# taz.de -- Umstrittene Kunst-Gastprofs in Hamburg: Dialog und Verbrechen | |
> Ein Jahr lang lehren zwei Mitglieder des umstrittenen Kollektivs | |
> Ruangrupa an der Hamburger Kunsthochschule. Dagegen kam es nun zu (etwas) | |
> Protest. | |
Bild: Protest mit Dollarzeichen: Studierende halten Schilder hoch | |
HAMBURG taz | Dass die Eröffnung des akademischen Jahres an der Hamburger | |
Hochschule für bildende Künste (HFBK) nicht ganz wie geplant ablaufen | |
würde, wussten wohl alle Beteiligten. Zwei Semester lang werden zwei | |
Mitglieder des indonesischen Kunstkollektivs Ruangrupa [1][an der | |
Hochschule lehren]. Die Gruppe war maßgeblich verantwortlich für die Ende | |
September in Kassel zu Ende gegangene Weltkunstschau Documenta – und deren | |
[2][diverse Antisemitismusskandale]. | |
„An der HFBK“, versicherte deren Präsident Martin Köttering am späten | |
Mittwochnachmittag, „gibt es keinen Platz für Antisemitismus.“ Das sei eine | |
Selbstverständlichkeit, die auszusprechen er bisher für unnötig gehalten | |
habe. Gerichtet war das gerade auch an die diesmal vermehrt anwesenden | |
nicht Hochschulangehörigen. | |
Formal als Gastprofessoren an die Hochschule aufgenommen wurden bei der | |
Veranstaltung die Ruangrupa-Künstler Reza Afisina und Iswanto Hartono – | |
neben ihnen noch Gilly Karjevsky und Tom Holert, ferner die beiden | |
regulären Professor*innen Adina Pintilie und Tobias Zielony. | |
Die Ruangrupa-Connection machte daraus einen mehr als sonst beachteten | |
Termin. Im Gespräch mit der taz berichtete Köttering am Donnerstag etwa von | |
einem merklichen Anschwellen der Medienanfragen. Aber natürlich war nach | |
der [3][teils heftig umstrittenen Documenta] auch mit Protest zu rechnen | |
gegen die temporäre Berufung der zwei Kuratoren. | |
## Vorwurf: BDS-Nähe | |
Und ja, es wurde protestiert gegen die Personalie, es wurde Widerspruch | |
laut in der mit rund 300 Menschen mehr als gut gefüllten Aula des | |
1920er-Jahre-Baus. Noch während Kötterings einführenden Worten wurden erste | |
Zwischenrufe laut, auch Schilder waren im Publikum zu sehen: „Fight BDS“ | |
und „Ruangrupa Ca$h from Anti-Semitism“. Eine Aktivistin verteilte | |
Flugblätter, überschrieben mit: „Antisemitism is not art“. | |
Dem da verbreiteten Text zufolge handelt es sich bei Afisinas und Hartonos | |
Gastprofessuren um eine „Belohnung“ für die antisemitische Documenta; was | |
allerdings schon vom zeitlichen Ablauf her keinen Sinn ergibt. Gleichwohl | |
wurde nun die Forderung erhoben, das lange vor der Kasseler Ausstellung | |
eingegangene Arrangement aufzukündigen – oder, wie es ein Protestierender, | |
mutmaßlich biodeutscher Täternachfahre, irgendwann rief: „Schmeißt die | |
Nazis raus!“ | |
An Köttering richteten einzelne Aktivist*innen den Vorwurf, auch er | |
unterstütze die israelfeindliche Boykottbewegung BDS, ebenso sei der | |
Gastprofessor Holert deren Sympathisant. Der Kulturwissenschaftler aus | |
Berlin hätte eigentlich den Festvortrag sollen über das Thema „Kunst und | |
Governance“. | |
Als sich aber der etwas andere Charakter der Veranstaltung abgezeichnet | |
habe, sagte Köttering, habe man sich darauf geeinigt, den Vortrag zu | |
kürzen. Am Ende hielt Holert ihn dann gar nicht mehr, Köttering überließ | |
Pult und Mikrofon den Aktivist*innen. | |
War das der ganz große Eklat, die Protestaktion also ein Erfolg? | |
Ansichtssache. Die beiden umstrittenen Gastprofessoren bleiben ja; aus | |
Sicht der Protestierenden bietet die Hochschule also ein Jahr lang zwei | |
Antisemit*innen die sprichwörtliche Bühne. Bemerkenswert war in dem | |
Zusammenhang der kurze Auftritt Gilly Karjevskys: Die temporäre | |
[4][Professorin für soziales Design] ist selbst Israelin. | |
Ganz wider ihre Natur, so erklärte sie, wolle sie sich nun doch | |
positionieren zu dem Ganzen – und tat das in sehr viel entschiedeneren | |
Worten als etwa Köttering. Statt etwa vom „Nahost-Konflikt“ sprach sie | |
wiederholt von der „Besetzung Palästinas“. Das Thema werde im globalen | |
Nordwesten sehr uninformiert und voreingenommen diskutiert. Auch die beiden | |
Ruangrupa-Mitglieder würden „verfolgt“, so Karjevsky, als „angebliche | |
Antisemiten“. | |
Die Gegner*innen focht das nicht an – ebenso wenig wie Kötterings | |
Hinweis auf den späten November: Dann will die HFBK auf Initiative des | |
Hamburger Instituts für Sozialforschung und in Zusammenarbeit mit der | |
Universität der Bundeswehr einen Workshop sowie eine Podiumsdiskussion zur | |
jüngsten Documenta „als politisches und kulturelles Ereignis“ ausrichten. | |
Überhaupt sei das ja die Chance der Gastprofessuren, sagt Köttering: Wo | |
sollte sich aufarbeiten lassen, was da in Kassel schief gegangen sei, wenn | |
nicht im geschützten Raum einer Hochschule? Aus Sicht der Protestierenden | |
freilich ist schon die Diskussion über Antisemitismus Teil des Problems – | |
weil sie zum vertretbaren Teil des Meinungsspektrums mache, was einfach | |
bloß Verbrechen sei. | |
14 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gastprofessur-fuer-Documenta-Kuratoren/!5887582 | |
[2] /Antisemitismus-auf-der-documenta15/!5881352 | |
[3] /documenta-fifteen-endlich-beendet/!5883281 | |
[4] https://www.hfbk-hamburg.de/de/namenregister/gilly-karjevsky/ | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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