| # taz.de -- Schweigen über Suizid: Schluss mit dem Tabu | |
| > Nach einem Jahr endet die Kolumne unserer Autorin über psychische | |
| > Gesundheit. Zum Abschied spricht sie über ein Thema, das noch zu kurz | |
| > kam: Suizid. | |
| Bild: Dunkle Wolken: Wer suizidal ist, entscheidet sich jeden Tag neu für das … | |
| Etwas ungewöhnlich, aber diese – meine letzte – Kolumne möchte ich mit | |
| einer Triggerwarnung beginnen, denn es geht hier um Suizid. | |
| Üblich wäre es, so eine Kolumne mit einer Selbstreflexion zu beenden: Was | |
| hat sich während des Jahrs, in dem ich mich mit ihrem Thema beschäftigte, | |
| getan? Habe ich etwas gelernt? Ich wollte vor allem einen Schritt | |
| dahingehend tun, über ein tabuisiertes Thema offener sprechen zu können. | |
| Es wäre deshalb nicht konsequent, [1][Suizid hier auszusparen], obwohl das | |
| in der medialen Repräsentation oft passiert. Die Angst vor Nachahmung | |
| (Werther-Effekt) ist so groß, dass lieber geschwiegen wird, als wirklich | |
| Aufklärungsarbeit zu betreiben. Dabei kann Journalismus, wenn er nicht | |
| voyeuristisch, nicht überdramatisierend, nicht auf bloßes Clickbaiting aus | |
| ist, [2][sogar präventiv wirken (Papageno-Effekt)]. | |
| Anders als oft suggeriert, sind suizidale Menschen nicht schwach, das | |
| Gegenteil ist der Fall. Wer suizidal ist, entscheidet sich jeden Tag neu | |
| für das Leben, und das kostet Kraft. Diese immer wieder aufzubringen | |
| erfordert Stärke. Bei manchen ist sie irgendwann erschöpft. Mit der Angst | |
| davor leben suizidale Menschen genauso wie diejenigen in ihrem Umfeld. | |
| ## Gefühl der Isolation | |
| „Der Gedanke, sich in einen Fluss zu stürzen oder vor einen Zug zu werfen, | |
| währte nur zwei Sekunden, ein Zittern, ein Zucken, ein Blinzeln und einen | |
| Schritt nach vorne, aber bis jetzt immer auch einen Schritt zurück“, heißt | |
| es in Deborah Levys Roman „Heim schwimmen“. Die meisten Menschen denken | |
| nicht so, aber manche tun es. Und sie fühlen sich absonderlich und | |
| isoliert, wenn sie nicht darüber sprechen können, ohne dass ihnen | |
| vorgeworfen wird, sie heischten bloß Aufmerksamkeit. | |
| Niemand will sich so fühlen. Darüber sprechen, das tun ohnehin die | |
| wenigsten. Wer es tut, gilt schnell als dramatisch. Um sich diese „Blöße“ | |
| nicht zu geben, dem Vorurteil, schwach zu sein, nicht anheimzufallen, | |
| schweigen die meisten. Suizidgedanken verschwinden aber nicht einfach. Sie | |
| bauschen sich auf wie Wolken kurz vor einem Unwetter. | |
| „Suizid ist einfach für alle beschissen“, beschreibt es Susann Brückner. | |
| Die Autorin hat zwei Suizide in ihrem nahen Umfeld erleben müssen. Sie | |
| weiß, auch Zugehörige kann das Tabu, darüber zu sprechen, isolieren. Reden | |
| aber baut eine Distanz auf – das, was in einem aufkeimt, hat so die | |
| Möglichkeit, seinen Weg in die Welt zu finden, statt zu wuchern. Wer nicht | |
| spricht, dem kann nicht geholfen werden. Dabei kann man leben lernen.Das | |
| Schweigen rund um das Thema ist immer noch laut. Wir, die wir betroffen | |
| sind oder waren, müssen lauter sein. | |
| Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 | |
| 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseel sorge.de besuchen. Dort | |
| gibt es auch die Möglichkeit, mit Seelsorgenden zu chatten. | |
| 24 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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