# taz.de -- Debatte über Verzicht in der Klimakrise: Sparen fürs Klima | |
> Verzicht auf den Energieverbrauch muss nicht immer weh tun. Nur mit | |
> Verschwendung aufzuhören, wäre schon ein wesentlicher Schritt. | |
Bild: Noch verschwendet: Beleuchtung in der Stuttgarter Innenstadt | |
Die weltpolitische Lage ist wirklich deprimierend. So deprimierend, dass | |
manche Menschen gar keine Nachrichten mehr hören wollen. Dabei entgeht uns, | |
dass bei allen Widrigkeiten nun in die Klimakrise Bewegung kommt. Europa | |
verhandelt über ein ehrgeiziges Klimaschutzpaket, Deutschland hat zwei | |
ehrgeizige Klimaschutzpakete verabschiedet. | |
Die USA haben immerhin ein großes Klimapaket beschlossen, [1][Australiens | |
Regierung] scheint den Ernst der Lage zu erkennen und auch Kolumbien und | |
nach den nächsten Wahlen nimmt vielleicht auch wieder Brasilien den | |
richtigen Kurs auf. Nun könnte man sagen, das reicht alles nicht. Das ist | |
richtig. Aber es ist viel mehr in Bewegung als in den letzten Jahren. | |
Zudem haben wir jetzt die Chance, Energiesparen als zusätzlichen Hebel für | |
den Klimaschutz zu entdecken und so die Lücke, die die internationalen | |
Bemühungen offenlassen, zu verkleinern. Der unglückselige Krieg in der | |
Ukraine und das Bestreben, Gas aus Russland einzusparen, hilft uns dabei. | |
Es sollte endlich in die Debatte dringen, dass all die Sparmaßnahmen von | |
öffentlicher verordneter und privater freiwilliger Hand auch einen | |
Klimaeffekt haben. | |
Längst hätte man sie unabhängig von der Gaskrise vorantreiben sollen! Von | |
diesen Gedanken kommt man schnell zu der Forderung, dass diese und noch | |
mehr Maßnahmen dauerhaft unsere Klimapolitik flankieren sollen. Wir | |
brauchen nachts keine beleuchteten öffentlichen Gebäude, während die | |
Straßen völlig menschenleer sind. Bei uns hat sich Wohlstandsspeck | |
eingeschlichen, der neutral betrachtet schlicht Verschwendung ist. | |
## Kostengünstige Sparpotentiale finden | |
So ist es sehr wohl zumutbar, [2][im Winter einen Pulli mehr] anzuziehen, | |
anstatt die Heizung aufzudrehen. Auch die Industrie hat Möglichkeiten, | |
Energie und damit Kosten zu sparen. Schätzungen zufolge ließen sich | |
mindestens 20 Prozent insbesondere bei Druckluft, Pumpen, Ventilatoren und | |
Abwärmenutzung einsparen, wenn allen die richtigen Informationen bekannt | |
wären, die etwa das Umweltbundesamt zusammenstellt. | |
Und wenn kurzfristige Investitionen für langfristige Gewinnpotenziale | |
genügend gefördert würden. Dass diese Potenziale immer noch brachliegen, | |
ist angesichts der Klimakrise genau so ein Skandal wie die Tatsache, dass | |
es erst eine Gaskrise brauchte, um Einsparungen überhaupt zu diskutieren. | |
Diese Lücken sind nun schleunigst und verbindlich – nicht erst irgendwann | |
und freiwillig – zu schließen. Insofern liegt sogar in der vertrackten | |
Situation eine Chance für die Zukunft. | |
Es geht nicht um das Sparen, das weh tut, sondern es geht um sparen, das | |
uns kaum etwas kostet oder sich sogar rechnet. Wir sollten uns bemühen, | |
weitere kostengünstige Sparpotenziale ausfindig zu machen und zu | |
verselbstständigen. Völlig unverständlich, warum in der [3][Coronakrise] | |
die Wirtschaft plötzlich stillstehen konnte und in der Gaskrise plötzlich | |
von Russland unabhängig werden kann, aber uns die Wälder abbrennen und die | |
Ernten vertrocknen. Warum ist das für das Klima nicht drin? | |
Die beschriebenen Sparmaßnahmen gilt es langfristig zu denken. Dementgegen | |
sollten politische Maßnahmen zur Energieversorgung derzeit stets daraufhin | |
beobachtet werden, dass sie fossile Energien nur kurzfristig anvisieren. | |
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz im Senegal Gasfelder erschließen will, ist | |
das Irrsinn, denn dieses Gas kommt erst in einigen Jahren, wenn wir es | |
eigentlich nicht mehr brauchen sollten. | |
## Langfristig nur auf Erneuerbare setzen | |
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Regierung einen heimlichen Rollback | |
veranstaltet, was sich auch durch langfristige Planung für | |
