| # taz.de -- Pressekonferenz von Olaf Scholz: Kanzler beim Balanceakt | |
| > Olaf Scholz gibt sich nach dem Urlaub munter. Er verteidigt die | |
| > Steuerpläne von Finanzminister Lindner und inszeniert sich als Mann der | |
| > kleinen Leute. | |
| Bild: Scholz, gut gelaunt | |
| Berlin taz | Die Sommerpressekonferenz hat Scholz von Angela Merkel | |
| übernommen. Sie ist nicht das Einzige. Seine Art, kritische Fragen ins | |
| Leere laufen zu lassen, erinnert ebenfalls an seine Vorgängerin. Auch die | |
| Botschaft, die Scholz, lässig ohne Schlips, am Donnerstagvormittag | |
| verbreitet, kennt man von Merkel: Wir schaffen das. | |
| Die Krisen folgen Schlag auf Schlag: [1][Corona], [2][Krieg in der | |
| Ukraine], [3][Energiepreise], Inflation, Gasmangel im Winter. Doch laut | |
| dem Kanzler hat die Ampelregierung alles im Griff. Schon im Dezember habe | |
| er weitsichtig Pläne entwickelt, was zu tun sei, wenn das Gas knapp werde. | |
| Die Regierung sorge mit den Entlastungspaketen für die soziale Abfederung | |
| der Krisenlasten. | |
| Den Satz, die Ampelregierung lasse niemand allein, wiederholt Scholz ein | |
| halbes Dutzend Mal. Mit sozialen Protesten oder Unruhen wegen der | |
| Inflation, die Ärmere besonders hart trifft, rechnet der SPD-Mann daher | |
| nicht. Trotz aller Krisen werde der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht, das | |
| Bürgergeld werde Hartz IV ablösen, das ehrgeizige Wohnungsbauprogramm | |
| entschlossen umgesetzt, die Energiewende dito. | |
| Wenn ein anderer Eindruck entstanden sein sollte, dann, so die zarte | |
| Andeutung des Kanzlers, kann das nur an der komplett erschienenen | |
| Hauptstadtpresse liegen, die die segensreiche Politik der Ampel nicht in | |
| ganzer Pracht abbildet. Scholz erwähnt mehrfach die Erwerbsminderungsrente, | |
| die die Ampel kräftig erhöhen wird (Kosten: 2,6 Milliarden Euro jährlich). | |
| Davon sei in Leitmedien eher wenig zu sehen. Ebenso wenig wie von der | |
| „dramatischen Ausweitung des Wohngeldes“, die die Ampel beschlossen habe. | |
| Scholz inszeniert sich als Kanzler der kleinen Leute, der das Schicksal der | |
| Normal- und Geringverdiener, die mit 2.800 Euro brutto auskommen, stets im | |
| Blick hat. „Das wird meine Tätigkeit als sozialdemokratischer Kanzler | |
| bestimmen.“ | |
| Auch ein drittes Entlastungspaket werde kommen. Nur wann, das ist nicht zu | |
| erfahren. Aber, dass es wegen dieses dritten Pakets keinen | |
| Nachtragshaushalt geben und 2023 die Schuldenbremse wieder eingehalten | |
| werde. | |
| Scholz ist für seine Verhältnisse ziemlich locker. Auf die Frage, ob er | |
| selbstkritisch sei, antwortet er: „Das ist etwas, zu dem ich trotz | |
| gegenteiliger Gerüchte fähig bin.“ Das zeigt immerhin Talent zur | |
| Selbstironie. Der Spaß hört für Scholz allerdings bei der Cum-Ex-Affäre | |
| auf, die ihm seit drei Jahren wie ein Schatten folgt. Als er in Hamburg | |
| regierte, erließen die Finanzbehörden einer Bank fällige Rückzahlungen aus | |
| kriminellen Deals. | |
| Scholz beteuert mehrfach, dass er keinen politischen Einfluss auf diese | |
| Entscheidung ausgeübt habe. „Unglaublich viele Anhörungen, unglaublich | |
| viele Akten haben nur ein Ergebnis gebracht: Es gibt keine Erkenntnisse | |
| darüber, dass es eine politische Beeinflussung gegeben hat“, so Scholz. Es | |
| wäre erfreulich, wenn die Medien das mal zur Kenntnis nehmen würden, fügte | |
| der leichte genervte Kanzler hinzu. Zu dem Ex-SPD-Politiker Johannes Kahrs, | |
| in dessen Schließfach mehr als 200.000 Euro Bargeld gefunden wurden, habe | |
| er seit Ewigkeiten kein Kontakt mehr – und wüsste selbst gern, woher das | |
| Geld komme. | |
| ## Anleihen bei Merkel | |
| Der anwesend Abwesende bei dieser Kanzlershow ist FDP-Finanzminister | |
| Christian Lindner. Dessen Steuerpläne [4][nutzen Reichen wesentlich mehr | |
| als Ärmeren.] Wegen dieser sozialen Unausgewogenheit gibt es Kritik – nicht | |
| nur von der SPD-Linken, sondern auch von Mitte-Sozialdemokraten wie Achim | |
| Post. Scholz indes lobt den FDP-Mann, bemerkenswerterweise mit einem | |
| Vokabular, das an Merkel erinnert. Lindners Steuerpläne seien „sehr | |
| hilfreich“, das war Merkel Lieblingsadjektiv. | |
| Der Kanzler verteidigt auch Lindners Versuch, die kalte Progression | |
| auszugleichen – also den Effekt, dass man bei Gehaltserhöhungen in eine | |
| höhere Steuerklasse rutscht. Das habe „der Finanzminister Olaf Scholz“ auch | |
| zweimal getan. Deshalb könne es „keine falsche Idee“ sein. Im Übrigen | |
| müssen man das Gesamtpaket aller Entlastungen sehen, und da sei jede | |
| Gruppe bedacht. Noch Fragen? | |
| Der Zweck dieses demonstrativen Schulterschlusses des Kanzlers mit dem | |
| Finanzminister ist klar. Die FDP ist der in jeder Hinsicht schwächste Part | |
| in der Ampel. Von ihr kommen kaum brauchbare Ideen. Sie steht, als Partei, | |
| die in das rot-grüne Lager gewechselt ist, im Feuer der Union, die den | |
| Liberalen genüsslich Verrat an ihrer Sparpolitik verhält. | |
| Scholz’ Job ist es, die Regierung zusammenzuhalten – deshalb hört man von | |
| ihm kein kritisches Wort in Richtung FDP. Übergewinnsteuer und höhere | |
| Einkommensteuer, die im SPD-Wahlprogramm stand, wird es mit der Ampel nicht | |
| geben. Scholz macht nicht den Eindruck, dass ihn das besonders bekümmert. | |
| So ist bei dem mehr als eineinhalbstündigen Auftritt ein heikler Balanceakt | |
| zu besichtigen. Scholz tritt in doppelter Rolle auf – als von den Irrtümern | |
| des Neoliberalismus geheilter Sozialdemokrat, der in krisengrauen Zeiten | |
| über den kleinen Leute einen Schutzschirm aufspannen will, und als | |
| Schutzengel der FDP, der nichts auf Lindner kommen lassen will. Die Gefahr | |
| abzustürzen ist da. | |
| 11 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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