# taz.de -- Nach Abtreibungsurteil in den USA: Zehnjährige als doppeltes Opfer | |
> In den USA wurde einer zehnjährigen Schwangeren zunächst die Abtreibung | |
> verweigert. Nun gehen die Behörden gegen die Ärztin vor. | |
Bild: Colombus (Ohio) Ende Juni: Protest gegen die Gerichtsentscheidung zum Rec… | |
NEW YORK taz | Nachdem das [1][Oberste Gericht] der USA im Juni das | |
Grundrecht auf Abtreibung gekippt und die Entscheidung an die Bundesstaaten | |
gegeben hat, ist es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis auch Kinder zu | |
Opfern der neuen Rechtslage werden. | |
Nach drei Wochen hat es ein zehnjähriges Mädchen in Ohio getroffen: Sie | |
wurde vergewaltigt und schwanger. Ihr wurde [2][die Abtreibung] verweigert, | |
weil die gerade erst eingeführte Sechs-Wochen-Frist um mehrere Tage | |
überschritten war und weil es in Ohio keine Ausnahmen bei Inzest, | |
Vergewaltigung oder Minderjährigkeit des Opfers gibt. Ihre Familie musste | |
für den [3][Schwangerschaftsabbruch] bis in den Nachbarbundesstaat Indiana | |
reisen. | |
Als der Fall öffentlich wurde, begann eine Schmierenkampagne. Journalisten | |
des rechten Senders Fox redeten von einer „gefälschten Vergewaltigung“, das | |
seriöse Börsenblatt Wall Street Journal befand, die Geschichte sei „zu gut, | |
um wahr zu sein“. | |
Ohios Gouverneur Mike deWine, Justizminister Dave Yost sowie der | |
Abgeordnete Jim Jordan – ausnahmslos republikanische Männer – bezweifelten | |
in Interviews und Tweets, dass das Verbrechen und die Abtreibung überhaupt | |
stattgefunden hätten. | |
## Republikaner ohne Mitgefühl mit dem Opfer | |
Dabei sind Schwangerschaften von Kindern in Ohio nicht selten. Im Jahr 2020 | |
haben 52 Mädchen unter 15 Jahren in dem Bundesstaat Abtreibungen gehabt, es | |
gab dort also im Schnitt eine pro Woche. | |
Nachdem am Mittwochabend der mutmaßliche Vergewaltiger des Kindes in Ohio | |
verhaftet wurde und ein Geständnis abgelegt hatte, löschten die | |
Spitzenrepublikaner zwar mehrere Tweets. Aber keiner von ihnen | |
entschuldigte sich. Keiner zeigte Mitgefühl mit dem Kind. | |
Der Justizminister von Indiana, Todd Rokita – ebenfalls ein Republikaner – | |
ging direkt zur nächsten Attacke über. Er nahm am Donnerstag die | |
Gynäkologin in Indianapolis ins Visier, die den Eingriff durchgeführt hat. | |
Er nannte sie eine „Abtreibungsaktivistin“, warf ihr vor, „den Fall | |
politisiert“ zu haben und drohte ihr Schritte an „bis zum Entzug der | |
medizinischen Lizenz“. | |
Der Anwalt Jim Bopp der Gruppe „National Right to Life“, der seine Karriere | |
mit dem Kampf gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bestreitet und | |
republikanisch regierte Bundesstaaten beim Verfassen schärferer Gesetze | |
berät, sagt über das Vergewaltigungsopfer: „Sie hätte das Kind bekommen | |
sollen. In der Hoffnung, dass sie den Grund und letztlich den Nutzen der | |
Geburt des Kindes versteht“. | |
## Abtreibungsrecht in 15 Bundesstaaten schon ausgehebelt | |
Seit dem Entscheid des Obersten Gerichts hat sich die Rechtslage in Sachen | |
Schwangerschaftsabbruch beinahe täglich verschärft. In 15 Bundesstaaten | |
sind Abtreibungen inzwischen ab der sechsten Woche verboten. Sieben weitere | |
– darunter auch Indiana – haben Verbotsgesetze vorliegen, die noch nicht in | |
Kraft sind. | |
Die Lage unterscheidet sich im Detail. So gibt es in manchen Bundesstaaten | |
Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest, in anderen existiert noch ein | |
verbrieftes Recht, das es Frauen erlaubt, selbst zu entscheiden. | |
Auch die Strafen für illegale Abtreibungen unterscheiden sich. Während | |
Ärzten in Ohio gegenwärtig ein Jahr Gefängnis droht, riskieren sie in Texas | |
bis zu lebenslänglich. Ebenfalls in Texas gibt es ein Gesetz, das Bürger | |
dazu auffordert, bei Abtreibungsverdacht sowohl Ärzte als auch Helfer zu | |
denunzieren. | |
In Ohio hat eine Gruppe von Republikanern unter Führung eines Pastors | |
bereits ein neues Gesetz vorgelegt, das „Personenrechte“ ab dem Moment der | |
Befruchtung einführt. Damit würde jeder Schwangerschaftsabbruch illegal. Es | |
könnte zusätzlich weitreichende Konsequenzen für Abtreibungspillen und | |
In-Vitro-Befruchtungen haben. | |
## Balanceakt für abtreibungswillige Ärzte | |
Gemeinsam ist sämtlichen republikanischen Bundesstaaten, dass sie das | |
Abtreibungsrecht tendenziell ganz abschaffen wollen und dass sie versuchen, | |
sich dabei gegenseitig zu überbieten. Frauen, die eine Abtreibung wollen, | |
drohen künftig [4][weite Reisen in demokratisch regierte Bundesstaaten] und | |
hohe Kosten. | |
Ärzte, die jetzt noch Abtreibungen in republikanischen Bundesstaaten | |
durchführen, machen einen Balanceakt, bei dem das Damoklesschwert von | |
Klagen und Lizenzentzug nie weit ist. | |
Für die meisten ungewollt schwangeren Frauen ist schon die vielerorts | |
geltende Sechs-Wochen-Frist gleichbedeutend mit einem Abtreibungsverbot. | |
Von den rund 20.000 Abtreibungen, die im letzten Jahr in Ohio stattgefunden | |
habe, waren weit über 90 Prozent nach Ablauf der sechs Wochen. | |
Auf den Nachbarbundesstaat Indiana können Frauen aus Ohio in Zukunft nicht | |
mehr ausweichen. In Indiana ist das Verbotsgesetz bereits fertig | |
formuliert. | |
15 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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