# taz.de -- Auswirkungen der hohen Inflation: Warnung aus der Altenpflege | |
> Private Anbieter warnen vor einem starken Kostenanstieg in der | |
> Altenpflege. Sie fordern einen „Inflationszuschuss“ von 25 Prozent. | |
Bild: Von Jahr zu Jahr wird der Zuschuss für die Pflegeversicherung teurer | |
BERLIN taz | Von einer „Kostenlawine“, die auf die Altenpflege zurolle, | |
spricht der Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP), Thomas | |
Greiner, am Mittwoch in Berlin. [1][Die Inflation] würde extreme | |
Mehrkosten, besonders für Pflegeheime, bescheren. Dazu kämen die von der | |
Bundesregierung im Mai 2021 beschlossenen [2][verpflichtenden Tariflöhne] | |
in der Altenpflege, die ab dem 1. September 2022 gelten. | |
Greiner betonte bei der Pressekonferenz, dass sich die Träger mit den | |
steigenden Löhnen abgefunden hätten, „das Thema ist durch“. Dafür müsse… | |
Politik nun aber Vorschläge machen, wie die Mehrkosten zu stemmen sein | |
sollten. Diese dürften nicht an den Pflegebedürftigen, ihren Familien und | |
den Kommunen hängen bleiben. Nach Angaben des Verbandes werde ein | |
Pflegeplatz etwa 600 bis 1.000 Euro teurer. | |
Neue Daten des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) bestätigen den Trend, | |
deuten aber auf einen weniger drastischen Kostenanstieg hin. Verena | |
Bentele, Präsidentin des Sozialverband VdK Deutschland e. V., kritisiert | |
die steigenden Kosten bei den Eigenanteilen scharf: „Der Zuschuss zu den | |
pflegebedingten Kosten bringt gerade bei kurzer Heimaufenthaltsdauer keine | |
Entlastung. Von Jahr zu Jahr wird dieser Zuschuss für die | |
Pflegeversicherung teurer, ohne dass es einen positiven Effekt für die | |
Pflegebedürftigen gibt.“ Bentele sieht darin ein Scheitern der letzten | |
Pflegereform: „Der Umzug ins Pflegeheim macht heutzutage arm, die wenigsten | |
Pflegebedürftigen können sich die Eigenanteile noch leisten.“ Das | |
Bundesgesundheitsministerium teilte auf Anfrage mit, dass die | |
Bundesregierung daran arbeitete, eine strukturelle Unterfinanzierung der | |
Pflegeversicherung zu verhindern. | |
Der Arbeitgeberverband Pflege, der nach eigenen Angaben 966 private | |
Pflegeunternehmen mit 80.000 Beschäftigen vertritt, hatte sich stets gegen | |
Tariflöhne in der Pflege positioniert. Kritik an der Tarifregelung klingt | |
in den Äußerungen von Greiner weiterhin durch: Einige | |
Altenpfleger*innen würden nun statt einer Vollzeitstelle ihre Arbeit | |
reduzieren, da ihnen das alte Gehalt genüge, so Greiner. Sie würden jetzt | |
lieber mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Das sei zwar schön, aber | |
löse das Problem nicht, dass es weiterhin mehr pflegebedürftige Menschen | |
als genügend Pfleger*innen in Deutschland gebe. | |
Unerwähnt blieb an dieser Stelle [3][das Thema Entlastung.] „Die hohen | |
Teilzeitquoten gibt es ja, weil die Kolleginnen und Kollegen nur so den | |
Beruf durchhalten können“, sagt Barbara Susec, | |
ver.di-Gewerkschaftssekretärin für Pflegepolitik. Wenn man die Menschen | |
langfristig in der Pflege halten wolle, müsse man die Arbeitsbedingungen | |
verbessern, indem man für eine bedarfsgerechte Personalausstattung sorge, | |
so Susec. | |
## Zu wenig Fachkräfte aus dem Ausland | |
Verdi fordert daher langfristig eine grundlegende Systemreform und eine | |
solidarische Pflegegarantie. In der würden Bürger*innen entsprechend | |
ihrem Einkommen einzahlen – und alle Pflegebedürftigen erhielten die | |
pflegerischen Leistungen, die sie bräuchten. | |
Thomas Greiner vom AGVP sieht kein Attraktivitätsproblem im Berufsfeld der | |
Altenpflege. Er [4][beschreibt die Ausbildung] als eine „sinnvolle | |
Tätigkeit, bei der man mehr zurückbekommt“ [5][als etwa im Krankenhaus.] | |
Viele junge Menschen wollen seiner Aussage nach daher in der Altenpflege | |
arbeiten. Das spiegele sich in den steigenden Ausbildungszahlen. | |
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland, die nach Angaben des | |
statistischen Bundesamts bei 4,1 Millionen liege, steige dennoch schneller | |
an als die Zahl der Pflegekräfte. Nach Angaben des AGVP könne sie bis 2030 | |
auf 6,1 Millionen Menschen wachsen. | |
Kritik äußerte der AGVP auch an der bisherigen Politik von | |
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Bislang sei der nur ein | |
„Coronaminister“, er müsse jetzt aber auch ein Pflegeminister sein, so | |
Greiner. Der Arbeitgeberverband forderte deshalb einen baldigen | |
Pflegegipfel, bei dem schnelle Lösungen für die Branche besprochen werden. | |
Sonst drohe aufgrund des Fachkräftemangels bald eine | |
Versorgungsunsicherheit in der Altenpflege. | |
Konkret fordert der Verband am Mittwoch in Berlin einen | |
„Inflationszuschuss“ in Höhe von 25 Prozent für gestiegene Kosten für | |
Unterkunft und Verpflegung. Das würde nicht nur die Unternehmen, sondern | |
auch die Pflegebedürftigen entlasten. Auch sei absehbar, dass immer mehr | |
Pflegebedürftige in Deutschland auf Sozialhilfe angewiesen sein würden. | |
Ebenfalls als zu behäbig beschreibt der AGVP die bürokratischen Hürden des | |
Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Pflegekräfte aus dem Ausland säßen „auf | |
gepackten Koffern“, könnten aber aufgrund von langwierigen | |
Behördenprozessen nicht eingesetzt werden, obwohl sie dringend benötigt | |
würden. Diese Aussage bewertet Susec von ver.di als „Mär“. In den meisten | |
Ländern gebe es einen Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal. Außerdem | |
würden viele Menschen aus dem Ausland aufgrund von schlechten | |
Arbeitsbedingungen nicht langfristig in der Pflege in Deutschland arbeiten. | |
27 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Linda Gerner | |
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