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# taz.de -- Automatisierung verdrängt Schaltgetriebe: Knüppel in den Sack
> Immer mehr Elektroautos kommen auf die Straßen – und verdrängen damit die
> Handschaltung. Vier Texte zum Abschied.
Bild: Wo der Teddy künftig sitzen wird, ist unklar
## Der Dialysepatient flog fast aus dem Fenster
Mit Anfang 20 bin ich für ein paar Jahre im Rhein-Main-Gebiet Taxi
gefahren. Die kleine [1][Taxiklitsche] bestritt ihre Haupteinkünfte mit
Krankenfahrten. Was bedeutete, Dialyse- und Rehapatienten hin- und
herzukutschieren – alles auf Krankenschein und meist auch ohne Trinkgeld.
Für jeweils eine monetär eher kärgliche Tagesschicht bekam man eine
deutliche attraktivere Nachtschicht; das war der Köder, den Cheffe
ausgeworfen hatte, damit sich überhaupt irgendwer dieser ungeliebten
Fahrten erbarmte.
Mir als einziger Frau hatte man bisher immer den schrottigsten Benz des
Betriebes zugewiesen, dessen Kilometerzähler bereits eine komplette
Äquatorumrundung hinter sich hatte, und bei dem selbst mit Mutwillen nicht
mehr viel zu ruinieren war. Aber immerhin: Schaltgetriebe. Das war ich
gewohnt, auch wenn ich als Entenfahrerin mindestens zehnmal täglich aus
Gewohnheit auf Höhe des Autoradios ins Leere griff. Links lenken, rechts
schalten – das ging mir so in die Motorik über wie dem Musiker sein
Instrument. Nach meinem ersten, kratzer- und dellenfreien Dienstjahr bekam
ich zum ersten Mal den Schlüssel für die damals nagelneue Mercedes-E-Klasse
in die Hand.
Es sollte eine Belobigung sein, bei der ich es jedoch an der angemessenen
Euphorie mangeln ließ, weil: 1. Riesenschlitten und 2. Automatik. Trotz
vorherigen fahrgastlosen Übens flog mir der erste Dialysepatient beim
Bremsen an der Ampel fast durch die Scheibe. Kleiner Trost: Trinkgeld hätte
ich sowieso keins bekommen. Der Zweite fragte mich amüsiert, ob ich
überhaupt einen Führerschein besäße.
Meine bisherige Fahrsouveränität war mit dieser ungeübten Neumotorik
tatsächlich dahin: Wohin mit dem überflüssig gewordenen, linken Fuß? Und
der meist untätigen, rechten Hand? Die erste Delle beim versehentlich
eingelegten Rückwärtsgang ließ nicht lange auf sich warten – und ich war
beglückt, als mir die E-Klasse wieder entzogen wurde und ich endlich wieder
mit meinem alten Äquatorveteranen nach Belieben schalten und walten konnte.
Tania Kibermanis
## Beim Autofahren ist nichts intuitiv – außer das Schalten
Statt des [2][Gefühls grenzenloser Freiheit], das mir vor meinem
Führerschein versprochen wurde, bekam ich vor allem eins: den Wunsch, nie
wieder ein Auto fahren zu müssen. Doch dann und wann geht dieser Wunsch
selbst in einer Stadt wie Berlin nicht in Erfüllung. Dann und wann muss ich
hinters Steuer – leider.
Beim Autofahren finde ich nichts intuitiv. Weder die anderen
Verkehrsteilnehmerinnen noch das Einparken. Halt gibt mir lediglich: die
Kupplung. Der Schaltknüppel gibt den Takt vor. Einkuppeln, Gang einlegen,
anfahren, auskuppeln. Gas geben, einkuppeln, hochschalten. Er lässt die
Fahrerinnen eine Einheit mit dem Fahrzeug werden. Er erlaubt es mir, auch
in brenzligen Situationen ein gutes Gefühl für den Motor zu haben.
Einkuppeln, auskuppeln. Klar, wer Automatik fährt, kann durchdrücken und
muss nicht hochschalten. Das erledigt dann das Fahrzeug. Doch genau das
will ich nicht. Im unübersichtlichen Straßenverkehr will ich die Kontrolle
behalten.
Sie werden sagen: Das klingt nicht intuitiv. Sie könnte sich doch viel
besser auf den Verkehr konzentrieren, wenn sie nicht schalten müsste. Ich
aber sage: Nein, denn das einzig rationale beim Autofahren ist für mich das
Hoch- und Runterschalten. Diese Rationalität gibt mir Sicherheit. Wenn ich
dann und wann nicht umhinkomme, hinterm Steuer zu sitzen.
