| # taz.de -- Frankreichs Bildungsminister Ndiaye: Ein woker Schulstart | |
| > Der Historiker Pap Ndiaye ist Frankreichs erster Schwarzer | |
| > Bildungsminister. Mit ihm hat Präsident Macron ein Signal gesetzt – die | |
| > Rechte schäumt. | |
| Bild: Ministerbesuch: Pap Ndiaye im Juni in einer Pariser Abiturklasse | |
| Paris taz | Eine Überraschung war es schon, als Emmanuel Macron Mitte Mai | |
| den Namen seines neuen französischen Bildungsministers bekannt gab: Pap | |
| Ndiaye, für den Großteil der französischen Gesellschaft ein Unbekannter. | |
| Der 56-Jährige ist parteilos und hat sich also nicht medienwirksam durch | |
| diverse Mandate nach oben gekämpft. Auch [1][als Historiker ist Ndiaye den | |
| wenigsten bekannt]. | |
| Vor seiner Ernennung leitete Ndiaye das Museum für die Geschichte der | |
| Immigration im Palais de la Porte Dorée. Dieser Ort der Begegnung der | |
| Zivilisationen am Pariser Stadtrand war 1931 für die letzte | |
| Kolonialausstellung gebaut und dann auf Wunsch des früheren Präsidenten | |
| Jacques Chirac in einer Geste der antikolonialistischen Wiedergutmachung | |
| seiner neuen Bestimmung übergeben worden. Dass Ndiaye vom „Palast der | |
| Goldenen Pforte“ nun an die Spitze des riesigen und grauen Ministeriums an | |
| der Rue de Grenelle wechselt, ist [2][eine klare Botschaft des | |
| wiedergewählten Präsidenten Macron.] | |
| Denn Ndiaye prangert öffentlich den strukturellen Rassismus und die | |
| Benachteiligung von Minderheiten im Land an: Er träume davon, so Ndiaye, | |
| dass eines Tages die Hautfarbe nicht mehr zählt als die Augenfarbe, „aber | |
| heute ist dies nicht so“. Auch nicht an den Hochschulen: „Wenn wir wollen, | |
| dass die Forschung in Frankreich internationaler wird, müssen wir auch das | |
| berücksichtigen.“ | |
| ## Pap Ndiaye war Musterschüler | |
| Ndiayes Vorgänger Michel Blanquer hingegen hatte der „Woke“-Kultur im | |
| Bildungswesen den Kampf angesagt und hinter antirassistischen und | |
| antikolonialistischen Forschungsarbeiten das Werk von „Islamo-Gauchistes“, | |
| also Islam-Linksradikalen vermutet. Vielleicht hat Blanquer auch seinen | |
| Nachfolger zur Gruppe dieser „Wokistes“ gezählt, denn nach einem | |
| Stipendienaufenthalt in den USA hatte dieser sich als Historiker als einer | |
| der Ersten in Frankreich mit den afroamerikanischen Black Studies | |
| beschäftigt und sich auch für die Politik der „positiven Diskriminierung“ | |
| zur Bekämpfung ungleicher Chancen von Kindern aus ethnischen Minderheiten | |
| ausgesprochen. Auch verurteilte er öffentlich Fälle von Polizeigewalt gegen | |
| Jugendliche in den Vorstädten. | |
| Das allein reichte der extremen Rechten, um sich schockiert über die | |
| Nominierung eines ersten Schwarzen Bildungsministers zu äußern. Ndiaye | |
| sollte mit einer Flut übler Verleumdungen noch vor seinem Amtsantritt | |
| diskreditiert werden. Wollte Macron vielleicht mit der Beförderung eines | |
| Vertreters der „sichtbaren Minoritäten“, wie man in Frankreich ethnische | |
| Minderheiten politisch korrekt nennt, diesen notorischen Rassisten eine | |
| Falle stellen? | |
| Eine Abgeordnete des rechtsextremen Rassemblement National, Hélène | |
| Laporte, malte den Teufel an die Wand: „Die Woke-Ideologie und die | |
| Beleidigung der Polizei wird nun in den Schulen unterrichtet!“, behauptete | |
| sie. Die Ex-Präsidentschaftskandidatin dieser Partei, Marine Le Pen, fühlte | |
| sich veranlasst, diese „fürchterliche Wahl“ des Ministers zu verurteilen. | |
| Und ihr rechtsextremer Rivale Eric Zemmour wollte sie, wie immer, noch | |
| überbieten. Er bezeichnet Ndiaye als Ideologen des „Indigenismus, als einen | |
| von Rassentheorien besessenen Wokisten“. | |
| Keiner der drei hat wohl Ndiayes Buch „La condition noire“ (Der Schwarze | |
