# taz.de -- Liz Truss in Großbritannien: Die stets Unterschätzte | |
> Liz Truss wird neue britische Premierministerin. Selbst in ihrer | |
> konservativen Partei schauen manche auf sie herab – und könnten sich | |
> täuschen. | |
Schon bevor Liz Truss ihr Amt als Premierministerin des Vereinigten | |
Königreichs antritt, wird die 47-Jährige angefeindet wie noch keiner ihrer | |
Vorgänger. Die Schläge kommen aus allen Richtungen und liegen abgrundtief | |
unter der Gürtellinie. „Liz Truss ist eine planetengroße Masse aus | |
Selbstüberschätzung und Ambition, die auf einem stecknadelkopfgroßen | |
politischen Hirn balanciert“, schreibt der konservative Kommentator Matthew | |
Parris in der [1][Times]. | |
Seine linke Kollegin Polly Toynbee meint im [2][Guardian]: „Die Tory-Partei | |
hat ihren Verstand verloren“ und charakterisiert Truss so: „Ökonomie aus | |
dem Kinderbuch wird die Rettung sein, solange wir laut genug klatschen, um | |
das Märchen am Leben zu halten.“ Auf Twitter trendet der Hashtag | |
#ThickLizzie (Dumme Lizzie), unter dem Dinge stehen wie: „Liz Truss ist, | |
was herauskommt, wenn man einem Baby Margaret Thatcher beschreibt und es | |
bittet, sie mit dem Inhalt seiner Windel nachzumachen“. | |
Nur 12 Prozent der Briten, das ergab eine Meinungsumfrage vergangene Woche, | |
erwarten in Truss eine gute Premierministerin. Von den 357 konservativen | |
Unterhausabgeordneten unterstützt sie nur eine Minderheit. Liz Truss tritt | |
ihr Amt auch objektiv unter schwierigen Vorzeichen an, inmitten der | |
schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, die gerade erst ihre volle | |
Wucht entfaltet. | |
Und doch haben die rund 172.000 Mitglieder jetzt mit Mehrheit Truss zur | |
neuen Parteichefin und Premierministerin bestimmt. Die Außenministerin | |
erhielt gut 81.000 Stimmen, der Konkurrent und frühere Finanzminister | |
[3][Rishi Sunak] gut 60.000. | |
Ihre Wahl richtet sich, wie schon die Boris Johnsons vor drei Jahren, gegen | |
das konservative Establishment. Boris Johnson platzierte sich aus freien | |
Stücken außerhalb des Elitekonsenses. Truss gehört von vornherein nicht | |
dazu. Sie hat die falschen Eltern, sie ging auf die falsche Schule, sie | |
spricht mit dem falschen Akzent, sie kann sich nicht gut ausdrücken, sie | |
ist eine blonde Frau, sie ist übereifrig, minderbemittelt, selbstverliebt, | |
verrückt, seltsam, populistisch – all dies kann man in diesem Sommer in | |
Großbritannien über [4][Liz Truss] lesen und hören. | |
## Für den schlanken Staat | |
Wie fern scheint da die Zeit, als Mary Elizabeth Truss als Vizedirektorin | |
des biederen Thinktanks „Reform“, der über die Modernisierung des | |
Beamtenwesens fachsimpelt, staubtrockene Analysen der Haushaltsentwürfe der | |
2010 abgewählten Labour-Regierung verfasste. „Die Ambition eines stärker | |
wachstumsfördernden Umfelds wurde nicht realisiert“, schrieb Truss 2008. Im | |
Folgejahr, in Vorbereitung auf die erwartete Rückkehr der Konservativen an | |
die Macht, empfahl sie radikale Kürzungen der Staatsausgaben: Man müsse die | |
Ausgabenkultur grundlegend verändern und „das Unterholz roden, das Anreize | |
vernebelt und Ministerien von ihren Kernaufgaben ablenkt“. | |
Wer will, findet in diesen Schriften schon den Kern des Programms eines | |
verschlankten Staates, mit dem Liz Truss jetzt Premierministerin geworden | |
ist. Nicht viele Politiker in Großbritannien können sich heute noch auf | |
über zehn Jahre alte Äußerungen berufen – Truss schon. | |
Vorgezeichnet war das nicht. Ihr politischer Werdegang ist ausgesprochen | |
schillernd. Liz Truss wuchs in einem linken Akademikerhaushalt auf, Tochter | |
einer Krankenschwester und eines Mathematikprofessors. Wenige Jahre nach | |
ihrer Geburt in Oxford im Jahr 1975 zog die Familie berufsbedingt nach | |
Paisley in Schottland und dann nach Leeds in Yorkshire, wo sie aufwuchs und | |
