| # taz.de -- Debatte um Hamburger Bildungspläne: Senator von der alten Schule | |
| > In Hamburg hadern die Grünen mit dem SPD-Bildungssenator Ties Rabe. Er | |
| > verordne zu viel Lernstoff und gefährde die moderne | |
| > Kompetenzorientierung. | |
| Bild: Will mehr Leistung durch mehr Klausuren und mehr Stoff: Schulsenator Ties… | |
| Hamburg taz | Ties Rabe ist als Schulsenator einer von Grünen mitgeführten | |
| Regierung keine Traumbesetzung. Der SPD-Politiker ist Gymnasiallehrer und | |
| gilt nicht als Fan der modernen Lernkultur, die seiner grünen Vorgängerin | |
| Christa Goetsch doch ein Herzensanliegen war. Ihre Handschrift tragen die | |
| Bildungspläne – aber die will Rabe nun ändern. Die Grünen hadern damit. | |
| Die gültigen Pläne setzen auf „Kompetenzorientierung“, was im Groben hei�… | |
| Statt alle Fakten auswendig zu lernen, sollen Schüler lernen, sich in der | |
| Wissensgesellschaft zurechtzufinden. Rabe sprach, als er im Frühjahr | |
| [1][seine Pläne vorstellte], davon, dass diese zu „stark entstofflicht“ | |
| wären und man hier eine „neue Ballance“ brauche. Die neuen Pläne, die 2023 | |
| in Kraft treten sollen, umfassen nicht nur viel mehr Seiten, sie schreiben | |
| in „Kerncurricula“ auch detaillierter vor, welche Inhalte die Kinder lernen | |
| sollen. Die [2][Schüler:innenkammer], die das kritisiert, rechnete | |
| vor, dass zum Beispiel in Geschichte in der Oberstufe jede Doppelstunde ein | |
| neues Thema drankommen müsste, um den Umfang zu schaffen. | |
| Zugleich will Rabe die Leistungsbewertung verschärfen. So soll das | |
| Mündliche künftig nur noch 50 Prozent, und das Schriftliche, also die | |
| Klausuren, auch 50 Prozent der Note betragen. Zudem soll es eine „stärkere | |
| Konzentration“ auf Klausuren geben, indem Ersatzleistungen verboten werden. | |
| Rabe begründet das damit, dass Hamburgs Schüler im Schriftlichen besser | |
| werden müssten. Außerdem habe man neuste Erkenntnisse und Vorgaben der | |
| Kultusministerkonferenz (KMK) berücksichtigt. „Wir dürfen uns beim Thema | |
| Leistung nicht wegmogeln“, sagte er in einer Bürgerschaftsdebatte. | |
| Nun ist nicht nur die [3][Schulszene in Aufruhr]. Von Schulleitern über | |
| Eltern- und Schülerkammer bis hin zu Uni-Fachdidaktikern [4][hagelte es | |
| Kritik]. Auch bei den Grünen gibt es Sorge. Die neuen Pläne zeugten von | |
| „rückwärtsgewandten Vorstellungen von Schule und Lernen“, und hätten | |
| „fatale Folgen“ für die Schüler und ihre Lernprozesse, heißt es in einem | |
| [5][Positionspapier der Landesarbeitsgemeinschaft] [6][Bildung] (LAG) vom | |
| 31. Mai. Die Fülle des Stoffs nehme Spielraum, etwa für | |
| fächerübergreifendes Lernen, und setze Lehrende und Lernende unter | |
| „erhöhten Zeitdruck“ – obwohl schon vor Corona jeder zweite Schüler | |
| Stresssymptome zeigte. | |
| ## Leistungsverschärfung steht nicht im Koalitionsvertrag | |
| Dass die „Kerncurricula“ eingeführt werden, war ein Zugeständnis im | |
| „Schulfrieden“, den CDU, SPD, FDP und Grüne 2019 erneuerten, und wurde auch | |
| 2020 im rot-grünen Koalitionsvertrag fixiert. Doch aus Sicht der Grünen | |
| überzieht Rabe. Denn die Änderung der Prüfungskultur sei ein eigenständiges | |
| Element und im Koalitionsvertrag „nicht abgestimmt“. | |
| Auch sein Verweis auf die Kultusministerkonferenz scheint nicht schlüssig. | |
| So setzen die dort gerade erst für die Klassen 5 bis 10 [7][überarbeiteten | |
| Bildungsstandards] weiter auf „Kompetenzorientierung“. | |
| „Die Orientierung an Kompetenzen ist die Kernidee der KMK | |
| Bildungsstandards“, sagt Cornelia von Ilsemann. Die frühere Hamburger | |
| Oberstufenleiterin hat 2012 in der KMK die Steuerungsgruppe für die | |
| Entwicklung der Abiturstandards in Deutsch, Mathe, Englisch und zweite | |
| Fremdsprache geleitet. „Natürlich werden Kompetenzen an Inhalten erworben, | |
| aber diese hat die KMK damals absichtlich nicht festgelegt.“ Zum Beispiel | |
| gebe es dort keinen Literaturkanon, wohl aber klare Anforderungen an die | |
| Analyse und Interpretation literarischer Texte. Und in der Mathematik sei | |
| die Fähigkeit zu mathematischer Modellierung gefragt oder das Verständnis, | |
| wie Algorithmen funktionieren. | |
| „Ein Auftrag zu mehr inhaltlicher Festlegung kann aus den KMK | |
| Bildungsstandards nicht abgeleitet werden“, sagt von Ilsemann. Nur die | |
| Naturwissenschaften hätten hier eine Sonderrolle. „Meine Sorge ist, dass | |
