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# taz.de -- Tory-Parteitag in Großbritannien: „Nicht konservativ“
> Beim Jahresparteitag der britischen Tories steht die neue
> Premierministerin Liz Truss unter Druck. Die Partei steht nicht
> geschlossen hinter ihr.
Bild: Liz Truss und ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng besuchen während des Par…
Birmingham taz | Im Souvenirladen gibt es Churchill-T-Shirts und
Trinkflaschen mit dem Spruch „In Liz we Truss“, ein Wortspiel, das auf „In
God wie Trust“ verweist. Viele scheinen nicht verkauft worden zu sein.
Gerade mal vier Wochen nach dem Amtsantritt von [1][Liz Truss] als
britische Premierministerin halten [2][Großbritanniens Konservative] in
Birmingham ihren Jahresparteitag ab – und obwohl es zum Auftakt am Sonntag
stehende Ovationen gab, als Truss die Konferenzhalle zum ersten Mal betrat,
schien das etwas scheinheilig.
Was bedeutet eigentlich konservativ? Das fragen sich viele Mitglieder,
nachdem Liz Truss und ihr neuer Finanzminister Kwasi Kwarteng gleich zu
Beginn ihrer Amtszeit eine Kehrtwende von der bisherigen Finanzpolitik
unter Boris Johnson vollzogen. Kwarteng verkündete massive
[3][Steuersenkungen], ohne Gegenfinanzierung – und die Finanzmärkte
reagierten panisch auf die Aussicht rapide steigender staatlicher
Kreditaufnahme. Zeitweise stürzte das Pfund ab und die Zinsen stiegen
rapide an, was Millionen Immobilienkreditnehmer betroffen hat.
„Ich mache mir Sorgen, ob Kwarteng jetzt öffentliche Dienste kürzen wird,
um das zu finanzieren“, erzählt Julie Sherwood, die 54-jährige
Personalchefin des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS aus der Stadt in
King’s Lynn. Für Truss findet sie aber noch positive Worte: „Ich schätze
sie als glaubwürdig, sie denkt strategisch mit klarer Vision.“
Das hört man selten in diesen Tagen in Birmingham. Der 25-jährige Joseph
Hollingworth aus Streatham im Süden Londons findet harte Worte. „Es scheint
sich hier weniger um echte konservative Politik zu handeln, bei der die
Gemeinschaft im Mittelpunkt steht, als um eine libertäre Politik,
zugeschnitten auf den Individualismus und die freie Marktwirtschaft“,
findet er. „Chancengleichheit ist hier zweitrangig.“ Einsparungen im
Staatshaushalt dürften nicht auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft
gehen. „Meiner Erfahrung nach kostet die Verwaltung oft mehr als die
Sozialhilfe, die sie verteilt. Und einen Schuldenberg schaffen, mit dem die
zukünftigen Generationen belastet werden, ist ebenfalls nicht konservativ.“
Hollingworth zweifelt, ob er überhaupt noch in der richtigen Partei ist,
aber eine Alternative sieht er nicht.
## Die Abweichler im Parlament formieren sich
„Nicht konservativ“: Diese Kritik am Kurs von Truss und Kwarteng kommt auch
von etablierten Parteigrößen, etwa Michael Gove, von 2010 bis zum Sommer
2022 nahezu ununterbrochen Minister und dann ein Unterstützer von Liz
Truss' Rivalen Rishi Sunak im Führungswahlkampf, weswegen er jetzt auf die
Hinterbänke verbannt wurde. Medien behaupten, es gebe inzwischen in der
konservativen Parlamentsfraktion 15 bis 30 Abweichler, die bei einer
Abstimmung über den für den 23. November angesetzten Nachtragshaushalt
gegen Truss stimmen würden. Laut dem konservativen Geschäftsführer Jake
Berry würden sie dann aus der Fraktion ausgeschlossen werden.
Nicht alle gaben sich kritisch. Truss und Kwarteng begründen ihre
Steuerpläne mit der Notwendigkeit, die Wirtschaft anzukurbeln, und finden
dafür auch offene Ohren. Ben Bradley, seit 2017 konservativer
Wahlkreisabgeordneter für die langjährige Labour-Hochburg Mansfield, sagt
der taz: „Wenn Familien gute Arbeitgeber vor Ort haben, mit guten
Arbeitsplätzen für sie und ihre Kinder, würde das uns sehr helfen.“ Das
Ehepaar Geoff und Linda Mitchell, beides Kommunalvertreter aus Carlisle an
der schottischen Grenze, hebt lobend die Investitionen von 450 Millionen
Pfund im Rahmen des Aufbauprogramms von Boris Johnson hervor, etwa für eine
neue Universitätsklinik.
