jekaterinburg steht eine Frau zwischen
schmalen Betten, vor ihr sind einige Männer zu sehen. „Ihr werdet schlafen,
wo es möglich ist. Kleidung, Schlafsäcke, all das liegt nicht vor.
Durchsucht eure Auto-Verbandskästen, holt Venenstauer daraus. Und, Männer,
lacht jetzt nicht: Bittet eure Frauen und Mütter um Tampons und
Damenbinden“, sagt sie und fährt fort: „Die Tampons helfen bei einer
offenen Wunde, kenne ich noch aus Tschetschenien. Die Binden braucht ihr
als Einlagen in die Schuhe. Männer, ihr seid für euch selbst
verantwortlich, ja?“
Die Aufnahmen und auch die wenigen Erzählungen der Angehörigen spiegeln die
größten Probleme der Mobilisierung wieder. Es fehlt offenbar an Kleidern
und Ausrüstung für die Reservisten, einberufen werden auch völlig
Unerfahrene und Kranke. Manche berichten von schlechten Augen, andere
brauchen einen Gehstock und werden wohl dennoch eingezogen.
## Staus an der kasachischen Grenze
In Chats finden sich solche Bitten wie: „Wir brauchen Wasserkocher,
Schmalz, Streichhölzer, Zucker, Kaffee, Knoblauch, Zitronen, Heftpflaster,
Paracetamol, Wasser, Handschuhe. Abzugeben in der Tierhandlung im Ort.“ Ein
einberufener Panzerfahrer erzählt in einem Video, dass er bereits am
nächsten Tag an die Front solle. „Der Kommandeur hat bestätigt, dass es
keine Vorbereitung gibt. Betet für mich. Oder auch nicht. Es ist eh alles
schon entschieden.“
Die Zentralregierung beschuldigt derweil die Gouverneure der Fehler. Die
„Exzesse“ müssten beseitigt werden, sagen die Regionaloberhäupter daraufh…
und entlassen so manchen Militärkommissar.
Viele russische Männer wollen sich der Willkür indes nicht beugen und
verlassen in Scharen das Land. An die 300.000 Menschen sollen bereits die
Grenze passiert haben, nach Finnland, Norwegen, in die Mongolei, nach
Zentralasien und zum Südkaukasus. Allein nach Kasachstan sind laut
kasachischen Behörden 98.000 Russ*innen geflohen; russische
Bürger*innen brauchen lediglich einen Inlandspass, um nach Kasachstan
einzureisen. Das macht das Land für viele zu einem einfachen Ziel, denn nur
20 Prozent aller Russ*innen besitzen einen Reisepass.
Zum Teil stehen die fliehenden Söhne und Töchter mehrere Tage an den
Grenzübergängen. Viele, die bleiben, suchen nach Auswegen. Manche lassen
sich gar die Beine brechen, um nicht eingezogen zu werden. Andere hoffen,
dass sie wegen ihrer Berufe nicht in die Armee müssen. Russlands
Ministerium für digitale Entwicklung zählt 195 Berufe auf, die von der
Mobilisierung ausgeschlossen sein sollen, beispielsweise ITler,
Marketingexperten, Mitarbeiter*innen von Medien, Psycholog*innen.
Nach außen soll es aussehen, als verlaufe die Teilmobilisierung geordnet
und nach Plan. Die Videos der Eingezogenen zeigen hingegen ein Bild von
absolutem Chaos: Männer, die auf blanker Erde in Zelten im Schnee schlafen,
Männer, die sich am Feuer im Wald betrinken, die Schlägereien anfangen, die
sagen: „So, es reicht mir, ich gehe jetzt nach Hause.“
28 Sep 2022
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Mobilmachung
Russland
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