| # taz.de -- Labour-Parteitag in Großbritannien: Diesmal muss es klappen | |
| > Labour-Chef Keir Starmer inszeniert die linke britische Opposition als | |
| > „Partei der Mitte“ kurz vor der Macht. Den Delegierten gefällt das. | |
| Bild: Keir Starmer (vorne) nach seiner Rede am Dienstag in Liverpool | |
| Liverpool taz | Es ist nur ein Parteitag, doch Keir Starmers Ton ist der | |
| eines Wahlkämpfers. Labour, versprach der Chef der größten britischen | |
| Oppositionspartei in seiner Rede auf dem Jahresparteitag in Liverpool am | |
| Dienstagnachmittag, werde „Großbritannien durch einen Neubeginn aus dem | |
| endlosen Krisenzyklus führen“. Labour sei die „Partei der Mitte“ und wer… | |
| Großbritannien „mit Integrität regieren“, sagt Starmer und ruft: „Gebt | |
| Großbritannien sein Selbstvertrauen, seine Hoffnung und seine Zukunft | |
| zurück!“ | |
| Es sind ungewohnte Töne für die britische Linke. Sie zeugen davon, wie gut | |
| [1][Keir Starmer] die Partei inzwischen im Griff hat, und von Zuversicht: | |
| In den Umfragen liegt Labour weit vorn, die Rückkehr an die Macht bei den | |
| Wahlen 2024 erscheint in greifbarer Nähe. Gegen das „konservative Chaos“ | |
| der jüngsten Zeit inszeniert sich Labour als Kraft der Verantwortung. | |
| Schon der Parteitagsauftakt am Sonntag war ungewöhnlich. Nach einer | |
| Huldigung Starmers an die [2][verstorbene Queen] sangen die Genoss:innen | |
| laut und vereint die Nationalhymne ‚God Save the King.‘ Kurz zuvor hatte | |
| die taz auf der Terrasse drei Delegierte aus Edinburgh gehört, die | |
| diskutierten, wie sie ihre Animosität dazu artikulieren sollten. | |
| Gewerkschafter Vijay Jackson sagte der taz: „Eine linke Partei darf keinem | |
| Monarchen beipflichten.“ Die Hymne zu singen sei absichtlich beschlossen | |
| worden, „damit sich die Linken in der Partei verpissen“. | |
| Im Saal, wo die Delegierten dieses Jahr auf die britische Nationalflagge | |
| zusammen mit dem Parteilogo auf der Bühne blicken, blieben Protest-Stunts | |
| aus. Die Linken mussten jedoch nicht lange warten. Mit der | |
| stellvertretenden Parteivorsitzenden Angela Rayner kamen sie zu Wort. | |
| Spätestens als sie Debakel der Tory-Regierung aufzählte, war der Saal | |
| hellwach und gab laute Begeisterungsrufe von sich. Rayner versprach, alle | |
| unter den Konservativen eingeführten Beschränkungen des Streikrechts | |
| rückgängig zu machen. | |
| ## Mehr Streiks, weniger Nationalhymne | |
| Rayners Versprechen hatte eine Vorgeschichte. Ihr Chef, Parteichef Keir | |
| Starmer, hatte im Juli während eines der häufigen Eisenbahnerstreikts | |
| angeordnet, dass Labour-Abgeordnete nicht öffentlich Solidarität mit | |
| Streikenden zeigen dürften. Als es Schattenverkehrsminister Sam Terry | |
| dennoch tat, verlor er seinen Posten. | |
| Viele bei Labour sind darüber wütend, nicht nur die Eisenbahner, das merkt | |
| man auf dem Parteitag. „Labour sollte weniger Nationalhymne singen und mehr | |
| Streiks persönlich besuchen!“, schimpft am Montag Dave Ward, | |
| Generalsekretär der Kommunikationsarbeitergewerkschaft CWU. Starmer | |
| kontert im BBC-Interview: „Meine Aufgabe ist nicht die eines | |
| Gewerkschaftsführers. Sie ist, sicherzustellen, dass Labour keine | |
| Oppositionskraft ist, wo wir nur über Dinge reden, aber nichts tun können, | |
| sondern Regierungspartei wird, wo wir Dinge tun können.“ | |
| Rentnerin Linda Jones, ehemals Stadtangestellte in Liverpool, hat Dave | |
| Wards Rede angehört. Sie hält Starmers Verhalten für einen Fehler, aber | |
| „die Partei hat, glaube ich, inzwischen daraus gelernt.“ Was die generelle | |
| Richtung der Partei betreffe, gibt sich Jones zufrieden. „Wir haben die | |
| richtigen Vorschläge und die geeigneten Menschen, und die Zeit ist jetzt | |
| richtig.“ | |
| Vieles erscheint bei Labour plötzlich vollkommen verändert. Der Parteitag | |
| wirkt besser organisiert und koordiniert. Statt nur Sprüche zu klopfen, | |
| agiert die Partei, als stünden Neuwahlen vor der Tür. | |
| Keir Starmer malt in seiner Rede ein rosarotes Bild Großbritanniens nach | |
| seiner ersten Amtszeit als Premierminister – ein Land, in dem alles besser | |
| läuft als heute. Andy Burnham, der beliebte Labour-Bürgermeister von | |
| Manchester, sagt, dass dies einer der letzten Parteitage in der Opposition | |
| sein könnte. | |
| Die Steuersenkungspläne der neuen Premierministerin Liz Truss sind für | |
| Labur ein gefunnendes Fressen. In den Worten Angela Rayners: „Die Tories | |
| sind heute nicht auf der Seite der arbeitenden britischen Bevölkerung. Liz | |
| Truss machte es klarer als je zuvor.“ | |
| Keir Starmer hält sich gar nicht groß mit Kritik an den Tories auf. Er | |
