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# taz.de -- Flucht aus Myanmar: Ein Ort im Zwischenwo
> Seit dem Militärputsch im Februar 2021 sind Zehntausende Menschen aus
> Myanmar geflohen. Viele landen zunächst im thailändischen Grenzort Mae
> Sot.
Bild: Protest von Exilant:innen im Juli in Mae Sot gegen die Hinrichtung von Di…
Mae Sot taz | Der weiße Kilometermarker steht unbeachtet an Mae Sots
belebter Prasatwithi-Straße. Daneben ragt ein Strommast samt Kabelsalat gen
Himmel, ein paar Meter weiter wirbt der Papa Cutz Barbershop für
Hipsterfrisuren. Nach Myawaddy auf der myanmarischen Seite der Grenze sind
es nur acht Kilometer, bis zur Metropole Yangon 567.
Doch dorthin will [1][seit dem 1. Februar 2021, als das Militär mit einem
Coup die gerade wiedergewählte Zivilregierung absetzte,] kaum jemand.
Vielmehr vergeht seitdem kein Tag, an dem es nicht zu blutigen
Zusammenstößen zwischen Widerstandsgruppen und dem Militär kommt. Der Kampf
ist brutal. Ganze Dörfer werden vom Militär in Schutt und Asche gelegt.
[2][Menschen werden verschleppt, sogar Kinder, Frauen und Alte
massakriert.]
Rund 1,3 Millionen Menschen sind [3][laut UN-Flüchtlingswerk] allein
innerhalb von Myanmar auf der Flucht. Und diese ist lebensgefährlich und
teuer – vor allem, wenn sie ins einigermaßen sichere Nachbarland führt. Bis
zu 30.000 Thai Baht, rund 850 Euro, pro Kopf, kann der Menschenschmuggel
nach Thailand kosten.
„Viermal bekam ich Malaria-Anfälle“, erzählt Min Min* beim Tee, „Hunger…
unser ständiger Begleiter“. Der hagere Mittzwanziger war mit seiner Frau
und anderen Familienangehörigen Mitte vorigen Jahres aus seiner Heimatstadt
im Osten Myanmars geflohen. Jetzt sitzen sie in einem leeren Mietshaus am
Stadtrand von Mae Sot. Bis 2020 war ihre Welt noch in Ordnung. Die Familie
betrieb ein Hotel und einen Zweiradverleih. Er führte Touristen durch die
idyllische Bergwelt. Dann kam Corona, und Myanmar schloss die Grenzen.
## Proteste nach dem Putsch
Min Min half einer Lokalpolitikerin der Nationalen Liga für Demokratie
(NLD) beim Wahlkampf. „Nach dem Putsch ging ich nach Yangon und war bei den
Massenprotesten an vorderster Front dabei, um sie zu dokumentieren.“
[4][Bis diese brutal niedergeschlagen wurden.] „Einige der Pressebilder
stammen von mir“, erklärt er und zeigt sie mit Stolz auf seinem Smartphone.
Auf einem Foto ist er mit seiner Kamera zu sehen. Die gibt es nicht mehr,
verkauft.
Sein Haus und Hotel wurden vom Militär konfisziert. Jetzt stehen Min Min
und seine Familie vor dem Nichts. „Wir wollen erst wieder zurück, wenn
Demokratie herrscht“, sagen sie. In ihren Gesichtern zeigt sich eine
Mischung aus Wut und Verzweiflung. Denn bis zur Demokratie ist es in
Myanmar derzeit ein weiter und vor allem sehr blutiger Weg.
Zumindest gegen den Hunger im Dschungel wollen sie etwas tun. Mit
Plastikschürze und Kopfschutz stehen sie in der Küche, hacken Rindfleisch
klein und legen es in eine Trockenmaschine, während die Kinder über den
Steinboden krabbeln. Am Schluss werden die Stücke eingeschweißt und
vakuumverpackt.
Immer wieder kommt jemand mit dem Moped vorbei und nimmt einige Päckchen
mit. Später landen diese in einem der vielen Guerilla-Camps jenseits des
Moei-Flusses. Der ist 327 Kilometer lang und bildet über weite Strecken die
Grenze zwischen Thailand und Myanmar.
## Wer aufmuckt, fliegt raus
Das Gebiet um den Fluss ist schwer zu kontrollieren: Westlich der Grenze
hat weitgehend die Karen National Union (KNU) das Sagen, östlich davon
Thailands Militär, das einerseits ständig Flüchtlinge aus Myanmar
zurückschickt, aber gegen Bestechung auch mal ein Auge zudrückt.
„Wir leben zum Teil von unseren Ersparnissen. Einige von uns arbeiten auch
in Restaurants, die von Birmesen geführt werden“, erklärt Min Min. Für ihre
Arbeit bekommen sie am Tag zusammen 150 Thai Baht, umgerechnet 4 Euro.
Gerade wurde der Mindestlohn von der Regierung auf 337 Baht festgelegt,
mehr als das Doppelte. Doch der gilt hier nur selten.
Der Grenzdistrikt Mae Sot hat sich mit seinen rund 150.000 Einwohnern in
den letzten Jahrzehnten zu einem attraktiven Industriestandort gemausert.
