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# taz.de -- Umstrittene Gesetzesänderung in Bosnien: Protest gegen Wahlgesetz
> Der Hohe Repräsentant Christian Schmidt will in Bosnien und Herzegowina
> Forderungen kroatischer Nationalisten nachgeben. Es regt sich Widerstand.
Bild: Christian Schmidt
Split taz | Es war ja anfangs nur so eine Idee. Als Dervo Sejdić, Mitglied
der NGO „Kali Sara Roma“, am Montagmorgen davon sprach, man müsse gegen den
Hohen Repräsentanten Christian Schmidt demonstrieren, wusste er noch nicht,
dass er damit eine Welle lostreten würde. Aber er hatte auch den Nerv bei
den Parteien, den Sozialdemokraten SDP, der Naša stranka (Unsere Partei)
und sogar der muslimischen Nationalpartei SDA getroffen.
Und so versammelten sich am Montagabend bei der größten Demonstration seit
Jahren mehr als 7.000 Menschen vor dem Büro des Hohen Repräsentanten (OHR)
in Sarajevo, von wo aus Schmidt die Umsetzung des
[1][Dayton-Friedensabkommens] überwacht. Schmidt plant in diesen Tagen, das
[2][Wahlgesetz und die Verfassung] nach Vorstellungen der
nationalistisch-kroatischen HDZ in Bosnien und Herzegowina und des
Nachbarstaates Kroatien zu verändern – und das nur zwei Monate vor den
Wahlen.
Durchsetzen kann er dies, weil er über Sondervollmachten, [3][die
sogenannten Bonn Powers verfügt]. Er will eine Dreiprozenthürde für die
Entsendung von Vertretern aus einem der zehn Kantone einführen. Wo eine der
drei konstituierenden Bevölkerungsgruppen weniger als drei Prozent
ausmacht, soll kein Vertreter mehr entsandt werden. Dadurch kann sich die
HDZ mehr Sitze der Völkerkammer sichern.
Dagegen stellen sich nun die Demonstranten. Sie wollen keine weiteren
ethnischen Teilungen wie diese mehr, so der Tenor des Protests. Alles blieb
friedlich, bis auf Störmanöver der muslimischen Nationalpartei SDA, die
unter gellenden Pfiffen das Kommando übernehmen wollte. Für den Mittwoch
sind weitere Demonstrationen angesagt.
## Demokratische Reformen bleiben aus
Der Rom Dervo Sejdić ist gemeinsam mit dem Vorsitzenden der jüdischen
Gemeinde Jakob Finci vor Jahren erfolgreich vor den
Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gezogen, weil er in Bosnien
diskriminiert wird: Weil er sich nicht als Bosniake, Serbe oder Kroate
identifiziert, kann er bis heute nicht für die Mitgliedschaft in der
Präsidentschaft kandidieren. Jeder Mensch habe in der Demokratie die
gleichen Rechte und das politische System in Bosnien und Herzegowina müsse
sich den Standards in Europa angleichen, lautete damals das Urteil.
Das war 2008. Doch seither ist nichts geschehen. Alle Versuche, eine
Verfassungsreform durchzusetzen, sind an den Widerständen der Nationalisten
und ihrer Sympathisanten in der internationalen Gemeinschaft und der EU
gescheitert. Als der CSU-Politiker Christian Schmidt im Mai 2021 sein Amt
antrat, war dies mit der Hoffnung verbunden, dass endlich Bewegung in die
Verfassungsdiskussion kommen würde. Und als vor zwei Wochen der
[4][deutsche Bundestag mit großer Mehrheit forderte], das Land in einen
demokratischen Rechtsstaat weiterzuentwickeln, schöpften viele Menschen in
Bosnien wieder Hoffnung.
Doch nun hat Schmidt ein Projekt vorgelegt, das genau in die gegenteilige
Richtung zielt und im Teilstaat kroatisch-bosniakische Föderation weitere
ethnische Trennungen ermöglichen würde. Damit gibt Schmidt jenen
kroatischen Extremisten recht, die seit Jahren die Institutionen des
Teilstaates bosniakisch-kroatische Föderation blockieren und behaupten, die
Kroaten seien eine bedrohte Minderheit in Bosnien und müssten um ihr Leben
fürchten.
Dabei sind Kroaten vergleichsweise privilegiert. Mit 15 Prozent der
Bevölkerung besetzen sie 30 Prozent der Posten im Staatsapparat. Alle
bosnischen Kroaten haben ein Anrecht auf einen EU-Pass der Republik
Kroatien, während die anderen Gruppen mit bosnischem Pass in vielen Ländern
Nachteile hinnehmen müssen.
Dass sich Schmidt auf die Forderungen der kroatischen Nationalisten
einlassen will, hat das Amt des Hohen Repräsentanten jetzt schon
beschädigt. Zumindest hat er die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich
vereinigt.
26 Jul 2022
## LINKS
[1] /25-Jahre-Abkommen-von-Dayton/!5725704
[2] /Wachsender-Nationalismus-in-Bosnien/!5842651
[3] /Nationalisten-in-Bosnien-und-Herzegowina/!5819287
[4] /27-Jahre-nach-Voelkermord-in-Srebrenica/!5865433
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Bosnien und Herzegowina
Christian Schmidt
Wahlrecht
Jan Böhmermann
Bosnien und Herzegowina
Online-Petition
GNS
Srebrenica
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