# taz.de -- Regierungskrise in Großbritannien: Kaum angefangen, schon angezäh… | |
> Die britischen Konservativen erwägen den Sturz von Liz Truss. Ihren | |
> Finanzminister musste die neue Premierministerin schon auswechseln. | |
Bild: Gerade mal acht Minuten dauerte Liz Truss' Pressekonferenz am Freitag, be… | |
LONDON taz | Die Regierung von Liz Truss steckt fünf Wochen nach ihrem | |
Antritt zur Nachfolge Boris Johnsons in einer derart ernsten Krise, dass | |
innerhalb der regierenden Konservativen unverblümt über die Zukunft dieser | |
offen neoliberalen britischen Premierministerin gepokert wird. | |
„Wir sind eine mitfühlende Regierung“, versicherte der neue Finanzminister | |
[1][Jeremy Hunt] immer wieder in Interviews am Wochenende. Hunt, 55, ein | |
ehemaliger langjähriger Gesundheitsminister, der auch als Sport- und als | |
Außenminister agiert hat, wurde am Freitag der neue Herr über die | |
britischen Staatskassen, nachdem Premierministern [2][Liz Truss] ihren | |
engen Vertrauten [3][Kwasi Kwarteng] gefeuert hatte. | |
Seit Kwarteng am 23. September einen [4][„Mini“-Haushalt] vorgestellt | |
hatte, war nicht nur das britische Pfund gegen den US-Dollar kurzzeitig auf | |
Rekordtiefe gefallen, auch die Hypothekenzinssätze waren so sehr | |
angestiegen, dass sie für manche unbezahlbar wurden. Kein Wunder, dass Hunt | |
nun von Mitgefühl sprach. | |
Zum Verhängnis wurden Kwarteng vor allem nicht gedeckte Steuersenkungen für | |
Unternehmen und Spitzenverdiener:innen, die neben anderen Steuersenkungen | |
und einer staatlichen Beihilfe für Energieverbraucher von den Finanzmärkten | |
als unglaubwürdig beurteilt wurden. Bis zu umgerechnet 90 Milliarden Euro | |
groß könnte das dadurch entstehende Finanzloch sein, wurde am Wochenende in | |
den Medien berichtet. | |
Hunt wandte sich deshalb direkt an die „Leute der Finanzmärkte, für die | |
Tatsachen mehr als Worte gelten“, und sagte: „Wir werden eine riesige | |
Finanzansage machen, in welcher wir unsere Steuer- und Ausgabenpläne über | |
mehrere Jahre hinaus darlegen werden und diese unabhängig verifiziert haben | |
werden.“ Das Fehlen einer unabhängigen Einschätzung sei bei den | |
Ankündigungen seines Vorgängers ein Fehler gewesen. | |
## Schon mehrere Kehrtwenden | |
Kwartengs ursprüngliche Pläne waren da schon weitgehend Makulatur. Auf dem | |
[5][Jahresparteitag der Konservativen] Anfang Oktober hatte er bereits das | |
Vorhaben begraben, den Spitzensteuersatz abzuschaffen. | |
Vergangenen Freitag kündigte Truss an, dass auch die bisher geplante | |
Rücknahme der Erhöhung der Unternehmenssteuersätze von 19 auf 25 Prozent | |
kommendes Jahr nicht mehr stattfinden soll, die Erhöhung also in Kraft | |
tritt. Hunt kündigte nun an, er werde alle Maßnahmen neu überprüfen. | |
Weitere Kehrtwenden werden erwartet. | |
Kwarteng und Truss, die auch persönlich befreundet sind oder es bis jetzt | |
zumindest waren, traten bisher immer als neoliberales Duo auf. Viele fragen | |
sich, wieso Truss nun glaube, dass sie im Amt bleiben kann, wenn Kwarteng | |
geht, da er ja ihre Politik implementiert habe. | |
Mit ihren Versprechungen von Steuersenkungen hatte sie die Parteibasis im | |
konservativen Spitzenwahlkampf gegen Exfinanzminister [6][Rishi Sunak] im | |
Sommer überzeugt. Sunak hatte Truss’ Vorschläge als unverantwortlich und | |
nicht konservativ bezeichnet, aber er galt als derjenige, der [7][Boris | |
Johnson] zu Fall gebracht habe, und hatte als Finanzminister die britische | |
Steuerquote auf den höchsten Stand seit 70 Jahren geschraubt, was viele | |
Konservative für nicht konservativ hielten. | |
## Umfragewerte im Keller | |
Mit Kwartengs erzwungenen Abgang hat Truss an Autorität verloren, denn ihre | |
Wahlkampfprogrammatik ist nun dahin. Jetzt werden die Messer in der Partei | |
neu gewetzt. In Meinungsumfragen wuchs der Rückstand auf die | |
Labour-Opposition auf bis zu 33 Prozentpunkte, da nimmt niemand mehr | |
Rücksicht. In den Gerüchteküchen wird bereits Truss’ Nachfolge | |
herbeigeschworen. Sie hat wenig Rückhalt innerhalb der eigenen | |
Parlamentsfraktion. | |
Aber schon wieder ein Wechsel in 10 Downing Street, ein dritter | |
Premierminister innerhalb weniger Monate – das wäre wohl der direkte Weg zu | |
Neuwahlen und womöglich das Aus für die Tories. | |
Vielleicht ist es das, was Konservative brauchen, um sich erst mal wieder | |
darüber klar zu werden, wofür sie eigentlich stehen. Laut Truss ist sowieso | |
die gesamte britische Wirtschaftspolitik seit der Finanzkrise 2008 falsch, | |
das betonte sie am Freitag in ihrer ansonsten schwachen Pressekonferenz – | |
und vergaß dabei scheinbar, dass seit 2010 das Land unter konservativer | |
Obhut steht. | |
17 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Jeremy_Hunt | |
[2] https://twitter.com/trussliz | |
[3] https://twitter.com/KwasiKwarteng | |
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/September_2022_United_Kingdom_mini-budget | |
[5] /Tory-Parteitag-in-Grossbritannien/!5886184 | |
[6] https://twitter.com/RishiSunak | |
[7] https://twitter.com/BorisJohnson | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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