# taz.de -- Energiewende in Hamburg: Vermieter gegen Balkonkraftwerke | |
> Viele Mieter*innen wollen Solarzellen auf dem Balkon. | |
> Vermieter*innen müssen meist zustimmen. In Hamburg verbieten manche | |
> die Installation. | |
Bild: Lieber ohne Kabelbinder festmachen, dann freuen sich vielleicht auch Verm… | |
Hamburg taz | Die eigene [1][Stromrechnung senken] und etwas für den | |
Klimaschutz tun: Das wollte ein Paar aus Hamburg. Und zwar mit einem | |
sogenannten Balkonkraftwerk. Die kleinen Solaranlagen mit einer Leistung | |
von bis zu 600 Watt sind für den Eigenverbrauch gedacht. | |
Die beiden wollen ihren Namen nicht nennen, um es sich nicht mit den | |
Hamburger Genossenschaften zu verscherzen. Sie ist Mieterin beim Bauverein | |
der Elbgemeinden (BVE). Mit knapp 20.000 Mitgliedern und über 13.800 | |
Wohnungen zählt der BVE nach eigenen Angaben „zu den bedeutenden | |
Wohnungsunternehmen“ in Hamburg und Umgebung. Er wohnt zwar anderswo, | |
wollte die Installation aber in die Hand nehmen und rief beim BVE an, um | |
nach der Zustimmung zu fragen – doch die hat er nicht bekommen. Die Anlagen | |
seien beim BVE grundsätzlich verboten, habe man ihm gesagt. Daraufhin | |
meldete er sich bei der taz. | |
„Wenn es nicht die bürokratischen Hürden des Staates sind, ist es krass, | |
dass nun die Vermieter abblocken“, sagt er. Die beiden hätten die Anlage | |
mit einfachen Schellen am Geländer befestigen wollen, eine Außensteckdose | |
gebe es bereits. Dennoch wollte man lieber vorher bei der Genossenschaft | |
anklopfen. | |
Denn eine Genehmigung durch die Vermieter*innen ist notwendig, wenn | |
eine Anlage an der Fassade – auch an der Balkonaußenwand – befestigt werden | |
soll. Und wenn für die Installation Leitungen verlegt werden müssen, also | |
wenn eine Außensteckdose noch nicht vorhanden ist, braucht es ebenfalls die | |
Zustimmung. | |
Auf Nachfrage der taz bestätigt der BVE: „Für Wohnungen in | |
Mehrfamilienhäusern/Geschosswohnungsbauten können wir die individuelle | |
Installation eines Solargerätes, eines Balkonkraftwerkes oder Ähnlichem | |
überwiegend nicht genehmigen.“ Photovoltaikdächer und Anwohnerstrom-Modelle | |
gehörten ohnehin zum „Gesamtkonzept“ der Genossenschaft, aber Balkone | |
gehörten nicht zu den Flächen, auf denen eine Installation „technisch | |
und/oder wirtschaftlich“ Sinn ergebe. | |
Die Gründe für die Entscheidung des BVE sind vielfältig. Da wäre zum einen | |
die Gefahr durch Sturm, falls die Anlage nicht ordnungsgemäß befestigt | |
werde. Auch die erforderliche Elektroinstallation, zum Beispiel einer | |
Außensteckdose, wird in der Mail des BVE-Sprechers aufgelistet. Gefolgt | |
von der Statik: „Inwiefern die Installation Einfluss auf die Statik hat, | |
müsste in jedem Einzelfall bewertet werden.“ Auch habe man Sorge, dass | |
Nachbar*innen durch die Paneele geblendet würden. Ganz zu schweigen von | |
der Ästhetik – die Fassade würde nicht mehr einheitlich aussehen, heißt es. | |
Auch entspreche es nicht dem genossenschaftlichen Grundsatz, weil | |
Mitglieder mit Balkon bessergestellt sein würden. Einfacher sei die | |
Genehmigung allerdings bei Einzel- oder Doppelhaushälften. Acht Anfragen | |
habe es von den Mitglieder:innen bislang insgesamt gegeben. Insgesamt | |
betrachte man die eigene Lösung als „sinnvoll und praktikabel“. | |
Das sieht der Partner der BVE-Mieterin anders: „Hier wird die Energiewende | |
der vermeintlichen Sicherheit geopfert.“ Der BVE wolle sich nicht mit | |
möglichen Haftungsfragen auseinandersetzen, „falls jemand so bescheuert | |
wäre, ein mehrere Hundert Euro teures Modul mit Bindfaden am Geländer | |
festzutüddeln und nicht ordentlich gegen Winddruck zu sichern“. Auch | |
Fenster könnten blenden, Blumentöpfe herunterfallen. „Es geht ja nicht um | |
