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# taz.de -- Die deutsche Nationalhymne wird 100: Einigkeit und Recht und Freihe…
> Bei feierlichen Anlässen wird sie zur Selbstvergewisserung gesungen. Vor
> 100 Jahren wurde das „Lied der Deutschen“ zur Nationalhymne erklärt.
Bild: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft singt bei der EM 2022 die Hymne
Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll in einer nationalen Hymne – das gibt’s auf d…
Welt wohl nur einmal. Wo? Im selben Land, in dem zuletzt sogar im
Großfeuilleton intensiv der Text einer [1][Ballermann-Bums-Hymne] erörtert
wurde. Das Wort Ballermann gab es noch nicht, aber die Lust am Saufen und
Rummachen, als ein gewisser Hoffmann von Fallersleben folgende Zeilen
schrieb: „Deutsche Frauen, deutsche Treue / Deutscher Wein und deutscher
Sang / Sollen in der Welt behalten / Ihren alten schönen Klang“.
So heißt es – zugegeben etwas altbacken rockenrollig – im „Lied der
Deutschen“, das Friedrich Ebert als Reichskanzler in der Weimarer Republik
vor einem Jahrhundert, am 11. August 1922, zur offiziellen Nationalhymne
der Deutschen erklärte.
Es ist der Text der zweiten Strophe, die allerdings nicht mehr gesungen
wird, weil nur die dritte.
Aber man stelle sich vor, sie würde. Zum Beispiel von den deutschen
Fußballern bei der Weltmeisterschaft der Männer demnächst in Katar. Oder
die Frauen hätten es bei ihrer gerade zu Ende gegangenen
Europameisterschaft zum obligatorischen musikalischen Auftakt mitgesungen.
Ein patriotisches und unter heutigen Gendergesichtspunkten bedenkliches
Trinklied – das gäbe Twitter-Alarm.
Andererseits, vielleicht wäre es ja das perfekte Lied zum Image
Deutschlands, so wie es jüngst beim G7-Gipfel in Elmau wieder dick
aufgetragen wurde. Da hatte Bayerns Landesvater Söder Trachtenfiguren
aufstellen lassen, damit man überall auf der Welt weiter denkt, ganz
Deutschland sei faktisch Bayern. Also ein Land, in dem Mädels im Dirndl den
Einwohnern beim Vieltrinken zu Diensten sind und wo zum G’suffa natürlich
der Gesang gehört.
## Ein Museum in Fallersleben
Warum die deutsche Nationalhymne nur noch aus der einen singbaren Strophe
mit dem „Einigkeit und Recht und Freiheit“ besteht, kann man auch [2][in
einem kleinen Museum] im Wolfsburger Ortsteil Fallersleben erfahren. Es ist
der Geburtsort von August Heinrich Hoffmann, der das nach staatlicher
Einheit und patriotischer Freiheit sehnende „Lied der Deutschen“ 1841 auf
die Joseph-Haydn-Melodie „Gott erhalte Franz, den Kaiser“ verfasste.
Hoffmann von Fallersleben, wie er sich später nannte, hat noch mehr
berühmte Lieder geschrieben, zum Beispiel „Alle Vögel sind schon da“. Das
ist in der Welt allerdings weniger bekannt, weil es nicht wie eben
Nationalhymnen bei Fußballweltmeisterschaften und Olympischen Spielen
gespielt wird. Eigentlich schade, zumal es gar nicht so abwegig wäre, denn
Ähnliches gab es bereits.
Nach dem Zweiten Weltkrieg diente zwar kein Kinder-, aber ein Karnevalslied
als deutsche Hymne. Fallerslebens Lied war 1945 von den Alliierten verboten
worden, weil die Nazis aus der Patriotenhymne mit der ersten Strophe einen
stiefeltrittfesten Herrenmenschen-über-alles-Kracher gemacht hatten.
Deshalb sangen die Einwohner in den drei Westzonen ab 1948 bei offiziellen
Anlässen den rheinischen Karnevalshit „Wir sind die Eingeborenen von
Trizonesien“.
Im Jahr 1952 bestimmte Bundeskanzler Konrad Adenauer die dritte Strophe des
„Liedes der Deutschen“ zum Text der noch heute gültigen Nationalhymne. Das
wird im Fallersleben-Museum ebenso erzählt wie die Imagepolitur der Hymne
durch die Fußball-WM 2006. Während des „Sommermärchens“ klemmten sich die
Deutschen schwarz-rot-goldene Fähnchen an die Autos und schmetterten die
Hymne bierselig beim Public Viewing mit. Der neue, ungezwungene Umgang mit
ihr wird im Museum in einer eigenen „Schland“-Ecke dargestellt, samt
schwarz-rot-goldenen Fanartikeln.
Auf einem Touchscreen sieht und hört man, wie die Nationalhymne von einem
Rapper, einer Girl Group oder auch von einer Jodlerin interpretiert wird.
Das fasziniert auch zwei kleine Mädchen, die mit der Oma da sind, weil sie
am Tag zuvor ein EM-Spiel der deutschen Frauen sahen und gern wissen
wollten, was für ein Lied die denn da gesungen hätten.
