# taz.de -- Umkämpfte Bildungspläne in Hamburg: Widerstand gegen Bulimie-Lern… | |
> Hamburg führt trotz Protesten „Kerncurricula“ ein, erlaubt aber weiter | |
> Ersatzleistungen für Klausuren. Ein breites Bildungsbündnis ist | |
> unzufrieden. | |
Bild: Bald Pflicht in Hamburgs Schulen: Märchen wie „Hänsel und Gretel“, … | |
Hamburg taz | Hamburg streitet seit März um die Frage, [1][welche | |
Lernkultur zeitgemäß ist] und wie viel Stoffwissen Schüler pauken müssen. | |
Schulsenator Ties Rabe (SPD) wollte die Sache noch vor Weihnachten beilegen | |
und legte am Montag seine endgültigen „[2][Bildungspläne]“ vor. Die sollen | |
im neuen Schuljahr nun so in Kraft treten, weshalb die Elternkammer von | |
Politik „mit der Brechstange“ spricht. Denn eine abschließende Konsultation | |
der im Schulgesetz verankerten Gremien „fand nicht statt“, wie auch die | |
Lehrerkammer kritisierte. | |
Insgesamt hatte Rabes Behörde [3][238 Stellungnahmen mit 90 | |
Verbesserungsvorschlägen] erhalten. Der Senator versicherte zwar, man habe | |
„die Sorgen der Schulwelt sehr ernst genommen und die Pläne erheblich | |
überarbeitet“. So seien nun „ausgewogene Bildungspläne“ entstanden, die | |
Hamburgs Lernkultur „organisch“ weiterentwickelten. | |
Die Schüler:innenkammer hatte zum Beispiel moniert, der Entwurf vom | |
März schreibe in Geschichte für die Oberstufe so viel Stoff vor, dass in | |
jeder Doppelstunde ein neues Thema drankommen müsste. Vertiefendes Lernen | |
wäre so unmöglich. „Wir haben die Kritik ernst genommen und auch in | |
Geschichte einiges rausgenommen“, versichert Rabes Sprecher Peter Albrecht. | |
Die Inhalte der Fächer seien auf einen „verbindlichen Kern“ reduziert, | |
sodass diese nur die Hälfte der Unterrichtzeit beanspruchten, beteuert die | |
Behörde. | |
## Das Mündliche darf weiter mehr zählen | |
Als konkretes Beispiel für Stoff-Straffung nannte Rabe die Fächer Deutsch | |
und Sachkunde in der Grundschule. Dort habe man die Pläne gegenüber der | |
März-Version um ein Drittel reduziert. Die Kinder müssten weniger Texte | |
schreiben, in Sachkunde seien nun Themen wie „Hafenberufe“ oder | |
„Schiffstypen“ optional. Rabe: „Lehrkräfte können diese Themen aufgreif… | |
es besteht allerdings kein Zwang mehr.“ Vorgeschrieben sei aber zum | |
Beispiel, dass Kinder zwei Märchen und sechs Gedichte kennenlernen. | |
Als Hamburg zuletzt vor zwölf Jahren neue Bildungspläne bekam, wurden | |
verbindliche Inhalte zu Gunsten einer „Kompetenzorientierung“ aufgegeben. | |
Nun rudert Hamburg zurück, obwohl die Kultusministerkonferenz weiter auf | |
dieses moderne Konzept setzt. | |
Kritik hatte Rabe [4][sogar vom Grünen Koalitionspartner dafür geerntet], | |
dass er obendrein eine schärfere Prüfungskultur plante: So sollten die in | |
den Nebenfächern üblichen „Klausurersatzleistungen“ abgeschafft werden. | |
Dagegen hatten Kritiker gehalten, dass Kinder mit eigenen Präsentationen | |
oder Referaten viel nachhaltiger lernen, als wenn sie nur Wissen auswendig | |
lernen, es in schriftlichen Arbeiten ausspucken und danach gleich wieder | |
vergessen – auch Bulimie-Lernen genannt. | |
Auch sollte nach Rabes Entwürfen künftig nicht mehr möglich sein, dass | |
mündliche Mitarbeit im Unterricht 60 Prozent zählt und damit mehr als die | |
der Klausuren. | |
Von diesen beiden Vorhaben hat der Senator nun Abstand genommen. Zu den | |
Ersatzleistungen sagte Rabe, aus den vielen Stellungnahmen gehe klar der | |
Wunsch hervor, diese „moderne Prüfungskultur mit anspruchsvollen Leistungen | |
zu verbinden“. Er lade nun „alle Beteiligten zu einem Dialog“ ein, um mit | |
Wissenschaftlern für dieses Format „gute Beispiele aus der Praxis“ und | |
„Qualitätsvorgaben“ zu entwickeln. | |
## Kritiker prüfen in Ruhe eine Volksinitiative | |
Allerdings fängt dieses Dialog-Angebot wohl nicht auf, was der ganze | |
Prozess an sich schon angerichtet hat. Früher gab es die Schuldeputation in | |
Hamburg, die zum Beispiel die obersten Schüler-, Lehrer und Elterngremien | |
bis zum Ende in so einen Prozess einband. Seit deren Wegfall kann [5][Rabe | |
solche Pläne im Alleingang durchziehen]. | |
„Auch wenn der Senator es immer wieder behauptet – nein! Wir wurden nicht | |
beteiligt“, sagt die Elternkammer-Chefin Alexandra Fragopoulos. „So geht | |
man nicht mit unseren Hamburger Eltern um.“ Auch die Gymnasial-Schulleiter | |
beklagen fehlende Partizipation – und ihre Kollegen von den | |
Stadtteilschulen einen „Prozess vertaner Chancen“. | |
Die stellvertretende Vorsitzende der [6][Gewerkschaft Erziehung und | |
Wissenschaft (GEW)] in Hamburg Yvonne Heimbüchel lobte zwar die | |
Zugeständnisse, sagte aber zugleich, in der Bildung seien „an manchen | |
Stellen keine Kompromisse zu machen“. Die GEW werde deshalb in Ruhe mit | |
Kammern und Verbänden prüfen, ob Rabes Überarbeitung ausreicht oder ob eine | |
Volksinitiative nötig wird, damit Hamburg zukunftsorientierte Bildungspläne | |
bekommt. Denn im 21. Jahrhundert vergängliches Wissen in den Mittelpunkt | |
des Lernens zu stellen, sei „fahrlässig“ für die Entwicklung der Schüler. | |
19 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-um-Bildungsplaene-in-Hamburg/!5855112 | |
[2] https://www.hamburg.de/bsb/bildungsplaene-2022/ | |
[3] https://www.hamburg.de/bsb/bildungsplaene-entwuerfe-2022/16322850/start-ste… | |
[4] /Debatte-um-Hamburger-Bildungsplaene/!5868858 | |
[5] /Demokratie-Spielregeln-in-Hamburg/!5877628 | |
[6] https://www.gew-hamburg.de/themen/schule/gew-zur-vorstellung-der-bildungspl… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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