# taz.de -- Geplantes Zwischenlager in Würgassen: Atommüll als Touristenschre… | |
> Im Weserbergland floriert der Tourismus. Damit wäre voraussichtlich | |
> Schluss, wenn das geplante Zwischenlager für radioaktive Abfälle | |
> realisiert wird. | |
Bild: Das ehemalige AKW Würgassen 2020: Auf dem Gelände soll ein Zwischenlage… | |
GÖTTINGEN taz | Nur mal so als Beispiel: Das Brandenburger Tor, sagt Dirk | |
Wilhelm, ist rund 20 Meter hoch – ohne Quadriga. Die Entfernung vom Tor zum | |
Reichstag beträgt etwa 280 Meter. „Und nun stellen Sie sich mal vor, um die | |
beiden Bauwerke würde eine Betonhalle gebaut.“ Nein, nein, kein temporäres | |
Verhüllungskunstwerk wie von Christo, sondern ein Gebäude von Dauer, in und | |
aus dem die nächsten 30 Jahre täglich Container mit Müll gebracht und | |
abgefahren werden. Mit Atommüll. „Wären das nicht schöne Aussichten für d… | |
Gäste im Hotel Adlon gegenüber der gigantischen Halle?“, fragt Wilhelm. | |
Wilhelm ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Atomfreies Dreiländereck. Mit | |
dem Beispiel aus Berlin will er verdeutlichen, was seiner Heimatregion | |
Weserbergland blühen könnte, wenn auf dem Gelände des ehemaligen AKW | |
Würgassen an der Weser [1][ein gigantisches Zwischenlager für radioaktive | |
Abfälle errichtet wird.] | |
Tatsächlich plant die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) | |
dort, im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, | |
den Bau einer noch größeren Halle als von Wilhelm skizziert. 325 Meter | |
lang, 125 Meter breit und 16 Meter hoch soll sie werden. Ab 2027 soll sie | |
allen in Deutschland angefallenen schwach und mittel radioaktiven Müll | |
aufnehmen, der später für eine Endlagerung im Schacht Konrad in Salzgitter | |
vorgesehen ist – insgesamt rund 300.000 Kubikmeter. | |
In seinen geschätzt 30 Betriebsjahren wird das offiziell sogenannte | |
Logistikzentrum Konrad in Würgassen den Planungen zufolge quasi rund um die | |
Uhr von Lastwagen und Zügen angefahren, die den strahlenden Schrott | |
anliefern und, teils neu verpackt, wieder abholen und nach Salzgitter | |
weiter transportieren. Die Kosten für das Zwischenlager werden auf 450 | |
Millionen Euro geschätzt. | |
Dass der florierende Outdoor-Tourismus auf und an dem Fluss durch das | |
Logistikzentrum nachhaltig leiden wird, befürchtet auch Petra Wegener, | |
Geschäftsführerin des Vereins [2][„Weserbergland Tourismus“] in Hameln. D… | |
Tourismus sei ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor in der Region, sagt sie, | |
und könne eine äußerst erfolgreiche Bilanz vorweisen: drei Millionen | |
Übernachtungen jährlich, einen „Bruttoprimärumsatz“ von einer Milliarde | |
Euro und 22.000 Vollzeitarbeitsplätze. | |
Das „touristische Rückgrat“ der Region, der Weser-Radweg, sei in den | |
vergangenen Jahren mit hohen Investitionen zum Premiumprodukt in | |
Deutschland ausgebaut worden, erläutert die Touristikerin. Die mit vier | |
Sternen bewertete ADFC-Qualitätsroute führt vom südniedersächsischen Hann. | |
Münden über rund 500 Kilometer nach Bremerhaven und wurde das dritte Jahr | |
in Folge als beliebtester Fernradweg in Deutschland ausgezeichnet. | |
Die rund 350.000 Radler:innen, die den Weg jährlich befahren, wären künftig | |
mit dem Anblick und der möglichen Strahlung des direkt an der Strecke | |
liegenden Zwischenlagers konfrontiert. Sollten dadurch auch nur einige | |
Übernachtungen und Tagesgäste ausbleiben, bedeutet dies Wegener zufolge | |
einen hohen Schaden für die gesamte Region: „Die Wirtschaftskette, die | |
durch den Tourismus in Gang gesetzt wird, ist dann unterbrochen, das kann | |
vehemente Auswirkungen erzeugen“, sagt sie. | |
Anti-Atom-Aktivist Wilhelm merkt an, dass alleine schon die vierjährige | |
Bauzeit des Atommülllagers mit zehntausenden von LKW-Transporten etwa zur | |
Aufschüttung des Geländes zum Hochwasserschutz „negative Auswirkungen auf | |
eine der wesentlichen Lebensadern in der Region“ haben werde. Ob die | |
Gütesiegel des ADFC dann noch ins Weserbergland vergeben würden, bleibe | |
abzuwarten. | |
Der [3][Protest vieler Bürger:innen, Kommunen und | |
Lokalpolitiker:innen] gegen das geplante Atommüllzwischenlager ist | |
überall im Dreiländereck präsent. Bei Festen und Kunsthandwerkermärkten | |
beiderseits des Flusses ist die Bürgerinitiative Atomfreies Dreiländereck | |
mit Ständen und symbolischen Atommüll-Containern aus Sperrholz und | |
Pappmaché präsent. „Solche Behälter gehören dann ab 2027 für 30 Jahre ins | |
alltägliche Stadt- und Dorfbild“, warnt Dirk Wilhelm. | |
Noch hat der Bund keinen Bauantrag für das Logistikzentrum gestellt. Die | |
Atomkraftgegner:innen schöpfen neue Hoffnung, dass das so bleibt. Denn | |
aus einem [4][aktuellen Gutachten], das die Länder Niedersachsen und | |
Nordrhein-Westfalen beauftragt haben, geht hervor, dass das Zwischenlager | |
für den späteren Betrieb von Schacht Konrad gar nicht unbedingt nötig ist. | |
26 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Abfall-fuer-Schacht-Konrad/!5667015 | |
[2] https://www.weserbergland-tourismus.de/de/ | |
[3] /CDU-kritisiert-Atomlager-an-der-Weser/!5708402 | |
[4] /Gutachten-zu-geplantem-Bau/!5862577 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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entschieden. |