## Das Projekt Hymnenmix
Was im Museum nicht vorkommt, ist das Projekt Hymnenmix, das der
Westberliner Dietmar Püschel kurz vor der Wende anging. Der selbstständige
Fernsehproduzent mit eigener TV-Studiohalle in Spandau war eines späten
Abends 1987 in seiner Neuköllner Wohnung vorm Fernseher eingenickt. Als er
aufwachte, lief die BRD-Hymne im Fernsehen (was damals noch zum
Sendeschluss üblich war) und parallel die von Hanns Eisler komponierte
DDR-Hymne („Auferstanden aus Ruinen …“) im Ostradio, das er ebenfalls an
hatte. Erstaunt stellte Püschel fest, dass beide gut zueinander passten.
Spontan entstand seine Idee, Text und Musik zu einer neuen Nationalhymne zu
verschmelzen.
„Ich mochte Honecker nicht“, sagt der 75-jährige heute, „aber die DDR-Hy…
fand ich moderner und vom Text damals überzeugend, so antikriegsmäßig und
zukunftszugewandt.“ Deshalb aber gleich die Westhymne durch einen
Ost-West-Mix ersetzen zu wollen? „Das Projekt habe ich nicht als Gaudi
empfunden, ich wollte zeigen: Wir sind doch gar nicht so unterschiedlich,
sogar in den Liedern.“
Das Arrangement der neuen Hymne, die in einem Studio in Lichterfelde
aufgenommen wurde, schuf eine befreundete Klavierlehrerin. Am 4. Mai 1988
ging die Schallplatte per Post an den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich
Honecker, um wegen der Urheberrechte eine Veröffentlichungserlaubnis zu
erbitten. Die Absage erfolgte prompt, was Püschel als Menetekel auffasste.
Auf das Cover hatte er nämlich ein Mauergraffito gedruckt, das er als
Botschaft an Honecker verstand: Dein Reich wird untergehen!
Honecker sah es offenbar anders und das Projekt war tot. Als dann der
finale Akt des Untergangs der DDR im November 1989 begann, schoss dem
Urberliner Püschel seine Idee sofort wieder in den Kopf. „Ich wollte mein
Projekt unbedingt durchziehen.“ Nachdem er die Rechte von der Edition
Peters in Leipzig nunmehr bekommen hatte, schickte er das
DDR-Rundfunkorchester und den Rundfunkchor ins Studio des Funkhauses in der
Nalepastraße. [3][Weil ein ganzes Album zu füllen war], engagierte er unter
anderem noch die Ostberliner Modern Soul Band für eine deutsche und
englische Rockversion der Kombihymne. („Eine Erde für uns alle“ sowie
„Touch of Freedom“).
Die Kosten betrugen etliche tausend D-Mark, und am Ende wurde es kein gutes
Geschäft. „Die Leute hatten irgendwann den Kopf voller anderer Dinge. Mein
Album hätte vor dem 3. Oktober 1990 in den Handel kommen müssen, danach war
es einfach zu spät“, sagt Püschel. Da half auch nichts, dass alle
relevanten Bundes- und Landespolitiker sie als Weihnachtspräsent bekommen
hatten.
Der Referent von Kanzler Helmut Kohl schrieb, dass eine Entscheidung über
eine neue Nationalhymne von einem gemeinsamen Parlament getroffen werden
müsste. Dazu kam es jedoch nie. Die Beibehaltung des Deutschlandliedes als
Nationalhymne war allein durch einen Briefwechsel zwischen Kanzler und
Bundespräsident bestimmt worden.
Im Jahr 2018 gab es noch eine Petition an den Bundestag, die die Einführung
der ehemaligen DDR-Hymne forderte – mit einem Textmix aus deren ersten
beiden Strophen und der dritten Strophe des Deutschlandlieds. Die
Antragsteller fanden die mehr „hoffnungsvoll und antreibend“ und nicht so
einschläfernd und negativ behaftet wie die aktuelle Hymne. Die Petition
scheiterte an allgemeinem Desinteresse.
## Nico singt das deutsche Lied
Antreibend ist die jetzige Nationalhymne tatsächlich eher nicht, aber auch
nicht einschläfernd. Jedenfalls nicht, wenn man sie covert, wie es Nico
1974 tat. [4][Die aus Köln stammende Muse] von Andy Warhol und Sängerin der
Band Velvet Underground hatte damals auf ihrem Album „The End“ auch eine
abgefuckte Version des Deutschlandlieds, angeblich als Antwort auf Jimi
Hendrix’ Interpretation der amerikanischen Nationalhymne.
Hierzulande kam sie eher schlecht an. Als Nico auf der Tour zum Album ihr
„Deutschlandlied“ mit allen drei Strophen auf deutschen Konzertbühnen sang
und es den RAFlern Ulrike Meinhof und Andreas Baader widmete, flogen
Bierflaschen.
Cool geblieben war dagegen der damalige Bundespräsident Roman Herzog, als
er bei seinem Brasilienbesuch am 23. November 1995 in Porto Alegre
empfangen wurde. Ungerührt lauschte er der Kapelle der örtlichen
Polizeiakademie, als sie für ihn „Auferstanden aus Ruinen“ intonierte.
11 Aug 2022
## LINKS
[1] /Schlagersong-in-der-Kritik/!5864213
[2] https://www.wolfsburg.de/hoffmann-von-fallersleben-museum
[3] https://www.bear-family.de/various-eintracht-germany-chronik-einer-deutsche…
[4] /Biografie-ueber-Model-und-Saengerin-Nico/!5527974
## AUTOREN
Gunnar Leue
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Schwerpunkt Stadtland
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