# taz.de -- Die Grünen und die Dusch-Debatte: Arme und Arschlöcher | |
> Es war Habeck, der die grüne Illusionserzählung beendete, persönlicher | |
> Verzicht werde die Erderhitzung stoppen. Und nun fordert er, kürzer zu | |
> duschen? | |
Bild: Sorgt vor allem für Ablenkungsdebatten: der Aufruf, kürzer zu duschen | |
Ein emanzipatorischer Fortschritt der Grünen und der sie deshalb | |
[1][zunehmend wählenden neuen Mittelschicht] in den letzten Jahren war die | |
Überwindung des romantisch-illusionären Claudia-Roth-Zeugs („Das Private | |
ist politisch“) und der darin steckenden, gruseligen Vorstellung der | |
„besseren Menschen“. Diese Vorstellung findet ihre Erfüllung hauptsächlich | |
im Markieren vermeintlich schlechter Menschen. Das ist ein harter Job, der | |
von den ersten bundesdeutschen Wokies – also den 68ern – über die zweiten | |
Wokies – die frühen und mittleren Grünen – nun auf die dritte Generation | |
des erwachten Bewusstseins übergegangen ist. | |
Derweil konzentrieren sich die Grünen in den Ländern und seit letzten | |
Dezember auch im Bund darauf, Politik zu machen, was mal mehr, mal weniger | |
gelingt, aber jedenfalls auf das Gemeinsame zielt und mit politischen | |
Instrumenten an der Verbesserung von Strukturen arbeitet. Der | |
Hauptverantwortliche für den strategisch-kulturellen Wechsel ist der | |
heutige Vizekanzler Robert Habeck, der schon vor Jahren jedem erzählte, der | |
nicht rechtzeitig aus seiner Hörweite flüchtete, dass er abends noch | |
schnell Milch bei Aldi hole, wenn sie fehle. Bessere Politik, nicht bessere | |
Menschen, war der Slogan dieses Paradigmenwechsels. | |
Und darin eingewoben war auch das Ende der Illusionserzählung, persönlicher | |
Verzicht der Einsichtigen werde die globale Erderhitzung stoppen. Und nun | |
kommt ausgerechnet Habeck und [2][fordert die Leute als Wirtschafts- und | |
Klimaminister dazu auf, kürzer zu duschen] und also zu „verzichten“? Daraus | |
kann man schließen, wie weit der Minister in diesen Wochen weg ist von | |
seinen großstrategischen Theorien und wie sehr ihn die Sorge um reale | |
Gasknappheit und Energiesicherheit im Winter umtreibt. Mehr Effizienz ist | |
zentral für die Transformation, und prioritär geht es beim kürzeren | |
Duschen um Energiesparen und Geldsparen. Und dennoch: Richtig brillant ist | |
das nicht von Habeck. | |
Die Verzicht-„Debatte“ ist eine Falle, etwas, was [3][der | |
Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen] ein Metaframe nennt. Mit diesen | |
Metaframes wird seit Jahren sozialökologische Politik verhindert, indem | |
diese auf einer Metaebene als illegitime Erziehung und Freiheitsberaubung | |
geframt wird. Aber auch die Fixierung auf die Ökonomie bei weitgehender | |
Vernachlässigung der Ökologie ist ein konservatives Metaframe der deutschen | |
Politik, Gesellschaft und Medien, das nebeneinander in zwei Variationen | |
dominiert, einmal als „Wirtschaft“, einmal als „soziale Ungerechtigkeit�… | |
Auch damit werden Denk- und Sprechmuster vorgegeben und gesetzt. | |
## Zeitschleife der Mediengesellschaft | |
Wir hängen in einer Zeitschleife der Mediengesellschaft fest, womit | |
Zukunftspolitik aus zwei Richtungen delegitimiert wird. Das eine ist der | |
sogenannte [4][Kubicki-Effekt]. Leute werden angeblich vom Drang befallen, | |
nun aber besonders lang zu duschen, besonders spritintensiv rumzubrettern | |
oder einen Inlandsflug von Berlin nach Potsdam zu machen. Das sind entweder | |
kulturell Dauerpubertierende, die das als Protest gegen die spießige | |
Obrigkeit sehen wollen und als Freiheitskampf deklarieren. Oder | |
populistische Liberaldemokraten ohne Klimapolitik-Programm. | |
Das ist intellektuell nicht satisfaktionsfähig, wird aber von uns Medien | |
immer wieder hochgezogen, weil es Reichweite und Aufregung produziert. Auch | |
die zweite Delegitimierungsstrategie ist seit vielen Jahren eingeübt. | |