das sie heute als ihre Heimat bezeichnet. | |
Sie nahm als kleines Mädchen an Demonstrationen der Friedensbewegung teil, | |
als Oberschülerin stieß sie zu den Liberalen. Von 1993 bis 1996 studierte | |
sie Politik, Philosophie und Ökonomie am eher unkonventionellen Merton | |
College der Universität Oxford, wo einst der „Herr der Ringe“-Schöpfer J. | |
R. R. Tolkien englische Literatur lehrte. Truss engagierte sich in der | |
Studentenpolitik und wurde Leiterin der Liberaldemokraten der Universität. | |
Den Liberalen schloss man sich im England der 1990er Jahre nicht an, um | |
politische Karriere zu machen, sondern um gegen den Strom zu schwimmen. Die | |
erste überlieferte politische Rede ihres Lebens hielt Liz Truss als | |
Studentin 1994 auf dem Jahresparteitag der Liberaldemokraten – eine Art | |
mollige Vorläuferin von Greta Thunberg, die mit Verve ihre Parteigrößen | |
herausfordert und ein Referendum über die Abschaffung der Monarchie | |
verlangt. Ihre für manche irritierende Art, scheinbar zusammenhanglos ihre | |
Zuhörer abwechselnd breit anzugrinsen und mit einem entschlossenen Blick zu | |
fixieren, ist schon dort zu erkennen. | |
## „Ich war eine Rebellin!“ | |
Bis heute erzeugt Liz Truss den Eindruck, dass sie zwar nicht geschliffen | |
reden, aber deutlich ihre Meinung sagen kann; und dass sie sich am | |
Rednerpult köstlich amüsiert, nicht zuletzt über sich selbst und darüber, | |
dass sie überhaupt da steht und spricht. Sie beherrscht den in der | |
britischen Politik obligatorischen Schuss Selbstironie, von dem man bei ihr | |
aber nie genau weiß, ob er nicht an sich auch ironisch gemeint ist. | |
„Ich war eine Rebellin!“, sagte Truss in einer späteren Rede. Sie meinte | |
damit aber nicht ihre Aktivistenzeit an der Universität, sondern ihren | |
Wechsel zu den Tories, in einer Zeit, wo das als ausgesprochen uncool galt. | |
Sie verehrte Margaret Thatcher als Frau, die sich durchgeboxt hatte, und | |
suchte eine neue politische Heimat. Sie fand auch einen Job als Ökonomin | |
bei Shell, ausgerechnet als der Ölmulti Ziel internationaler | |
Boykottbewegungen war. | |
Sie trat den Konservativen bei, traf auf einem Parteitag ihren zukünftigen | |
Ehemann und kandidierte ab 1998 erfolglos auf kommunaler Ebene im Bezirk | |
Greenwich im Osten Londons. Ab 2006 saß sie doch im Gemeinderat, 2010 | |
wechselte sie ins Parlament für den sicheren konservativen Wahlkreis South | |
West Norfolk. Truss war eine Nutznießerin von Davids Camerons Programm zur | |
Förderung junger Frauen in der damals noch sehr von alten weißen Männern | |
dominierten Partei. | |
## Aufstieg zu Ministerin – und immer noch unterschätzt | |
Im September 2012 machte Premierminister Cameron seinen Schützling Truss im | |
Alter von nur 36 Jahren zur Staatsministerin im Bildungsministerium. Nur | |
wenige Tage später erschien ein von Truss mitverfasstes Buch, das | |
mittlerweile als frühes Manifest der libertären, euroskeptischen Rechten | |
bei den Tories gilt: „[5][Britannia Unchained]“ (Großbritannien ohne | |
Ketten), ein 150 Seiten langes Plädoyer für Deregulierung des Staates, für | |
eine Orientierung weg von der EU und hin zu den „Tigerstaaten“ Ostasiens. | |
Die fünf Autorinnen und Autoren haben allesamt Karriere gemacht, vor allem | |
nachdem Boris Johnson 2019 die Regierung übernahm. | |
Truss blieb Regierungsmitglied, ohne dass dies zunächst groß auffiel. 2014 | |
wurde sie Umwelt- und Landwirtschaftsministerin. Zwei Jahre später machte | |
die neue Premierministerin Theresa May sie zur Justizministerin. 2017 wurde | |
sie zur Staatssekretärin degradiert, wenn auch mit Kabinettsrang. Immer | |
wurde Truss unterschätzt oder ignoriert. In den Standardwerken und | |
Politikertagebüchern über die Ära Cameron und May taucht ihr Name kaum auf. | |