| Schülern Zeit fehlt, Aufgaben vertieft zu verstehen und eigenständig zu | |
| bearbeiten, wenn zu viele Inhalte vorgegeben werden.“ | |
| ## Senator signalisiert Kompromissbereitschaft | |
| Von Ilsemann plädiert zudem dafür, auch Klausurersatzleitungen weiter | |
| zuzulassen: „Ich stimme Senator Rabe zu, dass hohe Leistung wichtig ist.“ | |
| Klausuren könnten diese aber nur begrenzt prüfen. „Es gibt zeitgemäßere u… | |
| zugleich anspruchsvolle Prüfungsformate, die lernförderlicher sind.“ | |
| Qualitätsstandards zu beschreiben und allen Schulen gute Beispiele zur | |
| Verfügung zu stellen, könne zukunftsfähige Lernkultur stärken und zu guten | |
| Leistungen anspornen. Die KMK arbeite auch gerade an neuen Vereinbarungen | |
| zur Oberstufe. „Ich sehe keinen Grund, wieso Hamburg da vorprescht.“ | |
| Das Thema Bildungspläne beschäftigte kurz vor Ferienbeginn sogar den | |
| Koalitionsausschuss. Im Abendblatt war zu lesen, die „Spitzen“ von SPD und | |
| Grünen hätten Ties Rabe den Rücken gestärkt. Der sichte nun Stellungnahmen, | |
| um „nötigen Anpassungsbedarf“ zu identifizieren. Sowohl bei Stofffülle als | |
| auch bei Leistungsüberprüfung wolle Rabe „mit sich reden lassen“. Ob das | |
| der Grünen-Basis reicht? | |
| Gefragt, warum Rabe die Leistungsbewertung verschärft, obwohl dies nicht im | |
| Koalitionsvertrag stand, sagt sein Sprecher, das sei nicht relevant: | |
| „Bildungsplanung ist Verwaltungshandeln.“ | |
| Das sehen die Grünen anders. Schließlich gebe die Politik über den | |
| Koalitionsvertrag den Auftrag für dieses Handeln. Die schulpolitische | |
| Sprecherin Ivy Müller sorgt sich, dass sich eine „veraltete Lernkultur“ | |
| manifestiert und fordert einen Dialog mit den kritischen Verbänden. Die | |
| Entwürfe der Bildungspläne erforderten zwar „keinen kompletten Prozessstop, | |
| wie zuletzt von einigen gefordert“. Aber sie bräuchten eine „durchaus | |
| weitgehende Überarbeitung in allen Bereichen“. | |
| 19 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.hamburg.de/bsb/bildungsplaene-entwuerfe-2022/ | |
| [2] https://www.skh.de/stellungnahme-zu-der-schueler-innenkammer-hamburg-zu-den… | |
| [3] https://www.gew-hamburg.de/themen/schule/buendnis-fuer-zukunftsfaehige-schu… | |
| [4] /Streit-um-Bildungsplaene-in-Hamburg/!5855112 | |
| [5] https://beschluss.gruene-hamburg.de/2022/05/31/positionspapier-der-lag-bild… | |
| [6] https://beschluss.gruene-hamburg.de/2022/05/31/positionspapier-der-lag-bild… | |
| [7] https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2022/… | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
| ## TAGS | |
| Hamburg | |
| Schule | |
| Rot-Grün Hamburg | |
| Ties Rabe | |
| Bildungspolitik | |
| Bildung | |
| Bildung | |
| Schule | |
| Schule | |
| Bildung | |
| Rot-Grün Hamburg | |
| Schulbehörde Hamburg | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hamburgs Schulsenator hört auf: Der Oberlehrer geht | |
| Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist am Montag nach 13 Jahren aus | |
| gesundheitlichen Gründen zurückgetreten. Die Linke sieht darin auch eine | |
| Chance. | |
| Vorwahlkampf in Hamburg: Grüne wagen wieder Schulpolitik | |
| Für mehr Bildungsgerechtigkeit wollen sich Hamburgs Grüne einsetzen, etwa | |
| durch eine neue Prüfkultur. Bislang überließen sie die Schulpolitik der | |
| SPD. | |
| Umkämpfte Bildungspläne in Hamburg: Widerstand gegen Bulimie-Lernen | |
| Hamburg führt trotz Protesten „Kerncurricula“ ein, erlaubt aber weiter | |
| Ersatzleistungen für Klausuren. Ein breites Bildungsbündnis ist | |
| unzufrieden. | |
| Demokratie-Spielregeln in Hamburg: Schulpolitik ist abgeschafft | |
| Eltern- und Lehrerkammer in Hamburg bemängeln, dass sie bei Bildungsplänen | |
| nicht mitreden sollen. Das liegt auch an der Abschaffung der Deputationen. | |
| Streit um Bildungspläne in Hamburg: „Unterricht wie vor 100 Jahren“ | |
| Die Vereinigung der Stadtteilschulleiter fordert, die neuen Bildungspläne | |
| zu stoppen. Die Entwürfe enthielten zu viel vergängliches Faktenwissen. | |
| Hamburger Vorwahlkampf: Schulfrieden mit rechts | |
| Schulpolitik diskret: Rot-Grün verhandelt mit FDP und CDU, aber nicht mit | |
| der Linken. Heraus kommen könnte eine Stärkung des Gymnasiums. | |
| Grünen-Schulpolitikerin über Diktate: „Unglaublicher Stress fürs Kind“ | |
| Die Hamburger Schulpolitikerin Stefanie von Berg (Grüne) warnt vor einer | |
| Überbewertung der Rechtschreibung und fürchtet die Renaissance von | |
| Diktaten. |