Während erstere liberalmoralisch daherkommt, ist zweitere linksmoralisch | |
grundiert und wird daher gern mit den Worten „zynisch“ und | |
„menschenverachtend“ serviert. | |
„Verzicht muss man sich leisten können“, das ist der zentrale Reflex dieser | |
Denkschule, die völlig zu Recht davon ausgeht, dass manche sehr viel haben | |
und andere zu wenig und dass das ein Kernproblem ist, das | |
liberaldemokratische Politik lindern muss. Das stimmt. Ein Haushalt, der | |
wenig hat, produziert kaum Emissionen, wird aber durch höhere | |
Energiepreise an den Abgrund gebracht. Also muss er unterstützt werden. Das | |
ist mit Blick auf den mutmaßlich schwierigen Winter eine zentrale | |
Politikaufgabe. | |
## „Alleinerziehende Supermarktkassiererin“ | |
Aber das Metaframe funktioniert so, dass klimapolitisch Engagierten | |
elitäre Abgehobenheit vorgeworfen wird, weil sie angeblich wollen, dass | |
Leute, die wenig haben, nun auch noch „verzichten“ sollen. Zwar sagt das | |
fast niemand, aber so funktioniert nun mal Polemik. Der „kleine Mann“, die | |
„alleinerziehende Supermarktkassiererin“ wird von anderen Interessengruppen | |
bemüht, um sozialökologische Politik und Verschiebung von Geschäftsfeldern | |
und Macht zu verhindern, und zwar von fast allen Parteien. Das ist manchmal | |
unfreiwillig komisch, wenn etwa die FDP Gängelung beklagt, die sonst Arme | |
gar nicht genug gängeln kann. Oft markiert es schlicht ein eingeübtes | |
Gerechtigkeitssprechen. | |
Wir haben es hier mit einem Supermetaframe zu tun, dem Sozialdemokratismus. | |
Das ist nicht gleichbedeutend mit Sozialdemokratie, sondern unsere | |
bundesrepublikanische Kultur und die Grundlage der im weltweiten Vergleich | |
sehr anständigen Sozialpolitik aller Bundesregierungen seit 1949. [5][Der | |
Stanford-Intellektuelle Hans Ulrich Gumbrecht], der das Wort meines Wissens | |
geprägt hat, sagt, dagegen sei im Grunde nichts zu sagen. Außer, dass es | |
die Gesellschaft blind mache für Alternativen. Diese würden tendenziell als | |
unethisch und neoliberal abgelehnt. Meine empirische Beobachtung ist, dass | |
das gerade auch für ernsthafte Klimapolitik gilt. | |
## „Mehr für alle“ | |
Die bundesrepublikanische Sozialdemokratismuskultur hat mal ein Wahlslogan | |
des Sozialdemokraten Ralf Stegner auf den Punkt gebracht. „Mehr für alle“, | |
lautete dieser Slogan, und das schien viele Jahre in der fossilen | |
Industriegesellschaft zu funktionieren, erst im global dominanten Westen, | |
seit einiger Zeit auch in Teilen anderer Kontinente. Aber eben immer auf | |
der Grundlage des die Zukunft zerstörenden Verfeuerns billiger fossiler | |
Rohstoffe. | |
Der Sozialdemokratismus, ob nun von SPD oder Union exekutiert, kann ganz | |
offensichtlich nicht mit der diversifizierten Problemlage und einer | |
komplexen Transformation umgehen. Er kreist immer nur um die eine Sache, | |
nämlich Arbeit, und seine Lösung ist die permanente Steigerung des | |
Erwirtschafteten, um mehr verteilen zu können. („Umverteilung“ findet in | |
Deutschland gerade auch bei der SPD allenfalls von unten nach oben statt.) | |
Oh, im Sozialdemokratismus kann man sehr gerne auf Erneuerbare umsteigen, | |
auf Elektroautos, auf postfossile Wirtschaft – es müssen halt nur Strom, | |
Sprit, Gas und Fleisch billig bleiben, die fossilen Arbeitsplätze erhalten | |
werden, und vor allem darf kein Mensch auf irgendwas „verzichten“ müssen | |
oder mit irgendwas behelligt werden. | |
## Duschappelle nicht hilfreich | |
Um den erstarrten Sozialdemokratismus aufzubrechen, sind Duschappelle nicht | |
hilfreich, weil die erstens die erwünschte Ablenkungsdiskussion provozieren | |
und zweitens von fundamentalen politischen Instrumenten weg ins Private | |
ziehen. Es geht nicht ums Duschen, auch nicht darum, einen Pullover im | |
Wohnzimmer anzuziehen. Es geht darum, dort, wo wirklich viel verbraucht | |
