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# taz.de -- Regierungskrise in Großbritannien: Die Stunde der Opposition?
> Labour-Chef Keir Starmer hätte nach Boris Johnsons Rücktritt eine Chance,
> sich zu profilieren. Doch sein eigener Posten könnte bald wackeln.
Bild: Keir Starmer, Vorsitzender der Labour-Partei, am 22.06.2022 im britischen…
Berlin taz | Endlich sei auch Boris Johnsons eigene Partei zu dem Schluss
gekommen, dass er als Premier ungeeignet sei, äußerte am Donnerstag
Oppositionsführer Keir Starmer und schickte gleich noch eine Drohung
hinterher: Sollte Johnson, wie von ihm angekündigt, noch so lange im Amt
bleiben wollen, bis die Konservativen seine Nachfolge geklärt hätten, würde
Labour im Unterhaus ein [1][Misstrauensvotum] gegen die Regierung
anstrengen. Unwahrscheinlich, dass das in der mit einer satten Mehrheit von
86 Sitzen ausgestatteten Tory-Fraktion Eindruck macht.
Bei der wöchentlichen [2][Fragestunde des Premierministers] hatte Starmer
manchen konservativen Politiker durchaus erblassen lassen. Da war der
Labour-Chef wieder in die Rolle geschlüpft, die er am besten kann: in die
eines Staatsanwalts. Akribisch sezierte er die Lügengespinste Johnsons im
Fall der Anschuldigungen sexualisierter Gewalt gegen den Abgeordneten Chris
Pincher.
Und da Starmers Rede ein paar gut sitzende Punchlines aufwies, stieß sie
auch bei Kommentatoren auf Wohlwollen, die ihn sonst als anständigen und
fleißiger Politiker einstufen, aber auch als farblos. Seine
Anhänger*innen sind dagegen überzeugt, dass Starmers Ruf des
verlässlichen Langweilers bisher den bestmöglichen Kontrast zur losen
Kanone Johnson bot.
2020 wurde Starmer mit großer Mehrheit an die Parteispitze gewählt, auch,
weil es zunächst nicht danach aussah, dass er sich von der sozialen und
wirtschaftlichen Agenda seines Vorgängers Jeremy Corbyn verabschieden
würde. Schließlich diente er selbst in Corbyns [3][Schattenkabinett] als
Brexit-Minister. Doch seine Personalpolitik sprach schnell eine andere
Sprache: Mit dem scharfen Schwert des Antisemitismusvorwurfs ließ er Corbyn
aus der Fraktion ausschließen und säuberte die Vorderbänke der Fraktion von
Mitgliedern des linken Flügels.
Doch blieb ein Rätsel, welche politische Vision der als sogenannter
Soft-Linker geltende Parteichef verfolgte. In Sachen Brexit herrscht nun
mehr Klarheit: Starmer schließt aus, dass es mit einer Labour-Regierung
eine Rückkehr in die EU geben werde, auch keinen Wiedereinstieg in
Binnenmarkt und Zollunion. Und das aus dem Munde des einst vehementen
Befürworters eines Verbleibs in der EU, der die Partei gegen ihren
damaligen Chef auf ein Ja zu einem zweiten Brexit-Referendum einschwor.
Aus dieser Position heraus bei der nächsten Wahl die Tory-Mehrheit
überwinden – das geben die Umfrageergebnisse nicht her. Mit Starmer an der
Spitze ist aber auch der Graben zwischen Labour und den Liberaldemokraten
kleiner geworden. Letztere sind in vielen Wahlkreisen stärkster Widersacher
der Konservativen. Und viele Wähler*innen wünschen sich eine progressive
Anti-Tory-Allianz. Sie sind dazu bereit, das Kreuzchen bei der jeweils
aussichtsreicheren Oppositionspartei zu machen. Noch gibt es keine
offiziellen Absprachen zwischen Starmer und Ed Davey, dem Chef der
Liberaldemokraten.
Bevor es zu einer solchen Koalition kommt, könnte der jetzige Labour-Chef
aber schon wieder Geschichte sein. Während der [4][Partygate-Affäre]
Johnsons war ein Video aufgetaucht, das Starmer während des Lockdowns mit
Kollegen beim Biertrinken und Pizzaessen im Labour-Büro von Durham zeigt.
Die örtliche Polizei ermittelt nun. Um Johnson als besonders ruchlos
dastehen zu lassen, hatte Starmer seinen Rücktritt zugesagt, sollte er
wegen Brechens der Lockdownregeln eine Geldstrafe aufgebrummt bekommen. So
mancher Kommentator schüttelte da wieder den Kopf über so viel
Anständigkeit.
8 Jul 2022
## LINKS
[1] /Misstrauensvotum-gegen-Boris-Johnson/!5859101
[2] /Regierungskrise-in-Grossbritannien/!5866109
[3] /Wahlen-im-Londoner-Old-Bexley--Sidcup/!5820437
[4] /Grossbritanniens-Premierminister/!5828906
## AUTOREN
Oliver Pohlisch
## TAGS
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