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# taz.de -- Liz Truss verteidigt Kurs: „Wachstum, Wachstum, Wachstum“
> Die britische Premierministerin hat seit Amtsantritt einen ökonomischen
> Fehlstart hingelegt. Nun versuchte sie auf dem Tory-Parteitag den
> Neuanfang.
Bild: Klarer Inhalt, zumindest im Glas: Liz Truss bei ihrer Parteitagsrede
Draußen regnete es und drinnen war die Stimmung auch nicht viel besser, als
Liz Truss am späten Mittwochvormittag zur vielleicht wichtigsten Rede ihres
Lebens ansetzte. Großbritanniens frischgebackene konservative
Premierministerin hat sich mit ihrem Auftritt beim Jahresparteitag der
Konservativen aber anscheinend bewährt – vorerst jedenfalls.
Kern ihrer Rede war eine klare neoliberale Ansage. „Ich habe drei
Prioritäten für die Wirtschaft: Wachstum, Wachstum, Wachstum!“, rief sie zu
Applaus, bevor sie sich erneut deutlich zu der Programmatik bekannte, deren
erste Umsetzungsschritte in den vergangenen zwei Wochen zu heftigen
ökonomischen und politischen Turbulenzen geführt hatten: weniger Steuern,
weniger Staatsausgaben, und „Wirtschaftsreformen“.
Abgesehen von der Abschaffung des Spitzensteuersatzes für Gutverdiener in
Höhe vom 45 Prozent, die Finanzminister Kwasi Kwarteng am Montag hatte
zurücknehmen müssen und die Truss jetzt als verzichtbare „Ablenkung“
bezeichnete, blieb alles erhalten: die Senkung der
Sozialversicherungsbeiträge, des Eingangssteuersatzes, der
Unternehmenssteuern und weiterer Steuern. Großbritannien müsse
„Unschlüssigkeit und Schleifenlassen“ überwinden, sagte Truss, die vor vi…
Wochen das Amt von Boris Johnson übernommen hat.
Auf die ökonomische Ansage folgte die politische Kampfansage – gegen „die
Antiwachstumskoalition“ aus „Labour, Liberaldemokraten, schottischen
Nationalisten, die Gewerkschaften, die als Thinktanks verkleideten
Lobbyinteressen, die Dauerschwätzer, die Brexitleugner, Extinction
Rebellion“, wie Truss sie aufzählte, bevor sie höhnte: „Die fahren im Taxi
von Nordlondon ins BBC-Studio, um jeden niederzumachen, der den Status quo
herausfordert.“
## Klares Wahlkampfsignal
Da war sie so richtig in Fahrt gekommen. Nach zwölf Jahren konservativer
Herrschaft inszeniert sich die vierte konservative Premierministerin in
Folge als Kandidatin der Veränderung, für die „der Status quo keine Option�…
ist. Alles muss sich ändern, und nur Wachstum verbessert die Dinge. Positiv
verglich Truss die rege Bautätigkeit in Birmingham unter seinem
konservativen Oberbürgermeister Andy Street mit der
Labour-Regionalregierung in Wales, die einen umstrittenen Autobahnbau
ablehnt, und der SNP-Regionalregierung in Schottland, die keine
Atomkraftwerke bauen will. „Ein neues Großbritannien für eine neue Ära“
will sie, wobei sie klugerweise die „neue Ära“ jetzt an den Thronwechsel
von Elizabeth II. zu Charles III. knüpft, nicht an den von Boris Johnson zu
sich selbst.
Truss’ „Antiwachstumskoalition“, denen die Konservativen eine positive
Zukunftsvision entgegensetzen, ist ein klares Wahlkampfsignal. Ihr
Vorvorvorgänger im Amt, David Cameron, hatte bei den vorvorletzten Wahlen
2015 wider sämtliche Erwartungen die absolute Mehrheit gewonnen, indem er
Labour, die SNP und seine eigenen bisherigen liberalen Koalitionspartner
als „Chaoskoalition“ gebrandmarkt hatte, denen man das Land nicht
überlassen dürfe. Auch Truss setzt nun offensichtlich darauf, niedrige
Erwartungen zu übertreffen. Zu Beginn ihrer Rede erinnerte sie an ihre
vergleichsweise einfache Herkunft, sie nannte sich „die erste britische
Premierministerin von einer staatlichen Gesamtschule“ – tatsächlich ist sie
die zweite nach Labour-Premiermininster Gordon Brown – und rief: „Ich habe
gekämpft, um dort zu landen, wo ich heute bin. Ich weiß, wie es sich
anfühlt, wenn einem diejenigen, die es besser zu wissen meinen, das
Potenzial absprechen.“ Sie sei „entschlossen, die Dinge zu ändern, damit
andere Menschen das nicht zu fühlen bekommen“.
Das ist auch eine Kampfansage an die eigene Partei, die der neuen
Premierministerin immer noch überwiegend mit Skepsis begegnet, wenn nicht
mit Geringschätzung. In der Urabstimmung an der Basis der Konservativen im
Sommer hatte Truss nur mit bescheidenen 58 Prozent der Stimmen gewonnen, in
der Parlamentsfraktion war sie nie über 113 von 358 Abgeordnetenstimmen
hinausgekommen. Um so wichtiger waren jetzt ihre an Margaret Thatcher
erinnernden Sprüche: „Wir müssen Kurs halten“ und „Wir haben keine
Alternative“.
Zum Vorteil geriet Truss, dass zwei Greenpeace-Aktivistinnen ihre Rede
bereits nach wenigen Minuten mit einem Transparent mit der Aufschrift „Wer
hat hierfür gestimmt?“ zu stören versuchten. Truss stand auf der Bühne und
grinste, während die beiden jungen Frauen aus dem Saal gezerrt wurden. Dann
flachste sie: „Über die Antiwachstumskoalition wollte ich später reden. Die
sind ein bisschen zu früh gekommen.“
5 Oct 2022
## AUTOREN
Dominic Johnson
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Großbritannien
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