[4][Flüssiggas-Terminals] abzeichnet. Wenn man von langfristigen | |
Lieferverträgen der EnBW für 20 Jahre zusätzliche Gaslieferungen liest, | |
erkennt man, dass die Gaskrise und die allseits zu spürende Angst schnell | |
für den großen Reibach missbraucht werden können. | |
Weil alles wahnsinnig schnell gehen muss, wird vieles durchgewinkt, was | |
Unsinn ist. Es bedarf für Energiesicherheit keiner Absicherung der | |
Erneuerbaren durch Grundlast, die rund um die Uhr verfügbar und etwa wie | |
Atomkraft kaum spontan regulierbar ist. 100 Prozent erneuerbare Energien | |
sind auf Dauer möglich mit den bekannten erneuerbaren Technologien, | |
Speichern und intelligent verschalteten Netzen. | |
Es wäre zu einfach, den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen, dass | |
alles internationale Bestreben der Politik nicht ausreicht, um die Krise zu | |
bewältigen. Es nutzt ja nichts. Wir stehen vor der Wahl, energisch | |
Klimapolitik zu betreiben, oder zu sagen, das kommt alles viel zu spät, wir | |
lassen es gleich. Das beinhaltet allerdings die Möglichkeit, dass wir die | |
Flinte zu früh ins Korn werfen und an einem Punkt aufgeben, an dem nicht zu | |
wissen ist, ob der Zug bereits abgefahren ist oder nicht. | |
Das ist angesichts der vergleichsweise geringen Kosten für den Klimaschutz | |
und der drohenden katastrophalen Folgen seines Scheiterns völlig | |
unverantwortlich! Spenden für funktionierende Klimaschutzprojekte im | |
globalen Süden würden zugegebenermaßen eine deutlich größere Reduktion von | |
Klimagasen zur Folge haben als die diskutierten privaten freiwilligen | |
Sparmaßnahmen, wie etwa kürzer zu duschen. Sie sind dennoch gerechtfertigt, | |
weil sie kaum Kosten verursachen. | |
Kostspielige private Sparmaßnahmen sind nicht notwendig. Als Verbraucher | |
auch nur ein Jahr auf Fleisch zu verzichten, verhindert 450 Kilogramm | |
CO2-Emissionen. Laut [5][Fleischpreis-Index] ließen sich durch den Verzicht | |
651,22 Euro einsparen. Dieser Betrag ließe sich wiederum in | |
Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern investieren, um weitere 28.300 | |
Kilogramm CO2-Emissionen einzusparen. | |
Derartige Spenden fördern allerdings nicht die Energieautarkie, und sie | |
sollten nicht als Lösung betrachtet werden von Menschen, die nur spenden, | |
ohne auch auf eigenen Verzicht zu setzen. Beides ist nötig. Klimaschutz | |
passiert jetzt oder nie. Durch uns oder keinen! | |
1 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Australien-will-CO2-Emissionen-reduzieren/!5861648 | |
[2] /Verzicht-in-Teuerungswelle/!5867167 | |
[3] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[4] /LNG-Terminals-an-der-Nordseekueste/!5856687 | |
[5] https://www.bmel-statistik.de/preise/preise-fleisch | |
## AUTOREN | |
Bernward Gesang | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Verzicht | |
Erderwärmung | |
Gazprom | |
Ampel-Koalition | |
Kolumne Finanzkasino | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Inflation | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nach Habecks AKW-Vorschlag: Ampelkoalition droht Krach | |
Der grüne Wirtschaftsminister ringt sich zu einem möglichen Weiterbetrieb | |
von zwei Atomkraftwerken durch. Der FDP reicht das nicht. | |
Umgang mit explodierenden Strompreisen: Weg mit den Übergewinnen | |
Die exorbitanten Strompreise bescheren den Energieunternehmen leistungslose | |
Extraprofite. Dieses Marktversagen ist seit 200 Jahren bekannt. | |
Weltweite Hungerkrise: Fleischverzicht gegen Putin | |
Die Europäer verfügen über eine gewaltfreie Waffe gegen Putins Russland: | |
weniger Fleisch essen. Doch leider nutzen sie sie nicht. Wie schade. | |
Steigende Lebenshaltungskosten: Wider die Verzichtslogik | |
Abstriche müssen nur die machen, die sich keinen Urlaub mehr leisten | |
können. Wer Solidarität will, muss den Kampf für höhere Löhne vorantreiben. | |
UN-Klimaziele vor dem Scheitern: Richtung 2,7 Grad Erderwärmung | |
Alarm bei der UNO: Die Klimapolitik ist weit vom 1,5-Grad-Ziel entfernt. | |
Die G20 könnten viel bewirken, sind aber zu langsam. |