Larena Klöckner
## Schaltung nervt nur bei Stop & Go in der Großstadt
Im Fahrschulauto: 17 Jahre, ein klopfendes Herz und der linke Fuß auf der
Kupplung. Langsam hebst du ihn an, lässt die Kupplung kommen, und bumms –
schon bist du abgesoffen. Doch Mal für Mal grooved ihr euch ein, du und
[3][das Auto mit dem Schaltgetriebe], freundet euch vielleicht sogar an –
na, verstehen wir uns? Oder blamierst du mich mitten auf der großen
Kreuzung, weil ich dein Trio aus Kupplung, Gas und Schaltung nicht mit dem
nötigen Feingefühl behandelt habe? Weil ich mit dem Kopf fahren wollte,
statt mit dem Körper? Bei Stop & Go in der Großstadt mag es nerven, das
Schalten, aber sonst?
Sonst macht Autofahren gerade deshalb so viel Spaß, weil du im ständigen
Austausch bist mit diesem Gefährt, das dich befördert. Weil du beim
Beschleunigen den dritten Gang einen Tick länger ausreizen kannst, als
nötig, weil du dir das Tempo schrittweise verdienst.
Weil subtile Bein-, Fuß- und Handbewegungen fließend in die der Maschine
übergehen. Eine Art Erweiterung des eigenen Körpers. Heute wird vielen
Fahrschüler:innen Gangschaltung nicht mal mehr beigebracht. Jaja,
Automatik ist leichter zu bewerkstelligen, smooth zu fahren und
klimaeffizient sowieso. Ja, okay! Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber
langweilig ist es auch!
Clara Engelien
## Zwei Pedale reichen vollkommen aus
Autos mit automatischem Getriebe seien unsportlich, behaupten Manta-Fahrer.
Völliger Quatsch. Es gibt nichts Schöneres, als sich in einem
Automatikwagen bei geöffnetem Fenster an einem lauen irischen Sommerabend
den Wind über die Glatze streichen zu lassen – eine Hand am Lenkrad, in der
anderen ein Glas Guinness.
Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich vor zwölf Jahren zur Probefahrt
in den Wagen stieg. Damals war er zehn Jahre alt, er hatte einem lesbischen
Paar aus den USA gehört. Die beiden Frauen kamen [4][einmal im Jahr für
drei Wochen nach Irland], den Rest des Jahres stand das Auto in einer
Garage. Dann starb eine der beiden, die andere wollte nicht mehr nach
Irland reisen und verkaufte mir den Wagen.
Fortan war ich Automatikfan. Das Getriebe wählt das ideale Drehzahlniveau,
sodass es keine dummen Sprüche mehr gibt. Früher hat mich mein Vater
nämlich bisweilen angeschnauzt, weil er mich für schaltfaul hielt: „Gas und
Bremse, mehr kennste nich.“ Inzwischen muss ich auch nicht mehr kennen.
Neulich wurde die Freude ein wenig getrübt, weil das Auto trotz seiner
jugendlichen 22 Jahre zum ersten Mal durch den TÜV gefallen ist. Aber am
Automatikgetriebe lag es nicht, das funktioniert nach wie vor tadellos. Der
Atlantik war schuld: Die salzhaltige Luft an der irischen Westküste hatte
eine Bremsleitung und die Beifahrertür zerfressen – nichts, was sich nicht
reparieren ließe, sodass wir uns noch lange nicht scheiden lassen müssen.
Manchmal, wenn ich das Auto von Freunden oder einen Mietwagen fahre, würge
ich die Kiste an jeder roten Ampel ab, weil ich das dritte Pedal, die
Kupplung, vergessen habe. Zwei Pedale reichen völlig aus.
Das werden Menschen wie Bundesminister Christian Lindner von der FdP
(„Fahrt doch Porsche“) nie begreifen. Schaltknüppelfetischisten sollten
dazu verdonnert werden, die Spermaflecken, die beim manuellen Schalten in
den geilen fünften Gang – Automatikgetriebe haben bis zu neun Gänge – in
die Unterhose geraten, in einem Waschzuber über offenem Feuer auszuwaschen.
Waschmaschinen sind nämlich unsportlich.
Ralf Sotscheck
28 Sep 2022
## LINKS
[1] /Irritationen-beim-Taxifahren/!5808601
[2] /Praegende-Autos/!5778927
[3] https://www.sueddeutsche.de/auto/auto-schaltung-technik-1.5551567
[4] /Reisen-mit-Camper/!5881704
## AUTOREN
Larena Klöckner
Tania Kibermanis
Ralf Sotscheck
Clara Engelien
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Schwerpunkt #metoo
Schwerpunkt Klimawandel
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