| # taz.de -- Jobcenter-Personalrat über Bürgergeld: „Ein kleiner Paradigmenw… | |
| > Ab 2023 soll das Bürgergeld eingeführt werden. Moritz Duncker aus dem | |
| > Personalrat der Jobcenter erklärt, was das für die Arbeitsvermittlung | |
| > bedeutet. | |
| Bild: Ob das neue Bürgergeld zu weniger Bürokratie führt, darf angezweifelt … | |
| taz: Herr Duncker, was zeichnet sich ab: Wie wird sich die Arbeit in den | |
| Jobcentern mit der [1][Einführung des Bürgergelds] verändern? | |
| Moritz Duncker: Wir als Personalräte der Jobcenter wünschen uns immer | |
| Entbürokratisierung. Diese wird im Bereich der Leistungsgewährung etwas | |
| verbessert. Hier werden die passiven Leistungen, also die Geldleistungen, | |
| geprüft und ausgezahlt. Im Bürgergeld, wie es im Koalitionsvertrag | |
| beschrieben wurde, sind einige Ansätze zur Erleichterung vorhanden. | |
| Was für Ansätze? | |
| Einer davon ist die zweijährige Wartezeit bei der Prüfung der Kosten von | |
| Unterkunft und Heizung. Eine andere, die uns sehr freut, ist die sogenannte | |
| Bagatellgrenze. Denn die Mindesthöhe der Kleinstbeträge, die | |
| zurückgefordert werden, soll von rund zehn Euro auf 50 Euro steigen. Wir | |
| hätten uns mehr gewünscht, aber das sind kleine Schritte in die richtige | |
| Richtung. Was man schon kritisch sehen könnte, ist die zweijährige | |
| Schonzeit der Vermögensprüfung: Das erleichtert uns in den Jobcentern zwar | |
| die Arbeit, es erscheint mir jedoch sozialpolitisch etwas heikel, wenn zwei | |
| Jahre ohne jegliche Vermögensprüfung Geld ausgezahlt wird. Grundsätzlich | |
| sehen wir im Bereich der Leistungsgewährung einige kleine Verbesserungen | |
| für die Verwaltung, aber diese bringen nicht die ultimative Vereinfachung. | |
| In Ihrem zweiten Organisationsbereich, Markt und Integration, findet die | |
| eigentliche Eingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt statt. Was | |
| verändert sich da mit dem Bürgergeld? | |
| Dort findet tatsächlich [2][ein kleiner Paradigmenwechsel] statt. Vor allem | |
| soll der Vermittlungsvorrang abgeschafft werden. Bis jetzt ging es für uns | |
| immer darum, Leute so schnell wie möglich egal auf welche Weise in eine | |
| Arbeit zu vermitteln. So ist unsere Zielvorgabe angelegt. Es geht mehr um | |
| Effizienz als um Effektivität. Mit dem Bürgergeld sollen nun | |
| Weiterbildungsmaßnahmen eher berücksichtigt werden. Das ist ein richtiger | |
| Schritt in Richtung nachhaltige Arbeitsvermittlung. Hier können die | |
| Kolleg:innen in den Jobcentern besser auf die Neigungen, Fähigkeiten und | |
| Kompetenzen der Leistungsberechtigten eingehen. Für uns | |
| Jobcenter-Personalräte war das schon immer ein Anliegen: ein Anreizsystem | |
| für [3][Arbeitslose] zu schaffen. In dem Zusammenhang hilft es natürlich | |
| auch, dass dies für die Leistungsberechtigten durch den Weiterbildungsbonus | |
| auch finanziell belohnt werden soll. | |
| Wie wird sich die Arbeit in den Jobcentern dadurch verändern? | |
| Die Arbeit wird eher qualitativ sein. Das kann dazu führen, dass wir einige | |
| Leistungsberechtigte sehr viel seltener sehen werden. Andere werden jedoch | |
| eine intensivere Beratung benötigen und öfter zu uns kommen. Insgesamt wird | |
| mehr in die Qualifizierung gesteckt. In dem Zusammenhang ist auch die freie | |