Spaß der Einzelnen, sondern um die Energiewende, da könnten die doch nicht | |
generalisierter Bremser sein.“ | |
Er habe nach dem Korb durch den BVE aus Interesse auch beim Hamburger | |
Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) nachgefragt – dort habe es den | |
Anschein gemacht, als gebe es keine Regelung. „Die wollten den Einzelfall | |
prüfen.“ Auch die taz fragte bei der Genossenschaft nach. In der | |
vergangenen Woche sagte eine Sprecherin, man kläre die Frage gerade intern. | |
Derzeit gebe es noch keine Anlagen an Balkonen der Mieter*innen. | |
Am Montag war die Entscheidung dann gefallen: Der Altoba genehmigt die | |
Installation unter bestimmten Voraussetzungen, beispielsweise wenn es eine | |
TÜV-Zulassung gibt und Mieter*innen die Anlage selbst beim Netzbetreiber | |
anmelden. Allerdings: „Keine Genehmigung erteilen wir für die Montage einer | |
Solaranlage außen an der Balkonbrüstung oder an der Hausfassade.“ [2][Die | |
Verbraucherzentralen] halten den Montageort hinter der Balkonbrüstung | |
allerdings für ungeeignet. | |
Es gebe immer wieder „einzelne unbefriedigende Rückmeldungen“, sagt Volker | |
Henkel von der Initiative Solisolar. Der Verein organisiert kostengünstige | |
Sammelbestellungen, hilft bei der Anmeldung und beim Aufbau der | |
Solaranlagen. Vorbild der Initiative ist ihr Bremer Pendant Solidarstrom. | |
Das Abhollager ist in Henkels Garage. Erst im Frühjahr gegründet, hatte | |
Solisolar Mitte Juli bereits die ersten 50 Bestellungen, bis heute sind es | |
etwa 150, sagt Henkel. „Die Beschaffung ist sehr aufwendig und mühsam.“ Vor | |
einem Jahr habe man noch mehr Auswahl gehabt – derzeit seien einzelne Teile | |
sehr schwer zu bekommen. | |
Aktuell zahlen die Käufer*innen bei Solisolar für eine 320-Watt-Anlage | |
knapp über 600 Euro. Henkel will mit seinem Engagement der Gesellschaft | |
etwas zurückgeben. „Wir Städter müssen auch produzieren. Wir können uns | |
nicht nur auf die Windturbinen auf dem Land verlassen.“ Sein Traum: | |
„Schwarze Paneele statt rote Klinker.“ | |
## Verkehrssicherheit geht vor | |
Eine von diesen genannten „unbefriedigenden Rückmeldungen“ ist von der | |
Hamburger Wohnungsgenossenschaft von 1904 e.G. – der Mailwechsel zwischen | |
Genossenschaft und Mieterin liegt der taz vor. Aus der Anfrage der Mieterin | |
geht hervor, dass sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und ihre | |
eigenen Energiekosten senken möchte; auch, dass sie zum wiederholten Male | |
bei der Genossenschaft um Erlaubnis bittet. | |
In der Antwort schätzt die Genossenschaft ihre Bemühungen über mehrere | |
Absätze sehr – leider sei eine Installation aber nicht möglich. Denn eine | |
nicht fachgerechte Montage stelle ein Risiko dar, und schließlich sei man | |
für die Verkehrssicherheit vor den Gebäuden verantwortlich. Die | |
Argumentation ähnelt der vom BVE. | |
Henkel findet sie „destruktiv“. Eine fachgerechte Montage könne man | |
schließlich vereinbaren. Solisolar hat eine [3][Argumentationshilfe sowie | |
eine Beschlussfassung] vorformuliert, die Eigentümer*innen nutzen | |
können, wenn sie in der Genossenschaft entscheiden wollen, Balkonkraftwerke | |
zu ermöglichen. | |
Darin steht zum Beispiel, dass die Haftung durch eine Versicherung der | |
Betreiber*innen abgedeckt werden kann, also durch die Mieter*innen. | |
Auch gehe beispielsweise von Sturm keine Gefahr aus, sofern die Anlagen | |
eben fachgerecht montiert sind. In der Argumentationshilfe heißt es auch, | |
dass Steckersolargeräte sicher seien, wenn sie ein Sicherheitszertifikat | |
haben – andere seien ohnehin gar nicht erlaubt. Und wer sich Sorgen um die | |
Optik macht: Man könne vereinbaren, dass einheitliche schwarze Module | |
anderen vorzuziehen seien. | |
Doch Henkel hat auch schon anderes erlebt als reines Verhindern. Ein | |
