# taz.de -- Umbenennung in Berlin-Kreuzberg: Ein Platz für Rio Reiser | |
> Kreuzberg setzt seinem bekanntesten Sänger, Hausbesetzer und Jugendhelden | |
> am Sonntag ein Denkmal. Warum das eine feine Sache ist. | |
Bild: Wann, wenn nicht jetzt, wo, wenn nicht hier: Rio Reiser (2. v. l.), Ton S… | |
BERLIN taz | Wenn man sucht, findet man bekanntlich immer ein Haar in der | |
Suppe – bei der Umbenennung eines kleinen Platzes in Kreuzberg ist es nicht | |
anders. | |
Es stimmt, Rio Reiser war keine Frau – und die | |
Bezirkspolitiker*innen in Friedrichshain-Kreuzberg hatten eigentlich | |
2005 beschlossen, Straßen und Plätze nur noch nach Frauen zu benennen, bis | |
Parität hergestellt ist. Es stimmt, man sollte zurückhaltend sein mit | |
Straßenbenennungen nach Menschen – die Gefahr ist groß, dass nach ein paar | |
Generationen niemand mehr weiß (oder gutheißt), warum ausgerechnet dieser | |
Person die Ehre erwiesen wurde. | |
Und es stimmt irgendwie auch, dass gerade diese Benennung eine seltsame | |
Vereinnahmung ist – wenn die deutsche Ikone der Jugendrebellion einen | |
[1][offiziellen Platz im Stadtbild] bekommt – und damit die Weihen des | |
aktuellen Establishments. Und trotzdem: Es gibt viele gute Gründe für einen | |
Rio-Reiser-Platz in Kreuzberg. | |
Was die Geschlechterfrage angeht: Rio war zwar keine Frau, aber er war ein | |
Mann, wie es sie in den 1970er-, 1980er-Jahren im öffentlichen Raum nicht | |
viele gab – zart, poetisch, mit stark androgynen Zügen, dazu offen schwul. | |
Damit hat er auf jeden Fall dazu beigetragen, althergebrachte, starre | |
Genderrollen aufzubrechen. Bis heute danken es ihm entsprechend viele | |
queere und nicht queere Frauen. | |
## „Wir haben einen Feind“ | |
Auf einer Hommage an Rios Band Ton Steine Scherben, die vor ein paar Jahren | |
raus kam, singt etwa Judith Holofernes mit Wir Sind Helden Rios | |
herzzerreißenden Song „Halt dich an deiner Liebe fest“ und Julia Wilton mit | |
Bierbeben interpretiert „Mein Name ist Mensch“. „Meine Väter sind schwarz | |
und meine Mütter sind gelb, meine Brüder sind rot und meine Schwestern sind | |
hell“, singt Rio in diesem Lied. „Ich bin über zehntausend Jahre alt, und | |
mein Name ist Mensch.“ Rio Reiser wegen seines „Mannseins“ einen Platznam… | |
zu verwehren, wäre da nachgerade unangemessen. | |
Zur Frage der Vereinnahmung einer Revolte (Revolution wäre zu viel gesagt) | |
durch den Mainstream, gegen den sie gerichtet war: Hat es nicht immer schon | |
Revolutionäre gegeben, denen in späterer Zeit Denkmäler gebaut wurden? Und | |
ist es nicht in einer Stadt, die einmal als der freiste Ort der Republik | |
galt und in der nun alles teurer und damit enger wird, vernünftig, sich zu | |
besinnen? | |
Der Text des Songs „Mein Name ist Mensch“ geht ja noch weiter. „Wir haben | |
einen Feind, er nimmt uns den Tag. Er lebt von unserer Arbeit, und er lebt | |
von unserer Kraft“, singt Rio Reiser. Klingt ein bisschen pathetisch, na | |
klar. Aber dafür, dass der Song über 50 Jahre alt ist, kommt er auch noch | |
immer ganz schön gegenwärtig daher. | |
Zum Schluss noch ein Wort zum Zeitgeist, der schnell vorbeigeht: Der gute | |
„Heinrich“, nach dem der Platz bislang benannt ist, hat nun wirklich | |
ausgedient. Wer mag sich noch erinnern an Heinrich von Preußen (1781–1846), | |
Sohn des Königs Friedrich Wilhelm II. von Preußen, hochrangiger Militär | |
während der Anti-Napoleonischen Kriege? Es war eine Zeit lang Mode in | |
Berlin, Straßen nach Generälen der Befreiungskriege zu benennen – mit | |
Blücher, Bülow, Gneisenau seien nur drei in Kreuzberg erwähnt. Heute ist | |
definitiv Zeit für neue Helden. Und wenn Reiser in 100 Jahren niemandem | |
mehr was sagt: Bitte sehr, findet selber was Neues! | |
19 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
Susanne Memarnia | |
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