| # taz.de -- Regenbogenfabrik in Berlin: Bestens besetzt | |
| > Hier kann man günstig Kultur erleben oder auch mal ein Fahrrad | |
| > reparieren: Die Regenbogenfabrik zeigt, dass sich Hausbesetzung für den | |
| > Kiez lohnt. | |
| Bild: Das Rad im Betrieb der solidarischen Regenbogen-Ökonomie | |
| Berlin taz | „Du baust das Rad aus, nimmst den Mantel ab, und wir zeigen | |
| dir dann, wie du die Speiche einziehst“, erklärt mir der Mitarbeiter der | |
| Fahrradwerkstatt das Prozedere. Ich nicke, klingt eigentlich gar nicht so | |
| schwer. „Dann muss es noch zentriert werden, das ist nicht so einfach, zur | |
| Not machen wir das.“ Er deutet mit ölverschmierter Hand auf den kompliziert | |
| aussehenden Zentrierständer, mit dem sich eiernde Räder wieder begradigen | |
| lassen. | |
| Angesichts mittlerweile astronomischer Gas- und Stromrechnungen bin ich | |
| froh, dass es Selbsthilfewerkstätten wie diese hier im Kreuzberger Kultur- | |
| und Wohnprojekt Regenbogenfabrik gibt. In einem normalen Fahrradladen kann | |
| eine Reparatur schnell teuer werden, hier reicht eine kleine Spende – und | |
| nebenbei lernt man jedes Mal dazu. | |
| Angesichts steigenden Verwertungsdrucks verschwinden viele solcher | |
| unkommerziellen Räume – Selbsthilfewerkstätten, Proberäume, Jugend- und | |
| Nachbarschaftstreffs oder Wagenplätze –, die das Leben in der Stadt auch | |
| ohne viel Geld lebenswert machen. Neue zu schaffen, wird zunehmend ein Ding | |
| der Unmöglichkeit. | |
| ## Ein Ort, viele Projekte | |
| Wie ist es also möglich, dass eine solch unkommerzielle Fahrradwerkstatt | |
| seit über 40 Jahren Bestand haben kann, in einem Bezirk, in dem die Mieten | |
| deutschlandweit mit am schnellsten steigen? | |
| Die Fahrradwerkstatt ist nur eines von vielen Projekten, die in der | |
| Regenbogenfabrik in der Lausitzer Straße beheimatet sind: Über den Hof des | |
| Geländes schlurfen rucksackbepackte Hostel-Gäste, ein wenig weiter spielen | |
| Kinder aus der Kita, mittags bietet eine Kantine günstiges Essen und abends | |
| ein Kinosaal anspruchsvolles Kinoprogramm – und dann wohnen hier auch noch | |
| 33 Menschen. Längst ist die [1][Regenbogenfabrik] fester Bestandteil der | |
| sozialen Infrastruktur des Kiezes. | |
| Im März 1981 besetzten Aktivist:innen [2][das brachliegende | |
| Fabrikgelände]. Eigentümer war ein stadtbekannter Spekulant, der den heute | |
| unter Denkmalschutz stehenden Fabrikkomplex abreißen und durch Neubau | |
| ersetzen wollte. Die Besetzer:innen konnten nicht nur den Abriss | |
| verhindern, sondern auch dauerhaft ein Nachbarschaftszentrum errichten. | |
| ## Klassisch instandbesetzt | |
| Das baufällige Gelände renovierten die Besetzer:innen komplett selbst – | |
| eine klassische „Instandsbesetzung“, eine Praxis, durch die in den 80er | |
| Jahren weite Teile der historischen Bausubstanz Kreuzbergs gerettet werden | |
| konnten. Gerade die heute heißbegehrten Altbauten sollten großflächig | |
| abgerissen werden. | |
| 1984 wurde die Besetzung erstmals durch einen Mietvertrag legalisiert. | |
| Trotzdem drohte das Projekt immer wieder das Aus, ob nun durch Konflikte | |
| mit dem Eigentümer, wegen Finanzierungsschwierigkeiten oder zahlreichen | |
| internen Konflikten. | |
| Erst 2011 gelang es, das Projekt langfristig zu sichern. Das Gelände wurde | |
| mittlerweile vom Land Berlin gekauft und an den Bezirk übergeben, der | |
| wiederum einen 30-jährigen Erbpachtvertrag abschloss. | |
| ## Solidarische Ökonomie | |
| Nachdem die Einstellung staatlicher Unterstützung das Projekt Ende der | |
| 1990er Jahre in eine existenzielle Krise gestürzt hatte, finanziert es sich | |
| nun weitestgehend selbst. | |
| Dabei werden unkommerzielle Projekte wie die Fahrradwerkstatt durch | |
| profitablere Projekte wie das Hostel querfinanziert. Unabhängig von der | |
| Profitabilität der Arbeit werden dabei gleiche Löhne gezahlt, sämtliche | |
| Gewinne geteilt. „Solidarische Ökonomie“ nennen die Aktivist:innen | |
| dieses Prinzip. | |
| Und es funktioniert. Selbst die Einnahmeausfälle während der Coronakrise | |
| konnte das Projekt verkraften. Als die Fabrik vor Kurzem ihren vierzigsten | |
| Geburtstag mit einem ausschweifenden Hoffest nachfeiern durfte, hieß es | |
| natürlich „Eintritt frei“. | |
| 4 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.regenbogenfabrik.de/ | |
| [2] /Ausstellung-zu-besetztem-Berlin/!5798569 | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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