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# taz.de -- Doku über syrischen Bürgerkrieg: Hundenase im Fahrtwind
> Diana El Jeiroudi hat den Dokumentarfilm „Republic of Silence“ gedreht.
> Darin zeigt die Filmemacherin Syrien vor und während des Bürgerkriegs.
Bild: Szene aus „Republic of Silence“
Die Erinnerungen kommen im Moment der Ruhe. Schwarzbild. In
Texteinblendungen erinnert sich die syrische Filmemacherin, dass sie zu
ihrem siebten Geburtstag von ihrem Vater eine Kamera bekam. Wenig später
sehen wir die Frau, wie sie den Kopf in der Wohnung im Berliner Exil auf
die Lehne eines Stuhls legt, um dem geplagten Nacken einen Augenblick
Entspannung zu gönnen.
Erneut blitzen Erinnerungen auf, dieses Mal aktuellere. Ein Garten im Hof,
ein junger Mann, der in die Kamera lacht, ein hechelnder Hund. Bilder aus
Syrien. „Ich schwöre feierlich […], mich für die Ziele der arabischen
Nation einzusetzen.
Einheit, Freiheit und Sozialismus.“ 17. Juli 2000, Vereidigung Baschar
al-Assads zum syrischen Staatsoberhaupt. Der Juli 2000 ist der
Ausgangspunkt jenes Elends, von dem Diana El Jeiroudis Dokumentarfilm
„Republic of Silence“ handelt.
Die Szene der Vereidigung beendet den Prolog des Films. Es folgen vier
Kapitel, in die die 45-Jährige ihren Film gegliedert hat. Mehr als ein
Jahrzehnt lang hat sie an „Republic of Silence“ gearbeitet. Kapitel eins
beginnt in einer Zeit, die von heute aus weit zurückzuliegen scheint: vor
2011, vor dem Bürgerkrieg in Syrien.
## Studie über Erbkrankheiten
Der Humangenetiker Rami Abou Jamra, ein Schulfreund der Filmemacherin,
fliegt für eine Studie über Erbkrankheiten nach Syrien. Sucht Familien auf
dem Land auf, spricht mit ihnen über dieses Thema. Archivaufnahmen zeigen
Bombenangriffe aus dem Krieg zwischen dem Iran und dem Irak im Februar
1984, die dem Leben der Familie der Filmemacherin in Bagdad ein Ende
bereiteten.
Die Familie kehrt nach Syrien zurück. In das Land der endlosen Paraden von
Hafis al-Assad, Vater des heutigen Staatsoberhaupts. Rami Abou Jamra
überlegt, ein kleines Grundstück im Umland von Damaskus zu kaufen, ein paar
Bäume und ein Haus als Rückzugsort.
Mit dem zweiten Kapitel bricht der Bürgerkrieg über den Film herein und die
Handlung rückt näher an das Leben von El Jeiroudi und ihrem Partner, dem
Filmemacher und Aktivisten Orwa Nyrabia, heran. Die Familien, mit denen
Abou Jamra arbeitet, liegen mit einem Mal unerreichbar in Krisengebieten.
2012 wird Nyrabia am Flughafen von Damaskus festgenommen und ist zeitweilig
verschwunden. Kurz darauf ziehen El Jeiroudi und [1][Nyrabia] nach Berlin.
## Bekannte Filmproduktion
Einem internationalen Publikum waren die beiden bislang vor allem als
Produzent:Innen bekannt. 2002 gründeten die beiden Proaction Films,
eine unabhängige Filmproduktion. 2008 gründeten sie DOX BOX. Was in Syrien
als Dokumentarfilmfestival begann, wandelte sich ab 2014 in eine
Unterstützungs- und Ausbildungsstruktur für Dokumentarfilmer:innen
in Berlin.
Von Deutschland aus produzierten die beiden einige der wichtigsten
Dokumentarfilme über den syrischen Bürgerkrieg: [2][Talal Derkis „The
Return to Homs“ (2013)] über die Belagerung der syrischen Stadt und
„Silvered Water“ (2014) von Ossama Mohammed und Wiam Simav Bedirxan.
„Republic of Silence“ entfaltet im Wechsel zwischen Erinnerungen,
Archivmaterial, Szenen aus Syrien und aus Berlin das Leben im Syrien Assads
vor und während des Bürgerkriegs. Der Dokumentarfilm ist die Geschichte
eines Ankommens im Exil und dokumentiert zugleich die Solidaritätsarbeit
von El Jeiroudi und Nyrabia von Berlin aus.
Getragen wird das Werk von Intimität und Vertrautheit, mit denen die
Filmemacherin ihre Weggefährt:innen zeigt. Ihre eigenen Erinnerungen
reihen sich einerseits in diese Annäherungen ein, gliedern vor allem
anfangs aber auch den Film. Die Texteinblendungen, deren Schrift man sich
immer etwas größer gewünscht hätte, stammen aus Tagebüchern der
Regisseurin.
Zu Beginn des Films sehen wir eine Fahrt auf einer Autobahn. Durch die
Windschutzscheibe nimmt die Kamera drehende Windräder auf, der auf der
Rückbank sitzende Hund der Filmemacherin hält die Nase aus dem Fenster und
genießt den Fahrtwind.
Der Hund, mehr aber noch die Windräder sind wiederkehrende Elemente des
Films. Die Windräder bilden den Gegenpol zu den Uhren, die an verschiedenen
Stellen eingeblendet werden. Die Uhren durchmessen mechanisch
unerschütterlich die endlose Zeit bis zu einem erwarteten Ereignis. Die
Windräder hingegen stehen in Gruppen beisammen und drehen sich gemächlich
im Wind, scheinbar sich selbst genug.
El Jeiroudis Hund hingegen ist nicht so unerschütterlich. Ganz am Ende
flieht er vor dem Geböller einer Berliner Silvesternacht in den Flur der
Wohnung. Erst nach einigem Zureden traut sich der Hund zurück ins Zimmer,
eilt in seine Box und äugt skeptisch. Uhr, Windrad, Hund. Anspannung,
Kontemplation, Betrachtung. „Republic of Silence“ verfolgt die Implosion
des Lebens in Syrien durch den Bürgerkrieg zurück in die Zeit vor dessen
Ausbruch und zeichnet die schmerzhafte Verstetigung eines unfreiwilligen
Exils nach.
14 Aug 2022
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## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
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