Seit 2015 gehört er zur Sonderwirtschaftszone der Provinz Tak. Der Asian
Highway Nummer 1 geht durch Mae Sot, zwei „Freundschaftsbrücken“ über den
Moei führen nach Myanmar. Und dank eines modernen Flughafens ist man in
einer Flugstunde in Bangkok.
Über eine Viertelmillion Arbeitskräfte stehen in der Region zur Verfügung,
heißt es in einer Werbebroschüre der Tak-Provinz. Was sie verschweigt: Die
meisten stammen aus Myanmar und arbeiten zu schlechten Bedingungen. Viele
kleinere Textilfabriken haben sich angesiedelt und nutzen die laxen
staatlichen Kontrollen aus. Unbezahlte Überstunden und geringe Bezahlung
sind eher die Regel als die Ausnahme. Wer aufmuckt, fliegt raus.
## Ein Euro am Tag
Die Arbeitgeber wissen um die Not der Migranten. Nur selten kommt es zu
Razzien. Größtenteils erst dann, wenn Medien über Missstände berichten. Wie
beispielsweise 2019, als Reporter aufdeckten, dass die Kanlayanee Company –
eine Fabrik mit 50 Beschäftigten, die unter anderen Schürzen für Starbucks
herstellt – den Angestellten umgerechnet nur einen Euro am Tag bezahlte.
Wer es aus Myanmar nach Thailand geschafft hat, ist dort überwiegend
illegal. Von den geschätzt vier bis fünf Millionen Migrant:innen, die
insgesamt im Königreich leben und arbeiten, haben laut Internationaler
Arbeitsorganisation (ILO) nur zwei Millionen gültige Papiere. Mehr als
die Hälfte von ihnen stammen aus dem westlichen Nachbarland.
„Hohe Kosten, lange Wartezeiten und bürokratische Hürden halten viele davon
ab, auf legalem Weg nach Thailand einzureisen und dort zu arbeiten“,
[5][erklärt die Internationale Organisation für Migration (IOM)] zu den
Gründen. Das gilt allemal für Flüchtlinge aus Myanmar, wo die Beantragung
des Passes mit viel Schikane und hohen Schmiergeldzahlungen verbunden ist.
Wer wie Min Min und seine Familie fliehen musste, vermeidet sowieso
jeglichen Behördenkontakt. Für sie bleibt nur der Weg, als Flüchtling
anerkannt und irgendwann von einem Drittland aufgenommen zu werden. Doch
das ist ein langer, mühevoller Prozess.
## Hochschwanger auf der Flucht über die Berge
Und eigentlich will auch niemand von ihnen so weit weg. „Ich hoffe, mit
meinem Mann und dem Neugeborenen bald in die USA ausreisen zu können“, sagt
Aye Lwin*, die vor der Militärjunta geflohen ist. Viele Jahre hatte sie für
internationale Organisationen in Yangon gearbeitet und hielt es nach dem
Putsch nicht mehr aus.
Eigentlich wollte sie in Thailand studieren und hatte schon Stipendium und
Studentenvisum in der Tasche. Doch die legale Ausreise sei wegen ihres
politischen Widerstands nicht mehr möglich gewesen, sagt sie. Wenige Monate
nach der Machtübernahme floh sie hochschwanger über die Berge aus Myanmars
Kayin-Staat nach Thailand. Glücklicherweise konnte sie ihr Baby in einem
Krankenhaus in Mae Sot zur Welt bringen.
Von der IOM unterstützt, wohnt sie nun mit anderen Flüchtlingen aus Myanmar
in einem einfachen Hotel. Und wartet. Sollte sie es in die USA schaffen,
wolle sie schnellstmöglich wieder nach Thailand, betont Aye Lwin. Dann
erzählt sie von ihren Plänen, ein Geschäft zu eröffnen, um Handarbeiten von
Flüchtlingen und Menschen aus der Grenzregion zu verkaufen.
Phyu Hein* ist da schon weiter. Ihr Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung
liegt zwar noch bei den Behörden, doch sie betreibt jetzt bereits seit
Monaten in Mae Sot zusammen mit einem thailändischen Geschäftspartner ein
Café. Die Kaffeebohnen stammen aus den Bergen Myanmars, wo sie die Jahre
zuvor mit ihrem Mann erfolgreich eine Kaffeemarke etabliert hatte.
Das Menüangebot ist auf Birmanisch geschrieben, auch der Rest der
hochwertigen Produkte stammt weitgehend von drüben. Bald nach Eröffnung ist
der Laden zum angesagten Exilant:innentreff geworden. Es ist ein Ort im
Zwischenwo: Physisch sind hier zwar alle in Mae Sot – aber in Gedanken und
Gefühlen stets in Myanmar.
* Name geändert
17 Sep 2022
## LINKS
[1] http://seit%20dem%201.xn--%20Februar%202021,%20als%20das%20Militr%20mit%20e…
[2] /Nach-dem-Putsch-des-Militaers/!5881509
[3] https://reliefweb.int/report/myanmar/myanmar-humanitarian-update-no-21-2-se…
[4] /Myanmar-nach-dem-Militaerputsch/!5786411
[5] https://thailand.iom.int/migration-context
## AUTOREN
Paul Heine
## TAGS
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