# taz.de -- Regierungskrise in Großbritannien: Die Untote von der Downing Stre… | |
> Finanzminister Hunt tritt die Wirtschaftspolitik der Premierministerin in | |
> die Tonne. Die Zweifel an Liz Truss wachsen. | |
Bild: Jeremy Hunt setzt sich schon mal etwas ab von Liz Truss | |
London taz | „Trussonomics“ ist tot, aber Liz Truss lebt. Der Plan der | |
neoliberalen Wachstumspolitik der neuen britischen Premierministerin Liz | |
Truss wurde am Montag begraben: erst in einer fünfminütigen Live-Ansprache | |
des neuen britischen Finanzministers Jeremy Hunt am späten Vormittag und | |
dann am Nachmittag ausführlicher in einer [1][Erklärung im Parlament]. Die | |
Premierministerin schwieg, aber sie bleibt im Amt. | |
Hunt schaffte nahezu alle Vorkehrungen, die sein am Freitag gefeuerter | |
Vorgänger Kwasi Kwarteng am 23. September [2][in seinem „Mini-“Haushalt | |
angekündigt] hatte, aus der Welt. Von Kwartengs 49 Milliarden Pfund an | |
Steuersenkungen nahm er 32 Milliarden (37 Milliarden Euro) wieder zurück, | |
die sonst ungedeckt die britischen Staatsschulden erhöht hätten. Den | |
Kostendeckel für Energiepreise für Verbraucher:innen, den Kwarteng zwei | |
Jahre lang laufen lassen wollte, verkürzte er auf April 2023. Er kündigte | |
außerdem Gespräche mit allen Ministerien über Einsparungen an. Seinen | |
vollen Plan will er, wie zuletzt auch von Kwarteng geplant, am 31. Oktober | |
präsentieren. | |
Kwarteng hatte die britische Wirtschaft mit seinen Ankündigungen ins | |
Schleudern gebracht, da die Finanzmärkte das als Risiko wahrnahmen. Zudem | |
wurde er stark kritisiert, weil die Steuern vor allem für Gutverdiener und | |
Unternehmen sinken sollten. Die Idee war gewesen, Investitionen und Anleger | |
in das EU-ungebundene, unabhängige Vereinigte Königreich locken. Das sollte | |
die Wirtschaft von oben nach unten anfeuern, was zu mehr Wachstum und | |
höheren Löhnen führen sollte – das war die Essenz von [3][„Trussonomics�… | |
womit Liz Truss im Sommer den [4][parteiinternen Wahlkampf um die Nachfolge | |
Boris Johnsons] gewonnen hatte, während ihr Widersacher, Ex-Finanzminister | |
Rishi Sunak, dies als unverantwortliches Wunschdenken kritisiert hatte. | |
Aber nachdem die Anleger daraufhin stattdessen britische Anleihen mit einem | |
Risikozuschlag belegten und die Zinsen auch für Verbraucher in die Höhen | |
schnellten, vollzogen Truss und Kwarteng eine Kehrtwende um 180 Grad. So | |
wurde bereits [5][auf dem konservativen Parteitag] Anfang Oktober | |
angekündigt, den Spitzensteuersatz von 45 Prozent doch nicht abzuschaffen. | |
## Liz Truss drückt sich vor dem Parlament | |
Am vergangenen Freitag schließlich [6][entließ Truss ihren Finanzminister | |
Kwarteng] und ersetzte ihn durch Jeremy Hunt, dessen politische Karriere | |
eigentlich schon beendet schien. Hunt nahm prompt die Zügel in die Hand und | |
vollendete die Kehrtwende. Dementsprechend hoch standen die Erwartungen am | |
Wochenende und am Montag, dass Truss bald Kwarteng ins politische Aus | |
folgen würde. | |
Als Labour-Oppositionschef Keir Starmer am Montagnachmittag eine aktuelle | |
Frage im Unterhaus zugestanden wurde, in welcher Premierministerin Truss | |
zur Auswechslung des Finanzministers Stellung nehmen sollte, kam Truss gar | |
nicht erst ins Parlament. Sie schickte Parlamentsministerin Penny Mordaunt | |
ans Redner:innenpult. Mordaunt, die im Rennen um Johnsons Nachfolge als | |
große Rivalin von Truss wahrgenommen worden war und nur knapp den Einzug in | |
die Stichwahl verpasst hatte, ließ Truss immer wieder mit den Worten, „sie | |
hat Dringendes zu erledigen“, entschuldigen. | |