wird, strukturell zu transformieren. Es geht um [6][neues Energiemanagement | |
in Häusern], vor allem in großen Mietshäusern, Geschäftshäusern, | |
Kaufhäusern. Es geht um ein schnelles Ende von Gasheizungen, es geht um ein | |
Blitz-Energiesparprogramm für die deutsche Industrie. Es braucht ernsthafte | |
Effizienzpolitik als großen Rahmen. | |
Bestimmte Dinge müssen in der sozialökologischen Welt teurer werden, anders | |
geht es nicht, aber Arme kostet das im Verhältnis mehr. Deshalb helfen | |
sinkende Emissionen auch ökonomisch mehr als Spritgeld für alle. Es braucht | |
qualitative Umverteilungspolitik, kluge Maßnahmen, mit denen Leute mit | |
wenig Geld ihren steigenden Energiekosten begegnen – indem sie etwa mit | |
bezuschussten Solarpaneln ihren Strom selbst produzieren können. | |
Das klingt illusorisch, aber es wird morgen normal sein. So kann man dann | |
übrigens auch gern schön lang und heiß duschen. Die Besserverdienenden | |
sparen derweil Sprit und Emissionen durch ein Tempolimit ein; eine sehr | |
gerechte politische Maßnahme, die für alle gilt und allen hilft. Und dann | |
braucht es vor allem ein politisches Programm für qualitatives Wachstum. | |
Damit steht und fällt alles. Weil aber keine Partei so was hat, redet auch | |
niemand darüber. | |
Zusätzlich können selbstverständlich auch die Haushalte, die willens und in | |
der Lage sind, 15 bis 20 Prozent Energie einsparen, damit wir einigermaßen | |
über den Winter kommen. Ich will aber kein besserer Mensch sein, weil ich | |
mit einem besseren Duschkopf meinen Warmwasserduschverbrauch um 50 Prozent | |
verbessern kann. Und wenn dann so ein Verhinderungsstratege sagt: Ja, aber | |
andere können sich keinen neuen Duschkopf leisten, dann sage ich: Stimmt. | |
Aber das ist kein Argument dafür, dass die Millionen Haushalte das und | |
anderes nicht tun, die es können. Es geht in diesem konkreten Zusammenhang | |
nicht um die Armen und nicht um die Arschlöcher (die ja immer die anderen | |
sind). Es geht um uns. Priorität hat eine neue Politik. | |
7 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-die-Gruenen-und-Sozialpolitik/!5600506 | |
[2] /Energie-sparen-in-Kriegszeiten/!5861271 | |
[3] /Wissenschaftler-ueber-digitales-Zeitalter/!5094709 | |
[4] /Die-Wahrheit/!5823841 | |
[5] /Sein-eigener-Mann-in-Stanford/!458776/ | |
[6] /Sparen-beim-energieeffizienten-Bauen/!5829006 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Robert Habeck | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
GNS | |
Energiekrise | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Energiesparen | |
Dusche | |
Gesellschaftskritik | |
Ampel-Koalition | |
Energiesparen | |
Energieversorgung | |
Kolumne Postprolet | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Stanford-Professor über Deutschland: „Der deutsche Traum ist aus“ | |
Wovon träumen wir heute, individuell und als bundesdeutsche Gesellschaft? | |
Hans Ulrich Gumbrecht sagt: Da gibt es nicht mehr viel. | |
Steuerpolitik der Ampelregierung: So schaffen wir das nicht | |
Deutschlands Wirtschaftsmodell geht zu Ende. Leider ist die Regierung nicht | |
fähig, die folgenden Härten auch nur annähernd sozial abzufedern. | |
Energiesparen wird zur Pflicht: Verbände fordern klare Regeln | |
Die Energiekrise sei nur mit einer Sparpflicht zu managen, sagen die | |
Deutsche Umwelthilfe und die Industrie. Die Gestaltung der Gas-Umlage ist | |
noch unklar. | |
Gasknappheit in Deutschland: Zeit für Tacheles | |
Der Großteil des Gasverbrauchs geht auf das Konto der Industrie. Die | |
Politik sollte nicht abwarten, sondern die Unternehmen zwingen, Energie zu | |
sparen. | |
Energie sparen in Kriegszeiten: Politik unter der Dusche | |
Robert Habeck will, dass Bürger:innen kürzer duschen. Dabei lädt er die | |
Handlungsmacht Einzelner moralisch auf – als ob sie nicht genug Last | |
trügen. |