Dabei war sie dabei, als am Morgen nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 | |
und David Camerons Rücktritt die EU-freundlichen Minister sich | |
zusammensetzten, ihre Wunden leckten und, wie der Journalist Tim Shipman | |
enthüllte, auf Theresa May als Wunschnachfolgerin kamen, weil sie am | |
geeignetsten schien, den Brexit den Brexiteers zu entreißen und gegen die | |
Wand zu fahren. Denn Liz Truss war damals noch gegen den Brexit. Seitdem | |
hat sie ihre Meinung diametral geändert, wohl auch, weil sie sich von | |
Theresa May im Stich gelassen fühlte, wie so viele andere | |
Regierungsmitglieder auch. | |
Als einzige Ministerin hat Liz Truss alle ihre drei konservativen Vorgänger | |
als Premierminister im Amt überlebt, aber vollwertig akzeptiert wurde sie | |
nie. Sie galt als holpriges Provinzei. Schon früh in ihrer Ministerzeit | |
trug sie den Spitznamen „Miss Dynamite“, und der spätere | |
Brexit-Chefstratege Dominic Cummings nannte sie eine „menschliche | |
Handgranate“, die um sich herum nur Chaos stifte. | |
## Immer wieder seltsame Auftritte | |
Manchmal schien Truss sich bewusst dumm zu stellen: In ihrer Zeit im | |
Bildungsministerium gab sie ein kurioses Interview, in dem sie beklagte, | |
dass viele staatliche Schulen Kindern aus dem Arbeitermilieu den Aufstieg | |
versperren, indem sie ihnen nicht richtig Lesen und Schreiben beibringen – | |
als die Interviewerin sie daraufhin bat, das Wort „literate“ (lese- und | |
schreibkundig) zu buchstabieren, weigerte sie sich mit dem Hinweis, man | |
solle doch Einzelne nicht stigmatisieren. | |
Öfter wurde sie aber einfach aufgrund ihres Hintergrunds abgelehnt. Als | |
Truss Agrarministerin wurde, ärgerte sich das ländliche Establishment, weil | |
sie keine Bauernerfahrung hatte. Als sie Justizministerin wurde, war das | |
juristische Establishment tödlich beleidigt, dass zum ersten Mal eine | |
Nichtjuristin, dazu noch eine Frau ohne würdigen Hintergrund, den | |
jahrhundertealten Posten des „Lord Chancellor“ als Leiterin der Judikative | |
bekleidete. Manche Juristen weigerten sich, unter ihr zu dienen. | |
Finanzminister Philip Hammond schloss später seine Staatssekretärin aus | |
sensiblen Besprechungen aus, obwohl sie immerhin Ökonomin war und ist. Sie | |
eckte immer an, auch ohne etwas dafür getan zu haben. | |
Bekannt machte sich Liz Truss wieder einmal mit einem öffentlichen | |
Auftritt. Beim konservativen Jahresparteitag 2014 hielt sie als | |
frischgebackene Agrarministerin ihre erste Parteitagsrede seit der | |
Studienzeit bei den Liberalen zwanzig Jahre zuvor. Diese Ansprache ging | |
viral, nicht weil sie so großartig war, sondern wegen des bizarren | |
Vortrags. Truss lobte die britische Nahrungsmittelindustrie in schrillen | |
Tönen, unterbrach sich immer wieder selbst mit selbstironischen Grinsen, um | |
auf Beifall zu warten, manchmal vergeblich. Sie bejubelte lautstark, dass | |
Großbritannien mehr Käsesorten zähle als Frankreich und Tee nach China | |
verkaufe und verurteilte den Umstand, dass die meisten Äpfel und Birnen in | |
Großbritannien importiert werden. „Das! Ist! Eine! Schande!“, brüllte sie | |
ins Mikrofon, als habe sie gerade den Skandal des Jahrhunderts aufgedeckt. | |
Am Ende rief sie: „Ich werde nicht ruhen, bis der britische Apfel ganz oben | |
am Baum hängt!“ Das Publikum guckte sie verdutzt an. | |
Dem Vernehmen nach wurde damals Boris Johnson auf sie aufmerksam: Der | |
völlig überdrehte Auftritt voller alberner Übertreibungen hätte von ihm | |
stammen können. Das war eine Ministerin nach seinem Geschmack. | |
Notorisch wurde ein Vorfall Anfang 2017, als das Oberste Gericht beschloss, | |
das Brexit-Referendum allein habe keine Gesetzeskraft und für die | |
Einleitung des Brexits sei ein Parlamentsbeschluss notwendig. Die | |
Brexit-Populisten schäumten, die Zeitung Daily Mail benannte die | |
