# taz.de -- RBB in der Krise: Und alle gucken weg | |
> Die Affäre Schlesinger demonstriert, wie die beitragsfinanzierte | |
> Mitnahmementalität funktioniert. Je höher der Status, desto größer das | |
> Ego. | |
Bild: Patricia Schlesinger wollte den RBB rocken, das ist ihr gelungen | |
Die ARD-Intendanten entziehen ihr das Vertrauen, der RBB-Verwaltungsrat | |
entlässt sie fristlos – Patricia Schlesinger, zuletzt Intendantin des | |
Rundfunks Berlin-Brandenburg, hat keine FreundInnen mehr. So schnell kann | |
man gar nicht gucken, wie sich da nun alle von ihr abwenden – und nichts | |
gewusst haben wollen. Aber es muss doch jemand gesehen haben! Wozu ist denn | |
so ein Büro wie das von Schlesinger gut, wenn nicht, um gesehen zu werden? | |
Es soll „Repräsentationszwecken“ dienen, Gäste in Empfang nehmen, | |
entsprechend der grandiosen Bedeutung des Rundfunks und seiner Intendantin. | |
Zumal diese seit Januar auch noch Vorsitzende der noch bedeutenderen ARD | |
war – es muss also so großartig wie möglich sein. Da muss doch jemand | |
mitbekommen haben, wie sehr die Intendantin über ihre und unser aller, der | |
BeitragszahlerInnen, Verhältnisse lebte. | |
Mit gutem Grund sind wir BürgerInnen, die monatlich 18,36 Euro fürs | |
öffentlich-rechtliche Radio, Fernsehen, Internet bezahlen müssen, wütend. | |
Die grandiose Überschätzung des eigenen Verdienstes auf unsere Kosten ist | |
eine grandiose Unverschämtheit. Erst die Honorare für die freien | |
MitarbeiterInnen kürzen und sich dann selbst 16 Prozent Gehaltserhöhung | |
gönnen. | |
Die Aufregung darüber ist daher keine Neiddebatte, sondern eine um die | |
fahrlässige Gefährdung demokratisch notwendiger Institutionen durch das | |
eigene Personal. Schlesinger betrieb gewissermaßen Sabotage an der | |
Glaubwürdigkeit der Demokratie. Eine bessere Angriffsfläche hätte der | |
öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen GegnerInnen von weit rechts gar nicht | |
bieten können. | |
## 303.000 Euro Jahresgehalt | |
Und jetzt recherchiert der eigene Sender gegen sie – wir | |
BeitragszahlerInnen bezahlen, dass endlich ans Licht kommt, was doch für | |
viele offensichtlich sein musste! In ihrer ersten „[1][Panorama“-Sendung im | |
Jahr 1997] hatte Schlesinger noch die Verschwendung von „unserem | |
Steuergeld“ beklagt – es ging um Opferrenten für Naziverbrecher in Höhe v… | |
monatlich mehreren Tausend Euro. | |
Sie selbst bezog mit 303.000 Euro ein deutlich höheres Jahresgehalt als | |
jedeR deutsche MinisterpräsidentIn – warum? Und ob sie tatsächlich kein | |
„Ruhegeld erhalten wird, wie vom RBB-Verwaltungsrat gewünscht, werden wohl | |
erst Gerichte klären müssen, denn Schlesinger sieht sich als „Sündenbock“ | |
missbraucht, ihre Kündigung sei „durch die Faktenlage keineswegs gedeckt“. | |
Na wunderbar. | |
Dem eigenen Ehemann besorgte sie, mutmaßlich in Vetternwirtschaft – die | |
Staatsanwaltschaft hat erst nach einigem Zögern die Ermittlungen | |
aufgenommen – einen honorierten Beraterjob, sie selbst ließ sich mal eben | |
20.000 Euro Bonus auszahlen – wofür? Und warum meinte diese oberste | |
Angestellte – und mit ihr offenbar ihr gesamtes ge- und verblendetes Umfeld | |
–, sie habe einen Dienstwagen für 145.000 Euro „verdient“, samt | |
Massagesitzen und der Möglichkeit, ihn auch privat zu nutzen, zwei | |
Chauffeure inklusive? | |
## Dienstwagen mit Massagesitz | |
Warum nur ging sie davon aus, dass der schicke neue Fußboden in ihrem Büro, | |
Sofas vom Feinsten, Pflanzen mit automatischer Berieselung und so weiter | |
