| # taz.de -- Friedensnobelpreise 2022: Eine Ehrung als Kommentar zur Zeit | |
| > Dass Ales Bjaljazki, Memorial und das Civil Liberties Comittee | |
| > ausgezeichnet werden, ist richtig, wird aber leider folgenlos bleiben. | |
| Bild: Das Logo von Memorial und Bilder der Friedenspreisträger der vergangenen… | |
| Der [1][Friedensnobelpreis 2022] zeichnet einen Dreiklang aus: Personen und | |
| Organisationen der Zivilgesellschaft in Russland, Belarus und der Ukraine | |
| werden geehrt. „Wenn die Zivilgesellschaft Autokratie und Diktatur weichen | |
| muss, dann ist Frieden oft das nächste Opfer“, heißt es in der Begründung. | |
| Dass das keine steile These ist, sondern eine schlichte | |
| Wirklichkeitsbeschreibung, zeigt der seit Februar andauernde Angriff | |
| Russlands auf die Ukraine – unter belarussischer Beteiligung. | |
| Wäre Belarus so strukturiert, wie es dem Menschenrechtsverteidiger Ales | |
| Bjaljazki vorschwebt oder Russland so, wie es [2][die inzwischen in | |
| Russland verbotene Organisation Memorial] anstrebt, dann müsste das Civil | |
| Liberties Comittee in der Ukraine heute nicht Tausende von Kriegsverbrechen | |
| dokumentieren. | |
| Insofern hat das Nobelkomittee eine gute Entscheidung getroffen. Der | |
| Nobelpreis 2022 ist ganz sicher kein Fauxpas wie die Auswahl der | |
| Europäischen Union 2012 oder Barack Obamas 2009 – von der skandalösen | |
| Vergabe an Henry Kissinger 1973 ganz zu schweigen. | |
| Aber wie eigentlich immer nach der Bekanntgabe des Nobelpreises stellen | |
| sich Fragen. Da ist die grundsätzliche: Können fünf vom norwegischen | |
| Parlament bestimmte Kommitteemitglieder wirklich so etwas wie ein | |
| Weltgewissen des Friedens für sich beanspruchen? Aber auch: Steht die | |
| Aufmerksamkeit, die die Preisvergabe jedes Jahr erzeugt, wirklich in einem | |
| leidlich gesunden Verhältnis zum Frieden, der damit geschaffen wird? | |
| In den 2000er Jahren stellte der damalige US-Präsident George W. Bush mit | |
| seinem „Krieg gegen den Terror“, dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf | |
| den Irak und seiner Abscheu vor multilateralen Institutionen die Grundlagen | |
| internationaler Friedensordnung in Frage. Das Nobelkomittee reagierte mit | |
| einer ganzen Reihe von Preisvergaben: Die Uno wurde 2001 ausgezeichnet, | |
| Jimmy Carter 2002, [3][die Internationale Atomenergieorganisation 2005], Al | |
| Gore 2007 und als Höhepunkt dann eben auch noch Barack Obama 2009. | |
| Das war politisch eindeutig – aber auch eindeutig politisch und insofern | |
| von denen leicht zurückzuweisen, die der Preis angriff. So wenig, wie die | |
| Vergabe 1975 an den Dissidenten Andrej Sacharow – einem späteren | |
| Mitbegründer von Memorial – die damaligen sowjetischen Machthaber zum | |
| Umdenken brachte, bewirkten die Anti-Bush-Preise eine Wende in Washington. | |
| Und weder Russlands Kriegsherr Wladimir Putin an seinem 70. Geburtstag noch | |
| der russische Diktatur Alexander Lukaschenko werden aufgrund des Preises in | |
| sich gehen und nunmehr reumütig einsehen, dass Krieg, Diktatur und | |
| Menchenrechtsverbrechen doch keine gute Idee sind. | |
| Das aber kann nicht dem Nobelpreiskomittee angelastet werden. Es ist eine | |
| Marketingmeisterleistung der letzten gut 120 Jahre, dass der Preis | |
| überhaupt eine derartige Aufmerksamkeit genießt. Alfred Nobel hatte | |
| seinerzeit geschrieben, der Friedenspreis solle „an denjenigen [gehen], der | |
| am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die | |
| Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die | |
| Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat“. Eine Ehrung also, kein | |
| Game Changer. Leider. | |
| Bestes Beispiel: 2017 erhielt ICAN den Preis, die Internationale | |
| Organisation zur Abschaffung von Atomwaffen. Just am Tag vor der | |
| diesjährigen Bekanntgabe spricht der US-Präsident Joe Biden davon, die Welt | |
| sei seit der Kubakrise vor genau 60 Jahren nicht mehr so nah an einem | |
| nuklearen „Armageddon“ gewesen wie heute. | |
| ## Keine Bindung an nichts | |
| Genau wie im UN-Sicherheitsrat, der wirklich etwas entscheiden könnte, | |
| regelmäßig Handlungsunfähigkeit herrscht, sobald eine der fünf Vetomächte | |
| Nein sagt, binden auch die mit der Vergabe des Friedensnobelpreises | |
| implizierten Forderungen keine Macht der Welt an nichts. | |
| Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die drei in diesem Jahr Geehrten | |
| ist nicht furchtbar überraschend, aber richtig. Es hätte nahezu absurd | |
| gewirkt, keine Akteur*innen aus den unmittelbar am Ukrainekrieg | |
| beteiligten Ländern auszuwählen. Nur zu Frieden führt das leider nicht. | |
| 8 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernd Pickert | |
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