# taz.de -- Neuer Wahlleiter für Berlin: Die Angst vor den Neuwahlen | |
> Die rot-grün-rote Koalition fürchtet, dass das Verfassungsgericht eine | |
> Wahlwiederholung verlangt. Eine interessante Personalie soll das | |
> verhindern. | |
Bild: Auch sie kam nicht sofort an die Urne: Giffey in der Schlange vor einem W… | |
Der 26. September 2021 war ein traumatischer Tag für die Berliner | |
Landespolitik. Die Abstimmungen zu Bundestag, Abgeordnetenhaus, | |
Bezirksparlamenten und Volksentscheid, unter Pandemiebedinungen und | |
parallel zum Marathon: Allen Warnungen zum Trotz führte das [1][zu so | |
vielen Pannen], dass einige Politiker*innen inzwischen sogar [2][eine | |
komplette Wiederholung] nicht mehr für ausgeschlossen halten. | |
Eine von der Landesregierung selbst eingesetzte Kommission kam Anfang Juli | |
zu dem Schluss, Senat und Abgeordnetenhaus hätten [3][die „logistische | |
Herausforderung der Vierfachwahl massiv unterschätzt“]. Sie sparte nicht | |
mit Kritik an der Vorbereitung der Wahl, an der grundsätzlichen Struktur, | |
wie Wahlen in Berlin organisiert werden, und am Handeln – oder besser: | |
Nichthandeln – einzelner Politiker, namentlich des damaligen Innen- und | |
heutigen Bausenators Andreas Geisel (SPD). Eines der Mitglieder dieses | |
Gremiums aus Expert*innen und Organisator*innen der Wahlen war | |
Stephan Bröchler. | |
Ausgerechnet der 59-jährige Politikwissenschaftler an der Berliner | |
Hochschule für Wirtschaft und Recht [4][soll ab Oktober auf Wunsch des | |
Senats den Posten des Landeswahlleiters übernehmen]. Das erfuhr die taz am | |
Freitag aus Senatskreisen. Die Kür eines Kenners und Kritikers der | |
Wahlabläufe ist auch ein Signal und Eingeständnis in Richtung des | |
Verfassungsgerichtshofs des Landes: Man hat Fehler gemacht, aber man will | |
die Abläufe verbessern, um Wahlen in Berlin künftig wieder rechtssicher | |
durchführen zu können. | |
## Vom Trauma zum Drama? | |
Das Verfassungsgericht will bis Ende des Jahres über die Konsequenzen aus | |
den Pannen und über die Einsprüche gegen die Wahl entscheiden. Würde eine | |
Neuwahl des Abgeordnetenhauses notwendig, könnte das Trauma zum Drama | |
werden: Denn es ist längst nicht sicher, ob die Koalition genügend Stimmen | |
bekäme, um ihre Arbeit fortzusetzen. Mit diesem Zugeständnis geht es ihr | |
also auch darum, die eigene Existenz als Regierung zu retten. Besonders die | |
SPD, die nicht zuletzt durch den bundespolitischen Rückenwind für Olaf | |
Scholz wieder ins Rote Rathaus gewählt wurde, aber auch die Linke müssten | |
Einbußen fürchten. | |
Unausweichlich ist wohl, dass [5][in einzelnen Wahlkreisen mit einem sehr | |
knappen Ergebnis eine Wiederholung ansteht]. Dort könnten die Pannen | |
mandatsrelevant gewesen sein: Potenzielle Wähler*innen wurden vielleicht | |
durch die Schlangen abgeschreckt, falsche Stimmzettel haben möglicherweise | |
den entscheidenden Ausschlag gegeben. Auch diese Wiederholung im Detail | |
könnte Auswirkungen auf die Sitzverteilung im Parlament haben. Sie würde | |
aber nicht die Koalition gefährden, sondern höchstens das Image von Senator | |
Geisel. | |
## Bei weitem keine Einzelfälle | |
Aber in den Monaten nach der Wahl sind immer mehr Pannen bekannt geworden. | |
Der Bundeswahlleiter hat eine Neuwahl in sechs der zwölf | |
Bundestagswahlkreise gefordert, und auch die Senats-Kommission geht davon | |
aus, dass es sich bei der Vergabe fehlerhafter Wahlzettel und Verzögerungen | |
im Ablauf keineswegs um Einzelfälle handelte, sondern weit mehr als die | |
anfangs angenommenen 10 Prozent der Wahllokale betroffen waren. Damit ist | |
eine Neuwahl keineswegs ein unrealistisches Szenario mehr. | |
Dieses möglichst abzuwenden, wird für den Senat immer drängender. Viele | |
Möglichkeiten gibt es freilich nicht mehr: Die damalige Landeswahlleiterin | |
war bereits wenige Tage nach der Wahl zurückgetreten, die Innensenatorin | |
heißt inzwischen Iris Spranger (SPD), und ungeschehen machen lassen sich | |
die Vorfälle sowieso nicht. Um die Richter*innen milde zu stimmen, | |
bleibt nur, guten Willen für Veränderungen zu zeigen und diese so schnell | |
wie möglich anzugehen. Ob diese Taktik aufgeht, hängt auch von den ersten | |
Schritten von Stephan Bröcher ab, wenn er sein Amt am 1. Oktober antritt. | |
3 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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