| Zustand) oder andere seiner Werke aufgeschlagen. Sie hätten womöglich | |
| zugeben müssen, dass seine Ansichten viel nuancierter sind als die | |
| angebliche Ideologie, die ihm unterstellt wird. Dass im Frankreich des 21. | |
| Jahrhunderts die Hautfarbe eines Ministers noch immer ein Thema ist, ist | |
| konsternierend für die Republik der Gleichheit, Freiheit und | |
| Brüderlichkeit. Ndiaye verteidigt in seinen Schriften den ursprünglichen | |
| emanzipatorischen Charakter der Republik. | |
| Pap Ndiaye verdankt selber seine Karriere der Meritokratie des | |
| französischen Bildungssystems, das den Musterschüler*innen trotz | |
| ihrer Herkunft einen sozialen Aufstieg ermöglicht. Als Sohn eines | |
| Senegalesen und einer alleinerziehenden französischen Lehrerin wuchs er | |
| zusammen mit seiner Schwester, der mit dem Literaturpreis Prix Goncourt | |
| ausgezeichneten Schriftstellerin Marie Ndiaye, im Pariser Vorort | |
| Bourg-la-Reine auf. Dank seiner ausgezeichneten Noten durfte er die besten | |
| Schulen besuchen, in den USA studieren und die Pariser Eliteschule Science | |
| Po absolvieren. Auch in dieser Hinsicht ist er ein Symbol, auch wenn man in | |
| der linken Opposition den Verdacht hegt, dass er vielleicht für Macron eine | |
| Alibifunktion haben könnte – was bisher ebenso wenig belegt werden kann wie | |
| die polemischen Unterstellungen von rechts. | |
| ## Reformversuche stoßen stets auf Widerstand | |
| Der neue Minister hat die Karten seiner Schulreformen noch nicht | |
| aufgedeckt. Wird er, wie so oft die neu Ernannten, in diesem Ministerium | |
| alles umkrempeln, was die Vorgänger eingefädelt und manchmal noch kaum in | |
| die Wege geleitet hatten? | |
| Das Ministerium mit seinen 900.000 Lehrerinnen und Lehrern, die sich | |
| regelmäßig über ihre Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung beschweren, | |
| bewegt und ändert sich nur im Zeitlupentempo. Nicht von ungefähr wird in | |
| Frankreich die éducation nationale, das öffentliche Schulsystem, „Mammut“ | |
| genannt. | |
| Vorsintflutlich ist dieses zwar nicht, doch alle Reformversuche stoßen | |
| stets auf den Widerstand von vielen Seiten, der jede Modernisierung | |
| erschwert. In den Pisa-Studien gerät Frankreich im Vergleich zusehends in | |
| Rückstand. | |
| Wegen der heftigen Vorauskritik zu seiner Nominierung wird für Ndiaye der | |
| Schulbeginn kommende Woche noch mehr als für seine Vorgänger zu einem Test. | |
| Bisher weiß man noch praktisch nichts über seine Pläne. Wird er von | |
| Blanquers Viertagewoche abrücken, die Lehrpläne weitgehend ändern, die von | |
| den Gewerkschaften geforderte und [3][von Präsident Macron] in Aussicht | |
| gestellten Gehaltserhöhungen durchsetzen? | |
| Die Lehrerverbände geben sich noch zurückhaltend: „Emmanuel Macron wollte | |
| mit Ndiayes Nominierung sicher dem Bildungswesen eine Botschaft senden: | |
| ein Symbol für einen Wechsel, der eher in die gute Richtung geht. Aber man | |
| leitet die Erziehungspolitik nicht allein mit Symbolen, wir werden darum | |
| den neuen Minister nach seinen Taten beurteilen“, kündigt Sophie Vénétitay | |
| vom großen Verband der Mittelschullehrer*innen SNES-FSU an. | |
| Am Freitag wird das Bild des neuen Ministers vielleicht etwas schärfer, | |
| dann gibt Ndiaye eine Pressekonferenz zum Schulstart. Als sicher gilt | |
| bislang nur, dass er die Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit in | |
| den benachteiligten Quartieren und Zonen fortsetzen oder noch verstärken | |
| dürfte. Falls dies nicht der Fall sein sollte, würde wohl doch schnell der | |
| Eindruck entstehen, dass seine Ernennung zum Bildungsminister nicht viel | |
| mehr ist als ein Alibi. | |
| 24 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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