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# taz.de -- Wahlergebnisse in Schweden: Rechtsruck bestätigt
> Die Niederlage der Sozialdemokraten ist nun offiziell. Die
> Regierungsbildung des konservativ-rechten Lagers dürfte sich dennoch
> kompliziert gestalten.
Bild: Top-Stimmung im rechten Lager: Die Schwedendemokraten unter Jimmie Åkess…
Stockholm taz | Drei Tage nach dem Wahltag konnte die schwedische
Wahlbehörde am späten Mittwochabend endlich das definitive Resultat der
Reichstagswahl vom Sonntag präsentieren. Die Auszählung auch der letzten
Stimmen bekräftigte die Niederlage der sozialdemokratischen Regierung.
Gegenüber dem in der Wahlnacht errechneten vorläufigen Ergebnis gewannen
die Parteien des bürgerlichen Spektrums ein weiteres Mandat hinzu.
Die bisherige Mitte-links Regierungskonstellation aus Sozialdemokraten,
Grünen, Zentrumsliberalen und Linken kommt auf 173 Mandate, die Parteien
des bürgerlichen Spektrums – Konservative, Christdemokraten und
Rechtsliberale – kommen zusammen mit den [1][rechtsextremen
Schwedendemokraten] auf 176 Mandate.
Ministerpräsidentin Magdalena Andersson gestand kurz vor Abschluss der
Auszählung ihre Niederlage ein. Sie äußerte ihre Sorge über den Einfluss
der Schwedendemokraten auf die künftige Regierungspolitik und appellierte
an den mutmaßlichen künftigen Regierungschef Ulf Kristersson, sich seiner
deshalb großen Verantwortung bewusst zu sein.
Kristersson seinerseits – eigentlich doppelter Wahlverlierer, weil er nicht
nur den konservativen Moderaten in zwei Wahlen zwei Niederlagen bescherte,
sondern die Partei unter seiner Führung erstmals seit 40 Jahren auf den
dritten Platz unter den acht Reichstagsparteien abrutschte – kündigte seine
Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten an. Voraussetzung dafür,
dass Parlamentspräsident Andreas Norlén ihn für eine solche Abstimmung
nominiert, wäre aber, dass er eine ausreichende Mehrheit im Reichstag
präsentieren kann.
## Minderheitsregierungen gab es bereits in der Vergangenheit
Erste Gespräche darüber, wie genau eine solche Regierung Kristersson
aussehen könnte, laufen seit Montag zwischen den beteiligten Parteien. Eine
regelrechte Koalition müsste es nicht sein. Minderheitsregierungen, die
sich in Form von konkreten Übereinkommen mit anderen Parteien deren
parlamentarische Unterstützung sichern, sind in Schweden üblich. In den
vergangenen beiden Legislaturperioden gab es solche sozialdemokratisch
geführten Minderheitsregierungen. Grundlage war jeweils, dass diese
Regierungen sich mit den außerhalb der Regierung verbleibenden
Zusammenarbeitsparteien über die Kriterien für eine gemeinsame Politik
einig wurden.
Die Wunschregierung Kristerssons scheint eine Koalition aus Konservativen,
Christdemokraten und Rechtsliberalen zu sein, die sich auf die Stimmen der
Schwedendemokraten stützen kann, ohne dass diese Teil der Koalition werden.
Diese Partei wäre einerseits mit ihren 73 Mandanten – 5 mehr als die
Konservativen – das größte politische Gewicht in der Waagschale einer
solchen Konstellation, die Kristersson bislang etwas schwammig als „meine
Seite in der Politik“ bezeichnet. Andererseits gibt es aber bei aller
demonstrativen Einigkeit Differenzen in vielen politischen Fragen zwischen
den vier Parteien. Eine Einigung dürfte also gar nicht so einfach werden –
es sei denn, man klammert erstmal so viele Streitfragen wie möglich aus.
Die politische Lage mit hoher Inflation und drohender wirtschaftlicher
Rezession, einem „Energiekrieg“, [2][dem immer noch unsicherem
NATO-Beitritt] und nicht zuletzt der Aussicht, dass Schweden ab 1. Januar
den EU-Vorsitz übernehmen wird, passt mit einer schwachen Regierung, die
bei jeder wichtigen Entscheidung erst langwierig verhandeln muss, nicht
zusammen.
