# taz.de -- AfD nach Wahl in Niedersachsen: Angstpropheten im Aufwind | |
> Die AfD profitiert von der Krise und schürt weiter Ängste. | |
> Sozialpsychologin Pia Lamberty widerspricht der These einer reinen | |
> Protestwahl. | |
Bild: Ist gern gesehener Gast in Moskau: Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der ex… | |
BERLIN taz | AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla machte am Montag dort | |
weiter, wo er am Sonntagabend aufgehört hat: Er instrumentalisierte | |
Abstiegsängste, ohne nachhaltige Lösungen anzubieten, sprach von einem | |
„Wirtschaftskrieg“ Deutschlands gegen Russland und malte apokalyptische | |
Szenarien an die Wand: „Wir stehen kurz vor dem dritten Weltkrieg!“, sagte | |
Chrupalla am Montag nach der Landtagswahl in Niedersachsen. Man müsse mit | |
Russland verhandeln, so Chrupalla – wohlgemerkt kurz nachdem Russland | |
erneut Kiew und andere ukrainische Städte bombardiert hatte. | |
Das Wahlergebnis bei der Landtagswahl in Niedersachsen ist für die AfD ein | |
großer Erfolg: Es ist das erste Mal seit 2018, dass die Partei in einem | |
westdeutschen Bundesland zweistellig abgeschnitten hat. Ihre Mandate konnte | |
die AfD sogar verdoppeln. Entsprechend selbstbewusst wirkte nicht nur | |
Chrupalla, sondern auch der niedersächsische Spitzenkandidat Stefan | |
Marzischewski-Drewes bei einer Pressekonferenz zur Wahlnachlese in dem | |
Steigenberger Hotel am Kanzleramt. Marzischewski-Drewes sprach davon, dass | |
die Zeit der AfD im Westen nun komme und dass es sich mitnichten um eine | |
Protestwahl gehandelt habe. | |
Demoskopen sehen das anders: AfD sei klarer Krisenprofiteur. Wähler wählten | |
die AfD [1][laut Infratest Dimap] überwiegend aus Enttäuschung über andere | |
Parteien. Neu ist allerdings, dass die extrem rechte Partei erstmals auch | |
aus ökonomischen Erwägungen gewählt wurde, etwa Preissteigerungen (37 | |
Prozent) und Energiesicherheit (30 Prozent). | |
In der Wählerwanderung profitierte die AfD vor allem von CDU und FDP. Hier | |
dürften sowohl die rechtspopulistischen Merz-Einlassungen sowie enttäuschte | |
mittelständische Unternehmen und das Handwerk eine Rolle gespielt haben. | |
Die AfD zielt in ihrer Ansprache seit geraumer Zeit auf die Abstiegsängste | |
von Handwerkern und mittelständischen Betrieben. | |
## In Cottbus reicht es nicht für die AfD | |
Eine schlechte Nachricht für die AfD gab es dennoch am Sonntag: Für das | |
Oberbürgermeisteramt im [2][brandenburgischen Cottbus] hat es bei Weitem | |
nicht gereicht: Der dortige [3][AfD-Kandidat Lars Schieske] hatte sich in | |
der Stichwahl in der rechten Hochburg erhebliche Chancen ausgerechnet. Er | |
erzielte jedoch lediglich 31,4 Prozent, kaum mehr als im ersten Wahlgang. | |
Der SPD-Kandidat Tobias Schick gewann deutlich mit 68,6 Prozent. | |
Mit Blick auf die bevorstehenden Monate nannte Sozialpsychologin Pia | |
Lamberty vom Cemas, einem Thinktank zu Verschwörungsideologie und | |
Desinformation, die These von der reinen Protestwahl [4][beim RND] | |
„verkürzt“: Beim Erstarken der AfD kämen verschiedene Faktoren zusammen, … | |
gebe neben einem gefestigtem Wählerpotential Menschen, „die ideologische | |
Übereinstimmung mit Rechtspopulismus haben und in der aktuellen Krisenlage | |
Rechtsextremismus, Hass und Hetze als Lösungsstrategie wählen“, so | |
Lamberty. | |
Es gebe sicher auch Protestwähler, aber es brauche einen antidemokratischen | |
Vorraum und Offenheit für Ressentiments, um die AfD zu wählen. Lamberty | |
warnte davor, dass die AfD in den kommenden Monaten weiteren Zulauf | |
bekommen könnte. Akteure der Desinformation arbeiteten weiter daran, die | |
Vertrauenskrise in den Staat zu vergrößern. Auch deswegen dürften | |
[5][Politiker der anderen Parteien] „nicht in den Chor der Antidemokraten“ | |
einschwören. | |
## Offener Rechtsextremismus stört offenbar nicht | |
Es spricht für Lambertys These, dass die Einstufung der AfD als | |
rechtsextremer Verdachtsfall Wähler*innen der AfD ebenso wenig gestört | |
haben wie die [6][fortgesetzte Radikalisierung der Partei]. In Konsequenz | |
lässt sich immer unverhohlener rechtsextremes Auftreten von Anhängerschaft | |
und Funktionär*innen beobachten: Vergangenen Samstag bei der | |
AfD-Großdemo in Berlin posierte ein Thüringer AfD-Politiker Holger | |
Winterstein freudestrahlend mit den Händen zum Himmel auf einer Stele des | |
Holocaust-Mahnmals und schrieb dazu: „Wir da unten haben denen da oben | |
ihren Weg gezeigt – ohne Umweg, über die hochverdiente Hölle, ins Nirvana.�… | |
Ähnlich revisionistisch wie der Thüringer Landeschef Björn Höcke, der das | |
Denkmal der ermordeten Juden 2017 als [7][„Denkmal der Schande“] | |
bezeichnete und eine „erinnerungspolitische Wende“ forderte, schrieb | |
Winterstein nach öffentlicher Empörung dazu, der Zeitgeist sei nur eine | |
kurze Erscheinung: „Thüringer, Franken, Sachsen, Bayern, Schwaben, Friesen | |
… wir sind das Volk.“ Winterstein war 2019 Landtagskandidat der von Höcke | |
dominierten völkischen AfD Thüringen. | |
Nicht nur Ralf Stegner von der SPD empörte sich: „Wer immer noch nicht | |
kapiert hat, dass das ekelhafte rechtsradikale Pack bekämpft und diese | |
Typen wieder aus den Parlamenten vertrieben werden müssen, dem ist nicht zu | |
helfen!“ | |
10 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-10/wahl-niedersachsen-2022-wae… | |
[2] /AfD-will-erste-Grossstadt-regieren/!5882472 | |
[3] /Oberbuergermeisterwahl-in-Cottbus/!5886668 | |
[4] https://www.rnd.de/politik/erstarken-der-afd-in-krisenzeiten-these-der-prot… | |
[5] /Merz-unterstellt-Sozialtourismus/!5880211 | |
[6] /Rechtsextremist-in-der-AfD/!5862822 | |
[7] /Bjoern-Hoeckes-Dresden-Rede/!5372797 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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