und so fort – insgesamt kostete der Umbau der Indendantinnenetage rund 1,4 | |
Millionen Euro – von Beiträgen zu entrichten seien? Noch dazu an den | |
vorgeschriebenen internen Prüfinstanzen vorbei? [2][Größenwahn? Oder welche | |
Mentalität] steckt dahinter? | |
Je höher der Status, desto größer das Ego, desto mehr Gestaltungsspielraum, | |
desto ungehemmter das Wirtschaften in die eigene Tasche. Die mit den | |
dicksten Gehaltsansprüchen machen dann gern auf volkswirtschaftlich | |
unentbehrlicheN „LeistungsträgerIn“. Aber auch unterhalb der oberen | |
Zehntausend treibt nicht wenige der Anspruch durchs Leben, die Welt sei | |
ihnen etwas schuldig. Mal eben den To-go-Müll auf die Straße werfen? „Macht | |
jemand anders weg!“ Energiesparen im Büro? „Wieso? | |
Zahlt doch die Firma!“ Die [3][Schultoiletten sind verdreckt]? | |
Ungeheuerlich! Schon, aber warum sind sie es denn? Weil offenbar zu viele | |
SchülerInnen, Lehrkräfte und Eltern davon ausgehen, sie seien nicht dafür | |
zuständig, Devise: „Gehört mir nicht, machen andere sauber.“ Kaum jemand | |
sieht sich in der Verantwortung fürs allgemeine, und jeder exzessiv fürs | |
eigene Wohl. | |
Die Marktwirtschaft hat das großartig gerichtet, so wie sie angeblich alles | |
zum Guten wendet. Nach dem pseudoliberalen Motto: „Geht es mir gut, geht es | |
allen gut“. Da wird Egoismus zum moralisch vertretbaren, weil | |
gemeinnützigen Akt. Nehmen und Fordern, statt selbst mit anpacken – und | |
andere bezahlen lassen. Und noch wichtiger: Man kann sich wahnsinnig | |
bedeutend dabei fühlen und sich entsprechend wichtig machen, in Gestus, | |
Kleidung, Büroausstattung, Luxusessen. | |
## Heillose Selbstüberschätzung | |
Dumm nur, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Einnahmen nicht auf | |
dem freien Markt erwirtschaftet, sondern [4][beitragsfinanziert]. Er ist | |
der Allgemeinheit verpflichtet. Die kapitalistische Mitnahmementalität | |
funktioniert in einer Institution mit öffentlich-moralischem Anspruch nicht | |
ganz so gut. Aber offenbar versagten alle Kontrollmechanismen. Ich war | |
immer ein Fan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und habe ihn bei jeder | |
Gelegenheit verteidigt. | |
Er leistet oft gute, demokratiewichtige Arbeit. Die Qualität vieler | |
Beiträge ist hoch. Ich habe meine Beiträge stets gern gezahlt. Doch meine | |
Überzeugung gerät nun ins Wanken. Anders als die ein oder andere | |
verunglückte Sendung und mitunter arg regierungsnahe Berichterstattung | |
lässt sich das nicht so einfach schlucken: dass wir alle für den | |
weltfremden Luxus und die heillose Selbstüberschätzung derer „da oben“ | |
unsere Beiträge gezahlt haben. | |
[5][Schlesinger wollte „den RBB rocken“]. Nun, das ist ihr gelungen. Den | |
Volkszorn darüber sollte man nicht den GegnerInnen der Demokratie | |
überlassen. Denn es gibt einen Trost: Eigentlich ist es beim | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie mit den Schultoiletten: Es handelt sich | |
um Volkseigentum. Das ist unsere Firma. Sie gehört allen. Wir sind alle | |
verantwortlich. Und sie ist uns allen Rechenschaft schuldig. | |
25 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=6hznQWJYAUg | |
[2] /Skandal-beim-RBB/!5871890 | |
[3] /Verschmutzte-Schulen-in-Berlin/!5051469 | |
[4] /Rundfunkgebuehren/!t5011210 | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=D76GfetIOc8 | |
## AUTOREN | |
Katharina Körting | |
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