zuständigen Richter mit Foto auf der Titelseite und schrieb „Volksfeinde“ | |
dazu. Eine Welle der Empörung kochte hoch, aber Justizministerin Truss | |
blieb stumm. Erst später kam heraus, dass Theresa May ihr verordnet hatte, | |
keinen Krieg mit der Presse zu starten; öffentlich blieb ihr Schweigen an | |
Truss hängen, und May entzog ihr schließlich das Ministeramt. Solche | |
Erfahrungen können Politiker entweder brechen – oder ihnen Stahl im | |
Rückgrat bescheren. Liz Truss beschloss, dass es ihr zukünftig egal sein | |
müsse, was andere von ihr denken. Vor allem aber lernte sie, dass Loyalität | |
nicht belohnt wird. | |
## Der Weg nach ganz oben | |
2019 war Liz Truss das erste Kabinettsmitglied, das nach Theresa Mays | |
Rücktritt Boris Johnsons Kandidatur unterstützte. Er belohnte sie nach | |
seinem Amtsantritt als Premierminister mit dem sichtbarsten Posten zur | |
Umsetzung des Brexits: Handelsministerin. In dieser Funktion tourte sie | |
durch die Welt und unterschrieb 63 neue Handelsabkommen. Sie war das | |
Gesicht des Brexits in aller Welt, während Großbritannien sich mit Corona | |
herumschlug. Nebenbei, in einer von Johnson gewollten Ämterhäufung, war sie | |
Ministerin für Frauen und Gleichheit. In dieser Funktion hielt sie | |
Grundsatzreden gegen „woke“, für individuelle Selbstbestimmung und gegen | |
die Kategorisierung von Menschen nach Gruppenzugehörigkeit – ein Thema, das | |
ebenso wichtig für ihr politisches Profil geworden ist. | |
Das Handelsministerium war ihr politisches Sprungbrett. Es bezog eine der | |
prestigeträchtigsten Adressen im Londoner Regierungsviertel, das Old | |
Admiralty Building am Paradeplatz Horseguards Parade: ein Prachtgebäude, | |
wo während des Zweiten Weltkriegs Winston Churchills Kriegskabinett tagte, | |
direkt gegenüber dem vergleichsweise unscheinbaren Gebäudekomplex von | |
Downing Street, wo der Premier wohnt. Von ihrem Büro aus konnte sie zum | |
Garten von 10 Downing Street blicken. | |
Sie war angekommen. Die Öffentlichkeit wusste es bloß noch nicht. Aber sie | |
hätte es wissen können. Ab Dezember 2020 war Liz Truss in den monatlichen | |
parteiinternen Umfragen der Webseite „Conservative Home“ an der | |
konservativen Basis beständig das mit Abstand beliebteste | |
Regierungsmitglied, mit Zustimmungsraten von über 80 Prozent. Ihren | |
Favoritenstatus behielt sie auch, als Johnson sie 2021 zur Außenministerin | |
beförderte. Erst im Januar 2022, als der Ukrainekrieg nahte, schob sich | |
Verteidigungsminister Ben Wallace nach vorn. Wallace verzichtete auf eine | |
Kandidatur um Johnsons Nachfolge, als es im Juli so weit war, und sprach | |
Truss seine Unterstützung aus. Ihr Weg nach ganz oben war frei. | |
Vorbereitet hatte sich Liz Truss darauf längst. Beim konservativen | |
Jahresparteitag Anfang Oktober 2021 in Manchester war Liz Truss der | |
unbestrittene Star. Was jahrelang Boris Johnson vorbehalten war, gelang | |
jetzt Liz Truss: Alle drängten in ihre Nähe, bei ihr war immer was los. Sie | |
tanzte beim Empfang der Jungen Konservativen bis spät in die Nacht zur | |
Karaoke-Bar, zur Verzweiflung ihrer Leibwächter, immerhin war sie ja | |
Außenministerin. „Sie liebt die Basis, und die Basis liebt sie“, resümier… | |
die Journalistin Katy Balls, die Truss lange kennt. Fraser Nelson, | |
Chefredakteur des konservativen Wochenmagazins Spectator, meinte, der | |
Johnson-Zauber sei bei diesem Parteitag auf Liz Truss übergegangen: „Ihre | |
Events hatten die längsten Warteschlangen vorher und die strahlendsten | |
Gesichter hinterher“. | |
Truss umwarb auch die Parlamentsfraktion, und zwar in ganz anderer, | |
erlesener Art. Hof hielt sie in einer der exklusivsten Adressen: im Club 5 | |
Hertford Street im Londoner Ausgehviertel Mayfair mit seinem legendären | |
Nachtclub Loulou’s, wo angeblich einst Prinz Harry und Meghan Markle sich | |