Die Premierministerin, sagte Mordaunt, sei eine „mutige“ Politikerin, die | |
im Interesse des Landes eine schwere Entscheidung getroffen habe. Dann | |
versetzte sie das Unterhaus mit einer gesalzenen und gewagten | |
Gegenoffensive ins Staunen. Sie lasse sich vom Labourchef nichts sagen, | |
donnerte Mordaunt: Starmer habe „keine Wahlen während des Brexit-Engpasses | |
zugelassen, und bezüglich des Brexits, des Lockdowns oder der | |
Mitgliedschaft zur europäischen Arzneimittelagentur gegen die Interessen | |
des Landes gestimmt und seine eigenen Versprechungen bei seinem Amtsantritt | |
gebrochen“, verkündete sie, zum lauten Jubel der gesamten Toryfraktion. | |
Die eigentliche Premierministerin Liz Truss tauchte dann zu Jeremy Hunts | |
Erklärung doch plötzlich im Unterhaus auf und hörte ihrem Finanzminister | |
still und emotionslos zu, ohne ein Wort von sich zu geben oder auch nur | |
eine Regung zu zeigen. Dann ging sie wieder. | |
Hunt überraschte die Parlamentarier mit der Ankündigung eines neuen | |
Beratergremiums für Wirtschaftspolitik. Das Economics Advisory Council soll | |
das unabhängige Prüfamt des Staatshaushalts (Office of Budget | |
Responsibility) und die unabhängige Zentralbank mit einer dritten | |
unabhängigen Meinung ergänzen. Mitglieder dieses Rates werden ehemalige | |
Zentralbankiers und führende Finanzexpert:innen aus dem Privatsektor. | |
Es müsse nun auch bei den Staatsausgaben alles überprüft und neu | |
überarbeitet werden, betonte Hunt, allerdings mit der Zusage, „jenen zur | |
Seite zu stehen, die am meisten Hilfe brauchen“. Er werde alles tun, um | |
„mit einer nachhaltigen, stabilen Wirtschaftspolitik zu versuchen, dass der | |
Leitzins niedrig bleibt“. Als dann schließlich die eigene Fraktion mit | |
Fragen drankam, stieß Hunt vor allem auf Lob und Willkommensgrüße im Amt. | |
Truss war da schon weg. | |
## Kommt jetzt eine trügerische Ruhe? | |
Nachdem auch die Finanzmärkte positiv auf Hunts Pläne reagiert hatten, | |
schien Dienstagfrüh der Drang unter den Tories nach einem Wechsel an der | |
Spitze der Regierung vorerst gestillt. Zwar mag der Plan von Truss tot | |
sein, doch noch lebt sie als Premierministerin politisch weiter, geschützt | |
von Kapitän Hunt, dessen Vater zufällig Admiral der britischen Marine war. | |
Doch es könnte sich um eine trügerische Stille handeln. Nachts wagten sich | |
einige konservative Abgeordnete an die Presse und redeten Truss' Zukunft | |
klein, ohne dabei genannt werden zu wollen. Fünf haben sich öffentlich für | |
ihren Rücktritt ausgesprochen. Mehr noch sollen beim Hinterbänklerkomitee | |
bereits ein Misstrauensvotum beantragt haben. | |
In einem Fraktionstreffen am Montagabend stellte Truss klar, sie gedenke | |
die Konservativen in die nächsten Wahlen zu führen. Sie gestand aber Fehler | |
ein und wiederholte ihr „Sorry“ am späten Abend in einem BBC-Interview: | |
„Ich bin zu weit und zu schnell vorangegangen und richte meine Politik nun | |
auf Stabilität in der Wirtschaft aus.“ | |
Wie stabil ihre eigene Position jetzt tatsächlich ist, wird das Land in den | |
nächsten Tagen und Wochen erfahren. Das Schiff jedenfalls steuert gerade | |
ein anderer. | |
18 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gov.uk/government/speeches/chancellor-statement-17-october | |
[2] https://www.gov.uk/government/speeches/the-growth-plan-2022-speech | |
[3] /Liz-Truss-koennte-bald-Briten-regieren/!5876195 | |
[4] /Tories-waehlen-neuen-Parteivorsitzenden/!5870489 | |
[5] /Liz-Truss-verteidigt-Kurs/!5882544 | |
[6] /UK-Finanzminister-entlassen/!5888250 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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