Bekannter habe vor der Installation der Anlage von seinem Vermieter eine | |
lange Liste mit Auflagen erhalten: alles zurückbauen, wenn er mal ausziehen | |
sollte, 1.000 Euro zusätzliche Kaution, eine eigene Versicherung. „Das ist | |
hart, aber da hat sich jemand mal konstruktiv Gedanken gemacht“, findet | |
Henkel. | |
## Kompliziert, aber möglich | |
So handhabt es auch die Saga, ein kommunales Unternehmen in Hamburg. Man | |
stehe den Balkonkraftwerken „grundsätzlich positiv“ gegenüber, sofern | |
„gewisse Voraussetzungen“ erfüllt werden, schreibt ein Sprecher der taz. | |
Mieter*innen müssen demnach die Kosten für eine „fachgerechte | |
Installation“ und die Instandhaltung übernehmen. Die Verkehrssicherheit | |
müsse gewährleistet sein, und wenn die Mieter*innen ausziehen, solle | |
alles wieder aussehen wie vorher. „Ob und inwiefern sich einzelne Balkone | |
oder Terrassen für die verschiedenen Anlagen der Anbieter eignen, muss | |
immer im Einzelfall geprüft werden.“ Klingt kompliziert, ist aber immer | |
noch besser als beim BVE. | |
Der Wohnungskonzern Vonovia bewegt sich irgendwo zwischen kompliziert und | |
einem klaren Nein. „Wo keine Eingriffe am Gebäude notwendig und eine | |
regelkonforme Installation sichergestellt werden kann, haben unsere | |
Mieterinnen und Mieter die Möglichkeit, diese Technologien zu | |
installieren“, schreibt ein Sprecher. „Bauliche Maßnahmen“ sind allerdin… | |
verboten. Dazu zählt wohl auch das Verlegen einer Leitung auf den Balkon, | |
sollte dort noch keine Steckdose sein. „Im Zweifel den Vermieter fragen“, | |
lautet die Devise. | |
Volker Henkel berichtet weiter, dass nicht nur die Genossenschaften und | |
Konzerne engagierten Mieter*innen einen Strich durch die Rechnung machen | |
können – auch mit dem Denkmalschutzamt Altona ist zu rechnen. Eine | |
Mieterin, die an einer Balkonsolaranlage interessiert ist, habe im Juli | |
diese Antwort erhalten: „Das Anbringen eines im Sinne der Nachhaltigkeit | |
fragwürdigen Solarpaneels aus Kunststoff verändert das Erscheinungsbild des | |
Denkmals und ist daher nicht genehmigungsfähig.“ | |
Das Schreiben liegt der taz vor. Denkmal- und Klimaschutz müssten jedoch | |
in jedem Einzelfall abgewogen werden, findet Henkel. „Das so grundsätzlich | |
zu formulieren ist eine Unverschämtheit.“ Eine Anwältin von Solisolar habe | |
sich der Sache inzwischen angenommen. | |
Auf den Rechtsweg haben sich im vergangenen Jahr auch Mieter*innen in | |
Stuttgart verlassen – und bis heute wohl die einzige amtsgerichtliche | |
Entscheidung zu dem Thema erwirkt. Obwohl ihre Vermieterin ihnen eine | |
Installation nicht erlaubt hatte, bauten sie sich ein Solarmodul auf den | |
Balkon. Die Vermieterin klagte dagegen – und verlor. Das Amtsgericht | |
Stuttgart begründete die Entscheidung unter anderem damit, dass die Anlage | |
fachgerecht installiert worden und dafür keine Veränderungen in der | |
Bausubstanz nötig gewesen sei. | |
Auch die politische Bedeutung der kleinen Kraftwerke betonte das Gericht: | |
Das Solarmodul führe nicht nur zur Einsparung von Kosten der Mieter*innen, | |
sondern auch zu Einsparung von Energie. „Im Zuge der politisch angestrebten | |
Energiewende bringt die Solaranlage auch unter dem Aspekt des | |
Umweltschutzes, welcher als Staatsziel in Artikel 20a Grundgesetz verankert | |
ist, objektiv Vorteile“, so das Gericht. | |
3 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Tipps-zum-Energiesparen/!5873491 | |
[2] https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/energie/erneuerbare-energien/stec… | |
[3] https://www.solisolar-hamburg.de/newsletter-1-argumente-fuer-die-eigentueme… | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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