kennenlernten, lud Liz Truss konservative Abgeordnete zu „Fizz with | |
Liz“-Abenden und empfing Unternehmer zu „Biz for Liz“-Treffen. Auf der | |
vorweihnachtlichen Spendengala der Tories im November 2019 boten die | |
Geldgeber für „Karaoke mit Truss“ 25.000 Pfund. | |
Die Außenministerin punktete auch politisch. Im Ukrainekonflikt agierte | |
Truss als Hardlinerin, die dem russischen Außenminister Sergei Lawrow – der | |
gar nicht wusste, wie er mit dieser schrägen kleinen Gestalt umgehen sollte | |
– die Stirn bot und nach Kriegsbeginn über die Entsendung britischer | |
Söldner in die Ukraine oder der Kriegsmarine ins Schwarze Meer nachdachte. | |
„Dies ist der gefährlichste Moment für die Sicherheit Europas seit den | |
1940er Jahren“, sagte sie auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar | |
kurz vor Ausbruch des Krieges, als die meisten deutschen Politiker das noch | |
nicht hören wollten. Und im Mai formulierte sie klare Kriegsziele für den | |
Westen: „Putin muss eine nachhaltige Niederlage in der Ukraine einstecken, | |
Russland muss eingedämmt werden und solche Aggression darf nie wieder | |
passieren“. | |
Und dennoch: In der breiten Öffentlichkeit blieb ihre Statur die einer | |
Politikerin, die noch nicht reif war, noch nicht so ganz erwachsen, etwas | |
zu vulgär, zu unseriös, ein Maskottchen eher als eine Chefin. Liz Truss als | |
Premierministerin? Also wirklich, bleiben wir doch bitte ernst, lässt sich | |
die Haltung vieler Establishment-Figuren bis kurz vor dem Ernstfall | |
resümieren. | |
Auch [6][Margaret Thatcher] galt vielen alten Konservativen als peinliche | |
Witzfigur, bevor sie 1979 Premierministerin wurde und Großbritannien | |
umkrempelte; ihren Nimbus erarbeitete sie sich erst im Amt. Truss hat nicht | |
nur dies mit ihrer illustren Vorgängerin gemein. Sie teilt den | |
Thatcher-Umstürzler-Instinkt, den Satz „das haben wir schon immer so | |
gemacht“ eher als Argument dafür zu verstehen, die Dinge endlich anders zu | |
machen. | |
Liz Truss, berichten Vertraute, ist ein Arbeitstier, das mit wenig Schlaf | |
auskommt und sich detailversessen in Themen verbeißen kann, bis alle | |
anderen müde sind und sie Recht bekommt – ähnlich wie Thatcher und anders | |
als Johnson. Und sie teilt die libertäre Thatcher-Skepsis gegenüber immer | |
mehr Staat, auch das anders als Johnson zuletzt. „Tories with Attitude“ | |
(Tories mit Haltung) gab sie im März 2018 als ihren Wahlspruch aus, als sie | |
das Netzwerk „Freer“ (Freier) vorstellte, um Jungwähler zu den Tories zu | |
locken: „Die wollen nicht, dass man ihnen vorschreibt, was sie tun und | |
denken sollen. Ich bin jemand, die sich nie sagen ließ, was sie tun sollte. | |
Ich fing früh an, ich stritt mich mit meinen sozialistischen Eltern.“ Sie | |
beschreibt sich als „Rebellin“, die immer tue, was gerade nicht angesagt | |
sei. | |
Jetzt wird sie also Premierministerin in einer ungemütlichen Zeit, Rebellin | |
bis zum Schluss. Ist das jetzt für sie der Schluss? Oder erst der Anfang? | |
Sie kann entweder die Konservativen zum ersten Mal in der Geschichte zu | |
einem fünften Wahlsieg hintereinander führen – oder ein Debakel hinlegen, | |
eine der kürzesten Amtszeiten der britischen Geschichte ausfüllen. So oder | |
so dürfte eintreten, was sie ihrem Wahlkampfstab zu Beginn ihrer Kandidatur | |
prophezeit haben soll: „Wir werden viel Spaß haben.“ | |
5 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.thetimes.co.uk/ | |
[2] https://www.theguardian.com/international | |
[3] /Nachfolge-von-Boris-Johnson/!5868650 | |
[4] /Liz-Truss-koennte-bald-Briten-regieren/!5876195 | |
[5] https://www.lehmanns.de/shop/sozialwissenschaften/26267253-9781137032249-br… | |
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Margaret_Thatcher | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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