Hinzu kommt, dass schon der Fraktionsaustritt oder Seitenwechsel von ein
oder zwei Abgeordneten die Mehrheitsverhältnisse verkomplizieren oder gar
wenden könnte. Im Schnitt der letzten Legislaturperioden gab es jeweils
drei solcher Parteiaustritte oder -wechsel. Magdalena Andersson war in der
Schlussphase ihrer Regierung beispielsweise gezwungen, gesonderte
Übereinkommen mit Amineh Kakabaveh, einer nach dem Austritt aus der
Fraktion der [3][Linkspartei parteilosen Abgeordnete]n, zu treffen.
Daran, dass eine Regierung Kristersson mit der derzeit anvisierten
parlamentarischen Grundlage wirklich eine Legislaturperiode durchhalten
könnte, scheinen sogar die Beteiligten selbst zu zweifeln. So beendete
Johan Pehrson, Parteivorsitzender der Rechtsliberalen, in der Wahlnacht
eine Rede auf der Wahlparty seiner Partei mit dem Satz: „2026 ist dann ja
wieder Wahl. Spätestens.“
## Weshalb die Auszählung so lange gedauert hat
Und warum hat sich eigentlich die Stimmenauszählung so lange hingezogen?
Zwar spielten diesmal auch besondere Umstände eine Rolle, wie die, dass
viele Wahllokale wegen der langen Schlangen wartender WählerInnen erst
Stunden nach dem formalen Wahlende um 20 Uhr schließen konnten.
Aber auch unabhängig davon dauert es aufgrund der Besonderheiten des
Wahlsystems in Schweden immer mehrere Tage bis zum definitiven Resultat.
Schweden kennt im Inland keine Briefwahl. Möglich ist aber eine „Vorwahl“
in den zweieinhalb Wochen vor dem Wahltag. Man kann dann überall im Lande
in den bereits geöffneten Wahllokalen wählen. Die Wahlzettel werden zur
Auszählung dann aber an die jeweils zuständigen Wahllokale am Wohnsitz der
WählerInnen geschickt. Wahlzettel, die erst am Freitag und Samstag vor der
Wahl anfallen, kommen für die reguläre Auszählung am Wahlabend nicht
rechtzeitig an. Im Rahmen der „Mittwochsauszählung“ werden diese
verspäteten Stimmen zusammen mit den letzten Briefwahlstimmen aus dem
Ausland jeweils am Mittwoch nach der Wahl gezählt.
Eine weitere Besonderheit sind die schwedischen Wahlzettel. Es gibt keine
Stimmzettel, auf denen alle Parteien aufgeführt werden, wie beispielsweise
in Deutschland. Stattdessen gibt es für jede Partei und jeden Wahlkreis
gesonderte Stimmzettel im DIN-Format A 6, mit den jeweiligen örtlichen
KandidatInnen. Die meisten Parteien schicken ihre Wahlzettel auch zusammen
mit Wahlreklame vorab an alle Haushalte. Man kann sie dann beim Besuch des
Wahllokals gleich mitbringen und braucht nicht die dortigen Wahlzettel
benutzen.
Bei drei gleichzeitig stattfindenden Wahlen – wie am vergangenen Sonntag –,
gibt es gelbe Wahlzettel für den Reichstag, weiße für die kommunalen und
blaue für die regionalen Parlamente. Damit diese überall in ausreichender
Anzahl vorhanden sind, wurden in diesem Jahr angesichts von in manchen
Kommunen bis zu 20 unterschiedlichen Parteien für rund 7 Millionen
Wahlberechtigte rund 700 Millionen Wahlzettel gedruckt. Kostenpunkt:
Umgerechnet rund 3 Millionen Euro. Es ist ein umstrittenes Verfahren, auch
wegen der damit verbundenen Papierverschwendung. Eine Änderung ist aber
nicht in Sicht.
15 Sep 2022
## LINKS
[1] /Chef-der-Schwedendemokraten/!5881199
[2] /Auslieferung-aus-Schweden-in-die-Tuerkei/!5874240
[3] /Misstrauensvotum-gescheitert/!5859833
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Wahlen
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