| # taz.de -- Großbritanniens neues Kabinett: Neue Köpfe für alte Probleme | |
| > Premierministerin Liz Truss hat mit Vertrauten die diverseste Regierung | |
| > der Geschichte gebildet. Mit Labour gibt es gleich Streit. | |
| Bild: Hello! Die neue Premierministerin Liz Truss mit ihrem Ehemann Hugh O'Lear… | |
| London taz | Bei der letzten wöchentlichen Fragestunde für den britischen | |
| Premierminister im Unterhaus, am 20. Juli, stand da noch Boris Johnson. Nun | |
| stand da [1][Liz Truss], ihr erster Auftritt als Regierungschefin vor den | |
| Abgeordneten. Für Labour-Oppositionschef Keir Starmer war sie ein harter | |
| Brocken. | |
| Er habe ihre Politik falsch verstanden, sagte Truss zum Beifall der | |
| konservativen Fraktion, als Starmer sie in der Frage staatlicher Hilfen | |
| bezüglich der gestiegenen Energiepreise anging, wofür Truss am Donnerstag | |
| ein neues umfangreiches Entlastungspaket vorstellen möchte. | |
| Starmer wollte wissen, wieso Truss das nicht mit einer Übergewinnsteuer | |
| decken soll, wie es im Mai der damalige Finanzminister Rishi Sunak gemacht | |
| hatte, sondern sogar die Unternehmenssteuern senken will. Truss wich keinen | |
| Zentimeter. Nichts Neues von den Tories, sagte Starmer. Nichts Neues von | |
| Labour, antwortete Truss. | |
| Als später die ehemalige Premierministerin Theresa May Truss gratulierte | |
| und fragte, wieso denn immer nur die Tories Frauen ins höchste Amt | |
| beförderten, tobten die konservativen Bänke begeistert und Starmer blickte | |
| ernst. | |
| ## Anklänge an Winston Churchill | |
| Liz Truss hatte ihr Amt am Dienstag übernommen und nach Rückkehr von der | |
| Queen in Schottland [2][ihre erste Ansprache] vor der schwarzen Tür von 10 | |
| Downing Street gehalten. Sie griff zu einer Redewendung Winston Churchills | |
| aus Kriegszeiten, „Action This Day“ (Handeln heute) für die Dringlichkeit | |
| unmittelbarer Maßnahmen. | |
| Passend zu starken Londoner Regenschauern, die einen langen trockenen und | |
| überhitzten Sommer nicht nur politisch, sondern auch metereologisch | |
| beendeten, sprach Truss von stürmischen Zeiten. „So stark die Stürme auch | |
| sind, die britischen Menschen sind stärker“, beteuerte sie und „Ich bin mir | |
| sicher, dass wir gemeinsam den Sturm überstehen können.“ | |
| Diese Zuversicht erwächst für Truss aus drei Prioritäten. Die Wirtschaft | |
| will sie durch Steuersenkungen ankurbeln. Um die durch Putins Krieg | |
| entstandene Energiekrise, wie sie es formulierte, will sie sich sofort | |
| kümmern – eine Deckelung der Energiepreise für die Verbraucher steht im | |
| Raum. Drittens will sie dafür sorgen, dass das Gesundheitswesen wieder | |
| besser funktioniert. | |
| „Damit bringen wir unsere Nation auf den Weg langfristigen Erfolgs,“ | |
| behauptete die neue Premierministerin, während im Hintergrund über | |
| Verstärker der Song „Mad World“ durch das Regierungsviertel hallte, eine | |
| Aktion des nimmermüden Stop-Brexit-Aktivisten Steve Bray. | |
| Auffällig war, dass Truss zwar [3][Boris Johnsons Vermächtnis] lobte, seine | |
| Programmatik aber mit keinem Wort erwähnte. Kein Wort über die klimatischen | |
| Herausforderungen oder über das „Levelling-Up“, das Aufbauprogramm für | |
| abgehängte Regionen. Stattdessen sprach sie von Investitionen und guter | |
| Arbeit in jeder Stadt. Truss grenzt sich vom bombastischen Stil ihres | |
| Vorgängers ab, sie spricht trocken und schnörkellos. | |