| Förderung zu nennen: Hier werden Förderungsmaßnahmen individuell, lokal und | |
| regional auf die Leistungsberechtigten zugeschnitten. Diese sollen laut | |
| Koalitionsvertrag aufgewertet werden. Die Arbeits- und | |
| Weiterbildungsvermittlung wird also eine Arbeit auf Augenhöhe mit den | |
| Leistungsberechtigten. Das führt auch dazu, dass es künftig weniger | |
| konfliktträchtige Termine geben wird. | |
| Das heißt, das Bürgergeld funktioniert tatsächlich auf Augenhöhe? | |
| Es wird zwangsläufig nicht anders gehen. Im Arbeitslosengeld II haben wir | |
| momentan teilweise einen sehr repressiven Charakter. Hier ist das erste | |
| Ziel der Maßnahmen, die Hilfebedürftigkeit zu verringern und zu vermeiden, | |
| koste es, was es wolle. Und genau an diesem Ansatz kratzt das Bürgergeld. | |
| Es geht nach wie vor darum, die Leute in den Arbeitsmarkt zu integrieren, | |
| aber nicht mehr um jeden Preis. Es geht darum, mehr auf die Qualifikationen | |
| und Interessen einzugehen und darauf, was sich die Leistungsberechtigten | |
| selbst wünschen. Ein anderes Thema ist da das Sanktionsmoratorium … | |
| Bis Juni 2023 gibt es nur noch zehn Prozent Fördersatzkürzungen bei | |
| Meldeversäumnissen. Wie wird das denn in den Jobcentern wahrgenommen? | |
| Da gehen die Meinungen genauso auseinander wie im Rest der Gesellschaft | |
| auch. Einige sagen, ohne Sanktionen können wir keinen vernünftigen | |
| Vermittlungsprozess mehr durchführen, und andere denken, die Sanktionen | |
| waren schon immer überflüssig. Sanktionen sind und waren aber bisher | |
| gesetzlich festgelegt. Da mussten sie verhängt werden. | |
| Durch die sechsmonatige „Vertrauenszeit“ zu Beginn des Leistungsempfangs | |
| sollen insgesamt weniger Sanktionen verhängt werden. Wird die Arbeit in den | |
| Jobcentern dadurch leichter? | |
| Natürlich herrscht im Verhältnis zwischen Leistungsberechtigten und | |
| Mitarbeitenden weniger Konfliktpotenzial, wenn es weniger Sanktionen gibt. | |
| Sanktionen zu verhängen, ist für beide Seiten keine angenehme Situation. | |
| Egal, ob sich die Seite der Mitarbeitenden mehr Nutzen davon verspricht | |
| oder nicht. | |
| Wie ist die Stimmung in den Jobcentern mit Blick auf mehr Arbeits- und | |
| Bildungsangebote? | |
| Die Kolleg:innen sind froh, wenn sie weitere Ausbildungs-, | |
| Weiterbildungs- und Fördermöglichkeiten haben als bisher. Auch die | |
| Ausbildungszeit für Leistungsberechtigte wird von zwei Jahren auf drei | |
| erhöht, was für eine sinnvollere Maßnahme spricht. Wir hoffen aber, dass | |
| diese Möglichkeiten auch entsprechend ausfinanziert und im Haushalt bedacht | |
| werden. Die Maßnahmen sollen nicht nur auf dem Papier existieren, sondern | |
| auch umgesetzt werden können – und zwar für einen großen Personenkreis. | |
| Dabei muss das Ziel für die Jobcenter angepasst werden. Es darf auch dort | |
| nicht nur um effiziente Jobvermittlung gehen. Da muss sich der | |
| Bundesrechnungshof positionieren, der uns regelmäßig dafür rügt, dass | |
| unsere Maßnahmen nicht ausgelastet sind. Da muss sich der Anspruch an die | |
| Jobvermittlung schließlich ändern. | |
| 15 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anne-Frieda Müller | |
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