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# taz.de -- Politik und Krisen: Auf Konfuzius hören
> Politik handelt oft kurzsichtig. Denn: Wir nehmen Alltagssorgen ernster
> als Menschheitsbedrohungen. Das ist in China nicht anders als in
> Deutschland.
Bild: Jetzt werden wieder Kohlekraftwerke reaktiviert (Archivbild)
„Stellt einer keine weitreichenden Überlegungen an, wird er Sorgen direkt
unter seiner Nase bekommen“, schrieb vor rund 2.600 Jahren Konfuzius. Recht
hatte der Alte, denke ich in diesen Tagen, wenn ich tagein, tagaus Menschen
in Deutschland über den Ukrainekrieg reden höre, über den Mangel an
russischem Gas, über die Hitze, die so viele Menschen in Mitteleuropa zwar
gar nicht so sehr überrascht, aber doch auf dem falschen Fuß zu erwischen
scheint: Haben sie nicht schon lange über die Erderwärmung gesprochen,
darüber, was diese Erwärmung heißen könnte? Ja, und sie tun es immer noch.
Der Punkt aber ist: Allein reden und sich Gedanken machen tut es nicht,
noch lange nicht.
Tatsächlich: Hätten – insbesondere deutsche – Politiker seit 2014, als
Russland die Krim annektiert hat, Schluss gemacht mit dem frommen Wunsch,
über Gasgeschäfte Putin zu einer geopolitischen Zurückhaltung bewegen zu
können, hätten sie viel früher erkannt, was es bedeutet, osteuropäische
Sorgen viel ernster zu nehmen, hätten sie allein daran gedacht, ihre
Landesverteidigung substanziell zu verstärken, [1][damit wenigstens
genügend Waffen brauchbar bleiben] und genügend Munition lieferbar ist –
was für eine Situation hätten wir heute?
Würden wir uns in einem so hitzigen Sommer Sorgen machen müssen, ob uns in
einigen Monaten, also im kommenden Winter, noch bezahlbares Heizen zur
Verfügung steht? Und so weiter. Da nützen saloppe Sprüche wie „Hätte,
hätte, Fahrradkette“ nicht mehr, denn so einfach abzutun sind die Sorgen
nicht mehr, die uns als Bürgern einer Demokratie täglich unter den Nägeln
brennen.
Mir ist bewusst, dass „weitreichende Überlegungen anzustellen“, um Probleme
„direkt unter der Nase“ zu vermeiden, eine komplexe Sache ist, selbst in
einer Demokratie, wo freie Diskussionen, selbst sehr unangenehme Gedanken
erlaubt sind, wenn nicht sogar gefördert werden: [2][Kohlebergbau
wiederzubeleben], die Laufzeit von Atommeilern zu verlängern, um den kalten
Winter in einigen Monaten besser zu überbrücken, das sind bezeichnende
Beispiele dafür.
Wir nehmen unsere alltäglichen Sorgen ernster als diejenigen, die erst in
einigen Jahren die Menschheit so sehr bedrohen werden, dass die Gefahr
nicht nur unter den Nägeln, sondern auf unserer Haut brennt. [3][Die
Rekordhitzewellen in Mitteleuropa] zeigen, was uns in der Zukunft noch
blühen wird.
## Lieber Lockdown als westlicher Impfstoff
Ein anderes Beispiel aus einer nicht freien Gesellschaft: Seit drei Jahren
ist in China eine Diskussion über eine mögliche Unwirksamkeit der eigenen
Impfstoffe tabu, die Diskussion über den Import wirksamer Impfstoffe aus
dem Westen ein Affront wider den Patriotismus, bis der Lockdown der
Megacity Shanghai in diesem Jahr allen vor Augen führte, was es heißt, für
den Mangel an wirksamem Schutz durch Impfung den Preis zu bezahlen,
jederzeit unter Hausarrest gestellt zu werden, vom Arbeitsloswerden und dem
Verlust der Lebensgrundlage für Familien ganz zu schweigen.
Freilich: „Weitreichende Überlegungen“ bedeuten auch geografische. Als ich
vor einigen Tagen mit einem aus meiner deutschen Familie darüber sprach,
dass Japan angesichts steigenden geopolitischen Drucks von China und
Russland kurz davor steht, seine Friedensverfassung zu ändern, winkte er
zuerst ab, mit dem schlagfertigen Argument: „Ach, das ist weit weg. Haben
wir nicht genügend Probleme im Haus?“ Ja. „Aber“, sagte ich, „was komm…
uns zu, wenn China und Russland aufgrund eines kriegsbereiten
Hightech-Lands wie Japan ihrerseits das Wettrüsten massiv beschleunigen,
ihre Nukleararsenale ausweiten, noch mehr Raketen modernisieren?“ „Oh, du
lieber Himmel!“
Dann schwieg er.
2 Aug 2022
## LINKS
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[3] /Waldbraende-in-Europa/!5869640
## AUTOREN
ming shi
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