| ## Viele neue Gesichter im Kabinett | |
| Nach ihrer Rede verzog sich die neue Premierministerin in die Büros von 10 | |
| Downing Street und begann mit der Regierungsbildung. Die wichtigsten Namen | |
| waren schon Tage vorher an die Presse geleakt worden. | |
| Nachfolgerin von Innenministerin Priti Patel, die das Abschiebungsprogramm | |
| nach Ruanda für illegal eingereiste Flüchtlinge erfunden hatte, wird Suella | |
| Braverman, die bisherige oberste Rechtsberaterin der Regierung. Viele | |
| hielten es für unmöglich, doch es ist tatsächlich eine noch radikalere | |
| Besetzung dieses Postens. | |
| Der rechtskonservative, katholische Multimillionär Jacob Rees-Mogg wird | |
| Minister für Wirtschaft und Energie. Der Klimawandelskeptiker muss sich mit | |
| Alok Sharma vertragen, der als Präsident der Klimakonferenz Cop26 im | |
| Kabinett sitzt und sein Amt behält. | |
| Der ghanaischstämmige Kwasi Kwarteng, ein starker Unterstützer der freien | |
| Marktwirtschaft und politischer Soulmate von Liz Truss, wird | |
| Finanzminister. | |
| Gesundheitsministerin und zugleich stellvertretende Premierministerin wird | |
| die Rentenministerin Thérèse Coffey, eine langjährige persönliche Freundin | |
| von Liz Truss. | |
| James Cleverly, dessen Mutter aus Sierra Leone stammt, wird Außenminister. | |
| Verteidigungsminister Ben Wallace behält seinen Posten; beim Thema | |
| Ukrainekrieg ist er eine Schlüsselfigur. | |
| Zum Nordirlandminister hat Truss mit Chris Heaton-Harris einen | |
| Ultra-Brexiteer ernannt, Mitgründer und Ex-Vorsitzender der | |
| innerparteilichen euroskeptischen European Research Group; er dürfte eine | |
| entsprechend harte Haltung im Nordirlandkonflikt mit der EU vertreten, wie | |
| auch zuletzt Truss selber als Außenministerin. | |
| Eine Premiere stellt Wendy Morton dar, die neue Fraktionschefin (Chief | |
| Whip) im Unterhaus. Sie ist die erste Frau überhaupt auf diesem Posten, | |
| dessen Inhaber auch immer wieder mit Skandalen um sexuelle Übergriffe durch | |
| Parlamentarier zu tun hatten. Zuletzt sorgte in dieser Rolle Chris Pincher | |
| durch seine eigenen Übergriffe auf Männer für Johnsons Fall. | |
| Auch die Truss-Kontrahentinnen beim Kampf um das Amt der Parteiführung | |
| gehen nicht leer aus. Neben Suella Braverman als Innenministerin wird Kemi | |
| Badenoch Handelsministerin. Penny Mordaunt, die am Anfang des | |
| parteiinternen Wahlkampfes Spitzenreiterin hinter Rishi Sunak gewesen war, | |
| bis Truss sie aufholte, wird Parlamentsministerin (Leader of the House), | |
| zuständig für das Einbringen der Regierungsgeschäfte ins Parlament und | |
| traditionell eine Vertrauensperson. | |
| Viele Posten – zu viele, glauben manche – gingen an Unterstützer:innen | |
| von Liz Truss. Ob sie neokonservativer regieren wird als Boris Johnson, | |
| bleibt abzuwarten. | |
| Erst mal muss sich erweisen, ob Steuersenkungen und Unterstützungszahlungen | |
| in der Energiekrise mehr bringen als ein „Zuckerhoch“, wie es Rishi Sunak | |
| im Wahlkampf nannte. Steigender Widerstand aus der eigenen Partei über | |
| steigende Verschuldung ist da noch gar nicht mitgezählt. | |
| 7 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Liz-Truss-in-Grossbritannien/!5876386 | |
| [2] https://www.gov.uk/government/speeches/prime-minister-liz-trusss-statement-… | |
| [3] /Boris-Johnson-verabschiedet-sich/!5879315 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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