| spricht lieber gleich von den „ersten 100 Tagen einer neuen | |
| Labour-Regierung“. Es regnet Vorschläge, was Labour eigentlich anders | |
| machen wolle. In den Mittelpunkt seiner Rede stellt Starmer einen „Grünen | |
| Wohlstandsplan“,um Großbritannien in eine „Wachstumssupermacht“ zu | |
| verwandeln, auf der Grundlage von „Partnerschaft zwischen Staat, | |
| Unternehmen und Kommunen“. | |
| Er spricht auch von einer staatlichen Energieversorgungsfirma „Great | |
| British Energy“, die grüne Energie vorantreibt, „weil es richtig ist für | |
| Arbeitsplätze, für Wachstum, für die Zukunft“, wie Starmer sagt. Als er | |
| unterstreicht, dass dies ein Staatsunternehmen sein solle, erntet er den | |
| größten Applaus seiner gesamten Rede. „Britische Energie für das britische | |
| Volk“ will er, wieder zu Applaus. | |
| Auch international gibt es Akzentverschiebungen. In Jeremy Corbyns Tagen | |
| war Palästina das wichtigste internationale Thema. Heute ist es die | |
| Ukraine, auch die Rechte von Kurd:innen oder die Beziehungen zwischen | |
| Indien und Pakistan werden diskutiert. Zu iranischen Frauenrechten, der | |
| verheerenden Situation der Uiguren in China, der Unfreiheit in Russland | |
| oder den Wahlen in Schweden, Italien und Brasilien werden allerdings keine | |
| Flugblätter verteilt. | |
| ## Große Pläne | |
| Abseits der großen Öffentlichkeit werden konkrete Pläne jenseits der großen | |
| Fragen ventiliert: Sondergerichte für Vergewaltigungen, den besonderen | |
| Umstände solcher Fälle entsprechend. Traumaarbeit mit Strafgefangenen. Eine | |
| unabhängige Fußballaufsicht. Klimaneutralität bis zum Jahr 2030, wobei | |
| Labour allerdings auch auf Atomkraft setzt als Teil der „sauberen Lösung.“ | |
| Steve Purse wundert sich. Die taz sprach mit dem 48-Jährigen, dessen Vater | |
| bei Atombombentests im südaustralischen Maralinga in der britischen | |
| Luftwaffe diente. Purse fordert für 22.000 Opfer wie ihn mit | |
| Geburtsdefekten Anerkennung und Gerechtigkeit. „Atomkraft ist nicht | |
| sauber. Schauen Sie sich die Auswirkungen an“, sagt er. | |
| Insgesamt sind die Delegierten aber begeistert. „Die Leute in der Führung | |
| sind wahnsinnig kompetent. Ich sehe sie als morgige Regierung“, sagt | |
| Marisha Begum, eine 26-jährige Stadträtin aus dem Ostlondoner Bezirk Tower | |
| Hamlets. Eine Gruppe junger Politikstudent:innen, alles | |
| Young-Labour-Mitglieder, äußert sich optimistisch, dass Labour die nächsten | |
| Wahlen gewinnt. | |
| Die 51-jährige Nordlondoner Schuldirektorin Lisa Hughes nennt die Stimmung | |
| positiv und die Führung „freundlich, glaubwürdig und schlau“. Sie habe nun | |
| große Hoffnung auf den versprochenen Schutz von Frauen, die sexueller | |
| Gewalt ausgesetzt waren, und auf Reformen in der demokratischen Struktur | |
| des Landes. | |
| Die 34-jährige Emily Pomroy-Smith aus Wiltshire findet, dass Labours Zeit | |
| gekommen sei. „Für mich ist es die Überzeugung, dass durch gute, | |
| öffentliche, gut finanzierte Dienste die Gesellschaft verbessert wird“, | |
| fasst sie ihr Engagement zusammen. Pomroy-Smith kann sich nun vorstellen, | |
| selbst als Abgeordnete zu kandidieren. | |
| 27 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Regierungskrise-in-Grossbritannien/!5866268 | |
| [2] /Abschied-von-Queen-Elizabeth-II/!5879513 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
| ## TAGS | |
| Großbritannien | |
| Keir Starmer | |
| Liz Truss | |
| Labour Party | |
| England | |
| Großbritannien | |
| Großbritannien | |
| Großbritannien | |
| Boris Johnson | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| UK-Finanzminister entlassen: Liz Truss tauscht aus | |
| Premierministerin Truss feuert ihren Parteifreund Kwasi Kwarteng. Verbunden | |
| hatte beide die Liebe zum Wirtschaftswachstum. | |
| Liz Truss verteidigt Kurs: „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ | |
| Die britische Premierministerin hat seit Amtsantritt einen ökonomischen | |
| Fehlstart hingelegt. Nun versuchte sie auf dem Tory-Parteitag den | |
| Neuanfang. | |
| Großbritanniens neues Kabinett: Neue Köpfe für alte Probleme | |
| Premierministerin Liz Truss hat mit Vertrauten die diverseste Regierung der | |
| Geschichte gebildet. Mit Labour gibt es gleich Streit. | |
| Neue britische Premierministerin: Scheitern vorprogrammiert | |
| Liz Truss hat ihre Amtszeit mit einer blutleeren Rede begonnen – uund setzt | |
| sich große Ziele. Das kann nicht gut gehen. | |
| Regierungskrise in Großbritannien: Die Stunde der Opposition? | |
| Labour-Chef Keir Starmer hätte nach Boris Johnsons Rücktritt eine Chance, | |
| sich zu profilieren. Doch sein eigener Posten könnte bald wackeln. |