Doch der Druck auf die Regierung bleibt, und er dominiert diesen Parteitag.
Am Montagmorgen kündigte Finanzminister Kwarteng eine Kehrtwende an: Der
Spitzensteuersatz von 45 Prozent soll doch nicht kommendes Jahr abgeschafft
werden, „da es von unser Mission ablenkt, uns den Herausforderungen unseres
Landes zu stellen“, twitterte er: „Wir verstehen es, wir haben (euch)
gehört.“ Bei seiner Parteitagsrede kündigte er dann noch für Oktober einen
Plan zur Gegenfinanzierung seiner Steuerpläne und eine unabhängige
Überprüfung an. Viele jubelten, als er die Folgen seines ursprünglichen
Steuerpakets als „kleine Turbulenz“ kleinredete und seine Maßnahmen als
Politik beschrieb, aus der alle, „aber wirklich alle“ Vorteile ziehen
könnten.
## Gemischte Gefühle an der Basis
„Eine ziemlich gute Rede“, urteilt danach Paul Felbeck, 58, aus Dorset.
„Sehr gut“, sagt John Blundell, 70, konservativer Parteichef in der Stadt
Coventry „Das ist genau das, was wir brauchten.“ Doch Maia Singh, 52, eine
Londoner NHS-Angestellte, bleibt enttäuscht. „Kwarteng ließ zwar von den
Steuersenkungen für Höchstverdiener ab, mir fehlt jedoch noch vieles.“ Auf
Nachfrage nennt sie die Übergewinnsteuer auf Energieunternehmen und die
nach wie vor geplante Rücknahme der unter Johnson beschlossenen Erhöhung
der Sozialversicherungsbeiträge. „Wie soll das denn alles bezahlt werden?“,
fragt sie unzufrieden.
Wichtige Figuren, etwa [4][Expremierminister Boris Johnson] oder sein
Exfinanzminister Rishi Sunak, der Rivale von Liz Truss bei der
[5][Führungswahl im Sommer], sind gar nicht erst zum Parteitag gekommen.
Der Vorsitzende der Jungen Konservativen, Daniel Grainger, wurde wieder
nach Hause geschickt und aus der Partei suspendiert, nachdem er Birmingham
– das mit Andy Street einen konservativen Oberbürgermeister hat – zu
Parteitagsbeginn auf sozialen Netzwerken als „Müllkippe“ bezeichnet hatte.
Wegen Bahnstreiks konnten Delegierte weder zum Parteitagsauftakt am
Wochenende noch zum Abschluss am Mittwoch mit der Bahn von oder nach
Birmingham mit dem Zug reisen. Um zu vermeiden, dass Liz Truss vor einer
halbleeren Halle spricht, wurden alle Ortsverbände angeschrieben, dass ihre
Mitglieder so weit wie möglich versuchen sollten, nicht vor der Rede
abzureisen.
„Es war ein schrecklicher Parteitag“, sagt am Mittwoch in einem
TV-Interview Lord Vaizey, „eine Mischung von deprimierend und schwarzer
Humor.“ In den Umfragen sind die Konservativen im Keller, Liz Truss ist
unbeliebter, als es Boris Johnson und Jeremy Corbyn je waren.
Der Delegierte David Abbott aus der Brexit-Hochburg Skegness in
Lincolnshire an der Nordsee, sagt aber der taz, er sei für die nächsten
Wahlen 2024 zuversichtlich. Die Meinungsumfragen würden ein falsches Bild
darstellen. Am Chaos der letzten zwei Wochen seien die Medien schuld und
die Zentralbank. Dann will der 67-Jährige der taz noch etwas anvertrauen:
„Es hätte nie zu den Rücktritten kommen dürfen. Wissen Sie, es war mir eine
Freude, Boris zuzuhören.“ Als sei Truss eine Art Nebenshow, die man halt
hinnehmen müsse, und früher war alles besser.
5 Oct 2022
## LINKS
[1] /Liz-Truss-in-Grossbritannien/!5876386
[2] https://www.conservatives.com/
[3] /Konservative-Regierung-in-Grossbritannien/!5884553
[4] /Boris-Johnsons-Abgang-in-Grossbritannien/!5874724
[5] /Nachfolge-von-Boris-Johnson/!5869430
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
## TAGS
Großbritannien
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